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Konstruktiver Journalismus
Alte Tugenden in neuer Verpackung?

Nicht nur über Probleme berichten, sondern auch Lösungen für Probleme anbieten: Das will der sogenannte konstruktive Journalismus. In Deutschland ist mit diesem Ansatz vor Kurzem das Onlineportal "Perspective Daily" gestartet - aber auch in Österreich und der Schweiz findet die Idee Anklang. Bei einem Workshop in Wien tauschten sich Journalisten über Sinn und Möglichkeiten der neuen Form aus.

Von Raffael Fritz | 07.05.2016
    Auf der Website eines E-Mail-Providers wird am 20.12.2012 in Frankfurt am Main (Hessen) auf den "Weltuntergang im Live-Ticker" hingewiesen, der mit einem Klick zu erreichen ist.
    Weniger skandalisieren, dafür Alternativen anbieten: Das will der konstruktive Journalismus. (dpa / picture alliance / Frank Rumpenhorst)
    Montag Nachmittag in einem Seminarraum des Wiener Rathauses. Dreizehn Medienmenschen rücken die Stühle zum Halbkreis - um die nächsten Stunden über konstruktiven Journalismus zu reden. Von dem Begriff haben alle im Raum schon gehört –doch nicht alle sind sich sicher, was er zu bedeuten hat. Geht es darum, neben den negativen auch mal positive Nachrichten zu bringen? Soll man dabei Weltrettungsprojekte vorstellen? Oder handelt es sich mehr um eine allgemeine Geisteshaltung? Die Antworten hat Workshop-Leiter Michael Gleich:
    "Für mich geht’s um einen kritisch-konstruktiven Journalismus, das heißt, die Journalisten, die ihr Erkenntnisinteresse auf Lösungen richten, schauen genau hin, recherchieren sorgfältig, ist es wirklich eine Lösung oder ist es eine Scheinlösung. Sie recherchieren auch, wo die Risiken und Nebenwirkungen einer Lösung sind, denn die gibt es immer. Und damit unterscheidet es sich eben von Reklame oder PR, die sagt: Ha, hier haben wir ein Problem und da ist die einfache Lösung. Das eben nicht."
    Negativ-Berichterstattung geht an der Wirklichkeit vorbei
    Seit 20 Jahren konzentriert sich Michael Gleich auf Lösungen statt nur auf Probleme. Mit seinem Projekt "Peace Counts" ist er etwa durch die Welt gereist, um erfolgreiche Initiativen zur Friedensstiftung vorzustellen - von Nordirland bis Nigeria. Denn Kriege machen Schlagzeilen, während Friedensschlüsse in den vermischten Meldungen versteckt werden. Der Giftstoff der Woche bekommt mehr Sendezeit als die Erfolge von Bio-Bauern. Oder - wie ein tibetisches Sprichwort besagt: Ein Baum, der umfällt, macht mehr Lärm als ein Wald, der wächst. Konstruktiver Journalismus will dieses Missverhältnis.
    Only bad news are good news: Diese Binsenweisheit hat ausgedient, sind sich alle einig. Ständige Negativ-Berichterstattung gehe nicht nur an der Wirklichkeit vorbei, sondern auch an den Interessen des Publikums:
    "Es gibt auch Experimente, zum Beispiel eines der großen Online-Medien, Spiegel Online, die mit zwei Varianten ein- und derselben Geschichte experimentiert haben. Die eine war nur kritisch, über Kakao-Anbau und Kinderarbeit in Ghana, und die andere hatte noch einen konstruktiven Aspekt, nämlich: Was können Sie als Verbraucher selber tun? Und diese konstruktive Variante wurde deutlich öfter angeklickt."
    Die Workshop-Teilnehmer kommen aus Österreich und der Schweiz - da ist alles dabei von der Ressortchefin bei den Fernsehnachrichten über den freischaffenden Dokumentarfilmer bis zur Internetjournalistin bei einem Jugendmedium:
    "Mein Name ist Hanna Herbst, ich bin stellvertretende Chefredakteurin bei Vice in Österreich und schreib hauptsächlich über Politik."
    "Wie ist es dann eigentlich bei deinem Medium, weil Vice ist ja dafür bekannt, oft ein bisschen zu skandalisieren, zu überspitzen. Ist es da vielleicht auch schwieriger, konstruktiv zu arbeiten, also konstruktive Beiträge zu bringen?"
    "Find ich gar nicht! Mir persönlich fällt es oft schwer, konstruktiv zu sein, das weiß ich auch, weil ich oft im ersten Moment so ein - was soll das, das regt mich jetzt auf - bin. Und dann fällt’s mir oft schwer zu überlegen, okay, wie konkret kann ich jetzt überlegen, dass es besser wird oder wer macht’s schon besser oder wo kann man sich inspirieren lassen, dass es - dass man selber auf Ideen kommt."
    Alte Tugenden in neuer Verpackung?
    Egal ob bei einer arrivierten Tageszeitung oder beim jungen Internetportal Vice – Politikjournalisten in Österreich grübeln vor allem über eine Frage: Wie man mit der rechtspopulistischen FPÖ umgehen soll. Dämonisierung scheint jedenfalls der falsche Weg zu sein:
    "Man muss mit der FPÖ anders umgehen. Aber es weiß keiner, WIE geht man mit der FPÖ anders um. Das sind dann Fragen, die man sich stellt, aber oft findet man keine Antwort dazu. Und ich hoff irgendwie, dass da konstruktiver Journalismus eine Antwort darauf hat vielleicht."
    Für solche Probleme bietet auch der lösungsorientierte Journalismus keine Patentlösung. Und in seiner Kürze hat der Workshop eher inspirativen Charakter. Für Michael Gleich war das auch Sinn der Sache:
    "So ein Workshop wie hier scheint, so zeigen die Feedbacks der Kolleginnen und Kollegen, zu inspirieren. Also auch Kollegen, die sehr desillusioniert sind auch über die Einseitigkeit dessen, was sie oft im Redaktionsalltag tun, wo dann wirklich nur die alarmistische oder negative Nachricht gebracht werden kann, und die Frage nach Lösungen braucht ja Hintergrundberichterstattung und da ist oft kein Platz für. Und ich hab den Eindruck, dass die Kollegen mit einer positiven Inspiration nach Hause gehen."
    Das komplette Bild darstellen, den Fokus nicht nur auf Probleme, sondern auf Lösungen legen - besonders bahnbrechend ist das nicht. Doch alte Tugenden brauchen vielleicht hin und wieder eine neue Verpackung, um in Erinnerung zu bleiben.