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Konsumkultur
Teilen statt Besitzen

Seit einigen Jahren boomt die sogenannte "Share-Economy". "Nutzen statt Besitzen", ist deren Slogan, man gebraucht Dinge gemeinschaftlich, teilt Autos, Werkzeug, Wohnraum oder auch Gemüsebeete. Damit, so Kapitalismuskritiker und Umweltschützer, sei eine neue Ära eingeläutet, ein Wandel von der Ich- zur Wir- Gesellschaft, geprägt von einer Ethik des Teilens, ressourcenschonend, ökologisch, nachhaltig.

Von Ingeborg Breuer | 13.11.2014
    "Gerade beginnen wir die Umrisse einer neuen weltweiten Wirtschaftsordnung zu erblicken, die auf 'kollaborativen', gemeinschaftlich geteilten Gütern basiert."
    Der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin sieht eine neue Art der Ökonomie heraufziehen.
    "Das Wirtschaftsleben wird auf neue Weise organisiert. Menschen beginnen Informationen, Energie, materielle Güter selbst zu produzieren und miteinander zu teilen und dabei den traditionellen kapitalistischen Markt zu umgehen."
    Dieses neue Wirtschaftsleben beschreibt Rifkin in seinem im August erschienenen Buch "Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft". Es wird die ganze Gesellschaft umkrempeln.
    "Es ist ein bemerkenswertes historisches Ereignis mit langfristigen Folgen für die Gesellschaft."
    "Er hat eine Utopie formuliert, die von einer gewissen Form der Wunschdenkens und der Provokation geprägt wird."
    So Prof. Daniel Veit von der Universität Augsburg über die Vision des Jeremy Rifkin. Daniel Veit selbst betreut ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zur sogenannten „Sharing Economy", der Ökonomie des Teilens.
    "Die Idee ist eine sehr schöne. Das Happy End der Digitalisierung wäre dann erreicht, aber es ist unter einer gewissen Vereinfachung der tatsächlichen Umstände der Realität gedacht. Und deshalb bin ich durchaus skeptisch, ob es zu dieser Extremform kommen wird."
    Geteilt wurde auch schon früher
    Dass Menschen Dinge miteinander teilen, ist eigentlich gar keine neue Idee. Schon lange gibt es Mitwohnzentralen, Mitfahrzentralen oder Second-Hand-Läden.
    "Gerade nach dem Krieg war es eine ökonomische Notwendigkeit zu teilen, leihen, tauschen, weil es wenig gab." Dr. Carolin Baedeker vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie.
    "Dann gibt es seit Jahrhunderten immer schon eingeübte Formen wie Bibliotheken. Und in den 70er-Jahren war der Fokus auf den Kommunen, wo das ein Grundtenor war, gemeinschaftlich leben, und da gemeinschaftlich Ressourcen zu nutzen."
    Geteilt wurde also auch schon früher. Doch das Internet vereinfacht den gemeinschaftlichen Gebrauch von Dingen. Nie war es so leicht Anbieter und Nachfrager zusammenzubringen, um Schlafcouchs, Kleinkredite, Autos, Kleider oder Gemüsebeete zu teilen. Und das heißt,
    "...dass sehr viel breitere Bevölkerungsgruppen in der Lage sind, sich gegenseitig zu helfen, indem sie Ressourcen teilen, die vorher nur einzeln genutzt worden sind. Zum Beispiel die Autos als typisches Beispiel, die 23 Stunden im Schnitt stehen, sind dadurch potentiell effektiver nutzbar. Und dadurch ist potentiell gesellschaftlich auch ein höherer Wohlstand mit weniger Kosten erreichbar."
    Ökologische und wirtschaftliche Gründe
    Ist aber mit einer solchen Wirtschaft des Teilens wirklich der Wandel von der Ich- zur Wir-Gesellschaft eingeläutet, wie es Rachel Botsman, eine der Gallionsfiguren der „Collaborative Commons"-Bewegung in ihrem Buch „What's mine is yours", also „Was meins ist, ist deins" beschrieb? Tritt an die Stelle des Besitzindividualismus eine Art Netzsozialismus? Eine „Ethik des Teilens", wie es auch heißt, noch dazu ressourcenschonend, ökologisch, nachhaltig? Carolin Baedeker hat für die Heinrich-Böll-Stiftung eine Studie zum Thema „Nutzen statt Besitzen. Auf dem Weg zu einer ressourcenschonenden Konsumkultur" durchgeführt. Die Motive für das Teilen von Gütern sind vielfältig.
