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Konstanzer Konzil 1418
"Wieder Einheit an der Spitze der Kirche herstellen"

Am 22. April 1418, vor 600 Jahren, endete das Konstanzer Konzil. Dort habe sich die intellektuelle Elite Europas getroffen, um das Problem von mehreren Päpsten zu lösen, sagte der Historiker Thomas Martin Buck im Dlf. Es habe unterschiedliche Gehorsamsbereiche gegeben - eine frühe Form der Kirchenspaltung.

Thomas Martin Buck im Gespräch mit Michael Köhler | 22.04.2018
    Der tschechische Reformator Jan Hus vor dem Konstanzer Konzil
    Der tschechische Reformator Jan Hus vor dem Konstanzer Konzil (dpa / picture alliance)
    Michael Köhler: Am 22. April 1418, vor 600 Jahren, endete das Konstanzer Konzil. Es war eine der größten kirchlichen und politischen Versammlungen des Mittelalters. In der Stadt am Bodensee wurde die jahrzehntelange Kirchenspaltung überwunden. Die amtierenden Päpste dankten ab. Das Konzil wählte Papst Martin V. Der Reformstau war aber nicht behoben. Der Preis für kirchliche Einheit war hoch. Kritiker wie Jan Hus landeten auf dem Scheiterhaufen. Konstanz war in jenen Jahren wichtiger als Rom und Paris, wichtiger als die Zentren der Kirche und der universitären Gelehrsamkeit. Es war eine Wiege des Frühhumanismus. Insofern ist das Konstanzer Konzil auch eine Art moderner Marktplatz der Ideen und ein Schritt auf dem Weg zur Gewaltenteilung.
    Der Freiburger Historiker Thomas Martin Buck hat darüber gearbeitet und Bücher dazu publiziert. Michael Köhler hat mit ihm über die Bedeutung des Konstanzer Konzils und seine Nachwirkungen gesprochen.
    Thomas Martin Buck: Das Konzil, das vom 5. November 1414 bis zum 22. April 1418 tagte, ist eigentlich als Reaktion auf die große abendländische Kirchenspaltung des Jahres 1378 zu verstehen. Innerhalb kurzer Zeit hatte das Kardinalskollegium zwei verschiedene Päpste gewählt. Die Kurie war kurz zuvor von Avignon nach Rom zurückgekehrt. Die Papstkirche war also an ihrer Spitze gespalten und das führte zu einer tiefgreifenden Sinn- und Ordnungskrise.
    Köhler: Es gab so was wie Gegenpäpste?
    Buck: Ganz genau. So wurde das genannt, dieses Phänomen. Das gab es allerdings schon früher, im Jahr 1046 einmal. Das heißt, es wurden zwei Päpste gewählt. Und es stellt sich dann natürlich die Frage, wer eigentlich legitim im Amt war.
    Köhler: Was geschah da? Aus der Uneindeutigkeit mehrerer Päpste wurde nun nach Verhandlungen so etwas wie weltliche und kirchliche Eindeutigkeit geschaffen, so was wie, ich nenne das mal, moderne Rechts- und Verhaltenssicherheit? Könnte man es so sagen?
    Buck: Das würde ich nicht so denken. Das heißt, man hat dann ab 1378 versucht, eine Lösung dieses Problems zu finden. Und hier spielten vor allem die spätmittelalterlichen Universitäten eine wichtige Rolle. Es wurden verschiedene Wege diskutiert, wie man diese Spaltung überwinden könnte. Und am Ende stand dann einfach die Konzilsfrage. Das war eigentlich ein kirchenrechtliches Problem, das bereits im Hochmittelalter diskutiert worden war und das man jetzt erstmals in die Praxis umsetzte. Das heißt, man glaubte, dass eigentlich die Gemeinschaft der Gläubigen, die durch das Konzil repräsentiert würde, eine Lösung für dieses Problem würde finden können. Dann hat man erstmals 1409 im Rahmen des Konzils von Pisa versucht, dieses Problem zu lösen – dann allerdings einen dritten Papst gewählt, was das Problem eigentlich potenzierte. Und dann das Konstanzer Konzil hatte die Aufgabe, diese drei Gegenpäpste abzusetzen und einen Papst, der dann auch mit Martin V. gewählt wurde, zu installieren und damit der Kirche an ihrer Spitze die Einheit wieder zu geben.
    Köhler: Sie haben beiläufig was Wichtiges gesagt. Sie haben von der Rolle der Universitäten gesprochen. Das ist natürlich ganz wichtig. Konstanz – wir müssen uns erinnern – ist zu der Zeit wichtiger als Rom vielleicht, bedeutender und wichtiger als Paris, der Ort der Gelehrsamkeit, und auch noch wichtiger als Prag.
