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Konstanz am Bodensee
Nazi-Vergangenheit holt Fasnachts-Sänger ein

Die Lieder von Willi Hermann gehören in Konstanz zu den beliebtesten Fasnachts-Klassikern. Hermann war aber nicht nur Komponist - sondern auch ein überzeugter Nationalsozialist. Die städtische Narrengesellschaft verzichtet deshalb jetzt auf seine Lieder. Der Umgang mit dem Thema fällt vielen Konstanzern schwer.

Von Thomas Wagner | 28.02.2019
Stockach, Karneval, Schmotzigen Dunschdig mit Umzug und Narrenbaum setzen,
Fasnacht am Bodensee (imago stock&people/Christian Thiel )
"Ja, wenn der ganze Bodensee ein einzig Weinfass wäre, gefüllt mit allerbestem Wein das ganze schwäbische Meer…"
Seit Jahrzehnten war das der Fasnachts-Hit in Konstanz am Bodensee. Mehrere Narrengenerationen schunkelten zu dem Lied, wie zu all den anderen närrischen Schlagern des Komponisten Willi Hermann, der bis zu seinem Tod im Jahr 1977 über 40 populäre Fasnachts-Lieder komponiert hatte. Und die gingen jedem Konstanzer Narren nur allzu leicht über die Lippen – bis vor kurzem.
"Für mich ist es mittlerweile sehr beklemmend, diese Lieder zu hören. Es zeigt sich einfach, dass Willi Hermann nicht nur ein kleines Rädchen oder ein kleiner Mitläufer war, sondern dass er bereits 1933 ganz früh in die Partei eingetreten ist, glühender Nazi war und wirklich ekelerregende antisemitische Texte über die damalige jüdische Bevölkerung geschrieben und verfasst hat."
Erste Karriere als Propagandafunktionär
Mario Böhler ist Präsident der Konstanzer Narrengesellschaft Niederburg. Und er zeigt sich, wie viele Konstanzer Narren, schockiert über das, was bei einem Gutachten über den Fasnachts-Liedermacher Willi Hermann herausgekommen ist. Autor des Gutachtens ist Professor Jürgen Klöckler, der Leiter des Stadtarchivs in Konstanz, der eigentlich Material für eine Festschrift zum 111. Geburtstag Hermanns sammeln wollte. Bei seinen Nachforschungen stieß Klöckler auf Quellen mit erschreckendem Inhalt. Demnach hatte Willi Hermann vor seiner Karriere als Komponist eine andere, erste Karriere hinter sich gebracht. Nämlich als Propagandafunktionär der Nationalsozialisten im damaligen Gau Baden:
"Da ging es also um Blut und Boden. Die Träger sind die Deutschen, die Arier, wohingegen dann Antisemitismus gepredigt worden ist. Er hat maßgeblich die Ideologie des Nationalsozialismus in Baden mitgetragen und mitformuliert, das kann man so sagen."
Doch damit nicht genug. In den 40er Jahren war Willi Hermann Soldat, wurde auf der griechischen Insel Kefalonia stationiert. Dort kommt es zur Konfrontation mit einer italienischen Einheit. Italien hatte kurz zuvor, im September 1943, das Bündnis mit den Deutschen aufgekündigt.
"Die Italiener werfen die Waffen weg, ergeben sich, werden gruppenweise abgeführt und sofort erschossen. Mindestens 2.500 Kriegsgefangene, bis zu 5.000 vielleicht sogar. Und mittendrin Willi Hermann und seine Festungsgrenadiergruppe."
Ob Willi Hermann selbst geschossen hat, lässt sich aus den Dokumenten nicht mehr rekonstruieren.
"Aber was wir wissen: Er war mittendrin im Kampfgeschehen. Und er würde nach heutigen Maßstäben der Beihilfe des Mordes angeklagt werden. Das muss uns bewusst sein."
Nach dem Krieg war Hermanns Vergangenheit tabu
Hier Hermanns Tätigkeit als Nazi-Propagandasprachrohr, dort die Beteiligung seiner Einheit an der Ermordung von Kriegsgefangenen: Über all dies hüllte sich nach dem Krieg das Mäntelchen des Schweigens. Unkenntnis, Verdrängung, Vertuschung – Hermanns Nazi-Vergangenheit war tabu, seine Fasnachts-Lieder dafür in aller Munde. Bis vor kurzem. Mario Böhler von der Konstanzer Narrengesellschaft Niederburg:
"Wir haben die Lieder von unserer Bühne verbannt. Wir werden sie nicht mehr singen, wir werden sie nicht mehr aufführen. Es ist 70 Jahre geschwiegen wollen, und wir wollen das aufdecken."
Und dennoch: Hermanns Fasnachts-Schlager sind dieser Tage immer mal wieder zu hören. Nicht bei offiziellen Bällen, wohl aber auf den Straßen und in manchen Kneipen. Dafür haben sich mehrere hundert Personen in einer Facebook-Gruppe stark gemacht.
"Das ist Konstanzer Kulturgut, diese Lieder. Und das Lied an sich hat ja mit seiner Vergangenheit nichts zu tun."
"Es ist einfach nur ein Fasnachts-Lied"
"Ich finde es schade. Irgendwie ist es ja auch eine Tradition, obwohl es vielleicht eine Vergangenheit hat. Aber diejenigen, die das singen, haben damit mit Sicherheit nichts am Hut."
"Es ist einfach nur ein Fasnachts-Lied und wird mit dem Verfasser nicht in Verbindung gebracht. Es ist keine Huldigung von dem Menschen."
Mario Böhler von der Narrengesellschaft Niederburg hat dafür nur ein Schulterzucken übrig:
"Also, das muss ich ganz klar sagen: Es gibt kein Verbot dieser Lieder."
Allerdings müsse sich jeder Narr selbst überlegen, ob man nach der jüngsten Dokumentation über Willi Hermanns Vergangenheit noch so ganz unbeschwert zu dessen Lieder schunkeln kann:
"Ich finde, jeder muss sich selber sagen: Ok, ich kann damit leben, dass jemand mitverantwortlich ist für 5.000 Erschießungen auf Kefalonia, und singe seine Lieder trotzdem weiter, oder ich kann es eben nicht, so wie wir uns entschieden haben."