    Buck: Genau.
    Köhler: Ich versuche, es modern zu sagen. Wenn die Universitäten und die neue Gelehrsamkeit und der Frühhumanismus dort so wichtig sind und werden, ist es dann der Konflikt von kirchlicher Dogmatik und gebildeter Diskurskultur? Könnte man es so sagen?
    "Auch ein Forum des Humanismus"
    Buck: Ich würde einfach denken, dass das Konzil eine Art Forum war, auch ein Forum des Humanismus. Es gibt eine Schweizer Publikation mit dem Titel "Rom am Bodensee". Die Gelehrten, vor allem die geistlichen Gelehrten, kamen nach Konstanz. Das Konzil war ja von Johannes XXIII. Einberufen worden. Dort versammelte sich sozusagen die intellektuelle Elite Europas, um ein Problem zu lösen, aber nicht nur dies.
    Köhler: Wir haben eine Zeit, in der 90, wenn nicht gar noch mehr Prozent der Bevölkerung Analphabeten sind.
    Buck: Ja! Aber das gilt natürlich für den Klerus nicht. Das Konzil, muss man sehen, war zunächst mal eine kirchlich-geistliche Versammlung. Das heißt, es gab immer wieder Konzilien. Ich glaube, das letzte vor Konstanz beziehungsweise vor Pisa war in Vienne. Das heißt, man hat versucht, hier bestimmte Entscheidungen zu forcieren im Blick auf Probleme, die in der Kirchengeschichte aufgetreten sind.
    Das Konstanzer Konzil verstand sich in dieser Tradition als ökumenisches Konzil. Die Synodalen trafen sich dort. Das, was Sie jetzt ansprechen, ist eher der äußere Rahmen. Das heißt, im Rahmen des Konzils fanden auch Reichstage statt. Die weltlichen Großen waren präsent, die Stadt war natürlich als Konzilsstadt beteiligt und so weiter. Aber das betraf eigentlich zunächst mal die Synodalen nicht, die in der Konzilsaula tagten und dort ihre theologischen Probleme, unter anderem die causa fidei, die causa unionis und die causa reformationis besprachen.
    Köhler: Nun wollen wir nicht unterschlagen, dass es ja auch so was gibt wie ein sehr bodenständiges Interesse von König Sigismund, der das Ganze einberufen hat, nämlich er wollte so was herstellen – ich mach's mit meinen Worten – wie seine Autorität sichern und auch so was wie Loyalität erzeugen. Ist das richtig?
    Buck: Was verstehen Sie unter Loyalität?
    Köhler: Na ja, sich Legitimität zu verschaffen durch einen Papst und nicht gefälligst durch drei, die man anzweifeln kann, und Kritiker auszuschalten.
    "Kirche hatte großes Interesse daran, an ihrer Spitze wieder Einheit herzustellen"
    Buck: Ja, da haben Sie unter Umständen recht. Es ging um die Kaiserfrage. Sigismund war ja kurz vor dem Konstanzer Konzil in Aachen erst zum deutschen König gekrönt worden. Das heißt, es ging tatsächlich um die Frage, hier wieder Einheit an der Spitze der Kirche herzustellen. Aber daran hatte sicher nicht nur Sigismund ein Interesse. Klar: Er war für die Kirche zuständig. Das war eigentlich ein Anspruch, den die mittelalterlichen Herrscher seit dem Frühmittelalter hatten. Aber auch die Kirche selbst hatte ein großes Interesse daran, an ihrer Spitze wieder Einheit herzustellen, um zu wissen – das hat ja auch mit dieser Heilserwartung der Zeit zu tun. Ich hatte das ja auch anfangs formuliert: Es geht tatsächlich um eine Sinn- und Ordnungskrise. Ganz Europa war eigentlich mehr oder weniger gespalten. Es gab unterschiedliche Gehorsamsbereiche und so weiter. Man könnte eigentlich auch von einer frühen Form der Kirchenspaltung vor der Reformation sprechen.
    Köhler: Das Ganze hatte aber einen Preis. Kritiker wie Jan Hus, die wurden öffentlich verbrannt.
    Buck: Okay, das Verfahren gegen Hus lief bereits seit 1410. Hus war nicht bereit, nach Rom zu ziehen und sich dort zu verantworten, ganz ähnlich wie Martin Luther. Der Inquisitionsprozess wurde in Konstanz weitergeführt. Thomas A. Fudge im Bereich der angelsächsischen Forschung hat ganz klar gezeigt, dass dieser Inquisitionsprozess nach gewissen Regeln erfolgte. Und Sie haben völlig recht: Hier wurde im Bereich der causa fidei eine schicksalsschwere und dramatische Entscheidung getroffen. Das heißt, Jan Hus wurde am 6. Juli 1415 hingerichtet, ein Jahr später Hieronymus von Prag. Das hat dann unter anderem später zur hussitischen Revolution und zur ersten großen Kirchenspaltung geführt.
    Köhler: Würden Sie zustimmen, wenn ich sehr frei interpretiere, dass das Konstanzer Konzil so etwas ist wie ein Modernisierungsschub im Frühhumanismus, der auf etwas hinausläuft, was wir modern Gewaltenteilung nennen würden? Oder ist das zu vollmundig?
    "Konzil sah sich selbst als Repräsentation der Gesamtkirche"
    Buck: Im Ansatz würde ich dem zustimmen, vor allem im Blick auf Forschungen des Berliner Historikers Johannes Helmrath oder des Kölner beziehungsweise Frankfurter Historikers Heribert Müller, die ja das Konzil als polyvalentes Phänomen fassen und auch einordnen in die vormoderne Versammlungsgeschichte beziehungsweise die Geschichte des Parlamentarismus. Sie sprechen hier also einen Aspekt an: Es geht um die Frage, woraus besteht eigentlich Kirche. Das heißt, was ist Kirche verfassungsrechtlich, im kirchengeschichtlichen Sinn? Wer bestimmt, das korporative Prinzip oder das hierokratische Prinzip? Und in Konstanz kam es durch die Flucht des Papstes tatsächlich dahin, dass das Konzil sich selbst als Repräsentation der Gesamtkirche verstand und in gewisser Hinsicht sogar eine Superiorität, also eine Überordnung über den Papst für sich in Anspruch nahm. Das hat eine ganz, ganz wichtige Bedeutung gehabt in der Vormoderne, in der frühen Neuzeit, und ordnet sich eigentlich in eine moderne Geschichte – ich sage es jetzt mal etwas gewagt – des Parlamentarismus ein, des kirchlichen Parlamentarismus.
    Köhler: Ein Letztes vielleicht. Muss man sich das – ich formuliere sehr salopp – wie eine ziemlich große Party vorstellen? Das war ja zugleich Volksfest und Jahrmarkt und was nicht alles auch. Wir sind in einer Zeit, noch 40 Jahre, bevor Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfindet. Wir müssen uns klarmachen, von welcher Zeit wir sprechen.
    Buck: Das äußere Geschehen als Party zu bezeichnen, ist sicher aus unserer Sicht eventuell legitim. Es hatte teilweise wahrscheinlich auch Volksfestcharakter. Es gab große Zeremonien, Einzüge, dann ritualisierte Belehnungen, die natürlich ein großes Zuschauerinteresse hervorriefen. Aber ich glaube, man muss schon trennen, dass man sagt, das Konzil einerseits ist eine geistliche Veranstaltung, ...
    Köhler: Die immerhin im Münster stattfand.
    Buck: Ganz genau, mit einer ganz eigenen Liturgie. Das vollzog sich relativ abgeschlossen von der Öffentlichkeit. Und dann gibt es für die Öffentlichkeit diesen Konzils-Chronisten, der von außen auf dieses Konzil schaut.
    Köhler: Über den haben Sie gearbeitet. Ein Herr, ich glaube, Richental.
    Buck: Ganz genau. Ulrich von Richental. Der hat dann versucht, diese Phänomene zu beschreiben, den Alltag der Stadt. Von daher hat es natürlich schon als vormoderne Großversammlung den Charakter eines großen Volksfestes. Aber ich glaube nicht, dass man damit eigentlich den Kern der Sache trifft.
    Köhler: Der wäre mit Ihren Worten, kurz gesagt?
    Buck: Das Eigentliche, was mich bewegt, ist tatsächlich dieses Dekret Haec sancta, das ja teilweise auch von Politologen als revolutionär bezeichnet wurde, weil die Synode hier beschließt, dass sie unmittelbar von Christus eingesetzt sei, dass sie die Welt- oder Universalkirche repräsentiert und dass ihr im Blick auf Glaube, Reform und Einheit der Kirche Gehorsam zu schulden sei. Das heißt, hier haben wir ein ganz klares kollegial-korporatives Prinzip, das eigentlich politologisch in die Zukunft weist und eigentlich bis zum Zweiten Vatikanum in der Kirche auch wirksam war.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.