    Bei unterschiedlichen Generationen gibt es unterschiedliche Gründe. Zum Beispiel, dass man, wenn man ökologisch denkt, eher „nutzen statt besitzen" wird. Bei den Älteren, vielleicht steht da immer noch der ökonomische Aspekt im Vordergrund. Was jetzt neu ist, dass diese Art des Konsumierens als soziale Interaktion verstanden wird. Bei der jüngeren Generation, kommt vielleicht hinzu, ich will mich nicht belasten, ich muss flexibel sein.
    In der Regel, so das Ergebnis der Studie, ist das Teilen von Kleidung oder Werkzeug durchaus ressourcenschonender als der Neuerwerb von Gütern. Allerdings sind auch die sogenannten "Rebound-Effekte" nicht zu unterschätzen. Das heißt dem Ressourcen-Einspar-Potential steht auf der anderen Seite ein erhöhter Verbrauch von Ressourcen gegenüber. Etwa wenn Verpackungs- und Transportwege für die im Internet getauschte Kleidung entstehen. Oder das durch den Kleidertausch gesparte Geld dafür verwendet wird, weitere - also mehr - Kleidungsstücke zu erwerben. Und beim Tausch von Werkzeugen muss man berücksichtigen:
    "Es sollten eher selten genutzte Geräte sein, die man sich im Werkzeugverleih holt. Weil wenn ich jetzt mit dem Auto einmal die Woche zum Baumarkt fahre und mir einen Rasenmäher leihe, dann werde ich wahrscheinlich die Einsparpotentiale des Leihens statt Kaufens wieder aufheben. Und dann gehe ich besser zum Nachbarn und leihe mir den Rasenmäher bei ihm."
    Nachhaltig oder doch rein profitorientiert?
    Zwiespältig ist auch die Nachhaltigkeitsbilanz von Mitwohn-Portalen, die entweder gratis - wie bei "Couchsurfing" - oder gegen Bezahlung - wie bei "AirBnB" - Touristen bereits bestehenden Wohnraum anbieten. Dadurch werde der Bau neuer Hotels überflüssig, sagen Optimisten.
    "Ich war neulich ganz erstaunt, als eine Kollegin auf einer Konferenz das sogenannte Air BnB als ein positives Beispiel hervor hob für eine nachhaltigkeitsorientierte Form des Sharing."
    Prof. Niko Paech, Nachhaltigkeitsforscher an der Uni Oldenburg: "Das heißt also, wenn ich mit dem Flugzeug nach Amerika fliege, dann kann ich über AirBnB eine besonders günstige Unterkunft finden. Auf diese Weise wird es überhaupt erst lukrativ oder finanziell erschwinglich für mich, einen Aufenthalt in Amerika zu organisieren, weil ich vorher vielleicht gezwungen war, eine Hotel-Übernachtung zu bezahlen."
    Auch die neuen Car-Sharing-Dienstleister, bei denen Autos per Smartphone an einer Stelle der Stadt gemietet und an einer anderen wieder abgestellt werden können, scheinen bislang wenig ressourcensparende Effekte zu haben. So jedenfalls das Ergebnis der im August erschienenen Studie "Urbane Mobilität im Umbruch", das allerdings von Car-Sharing-Anbietern in Frage gestellt wird. Stefan Weigele, Mitbegründer von "Civity", einem Beratungsunternehmen für öffentliche Dienstleister, betreute die Studie:
    "Wenn man sich die Metropolen anschaut, Köln, Düsseldorf, Berlin, München, Hamburg, dort kommen wir in allen Städten auf einen Promilleanteil lediglich des Verkehrsgeschehens, also o,1 Prozent der durchgeführten Fahrten pro Tag oder Jahr findet mit diesen Fahrzeugen statt. Dann sind das sehr kurze Distanzen, die damit abgewickelt werden, wo wir sagen, diese Fahrt wäre auch mit dem öffentlichen Verkehrsmittel oder dem Fahrrad möglich gewesen."
    Carsharing aus Bequemlichkeit
    Die neuen Carsharing-Dienste leisten, so das Ergebnis der Studie, keinen Beitrag zur Entlastung des Verkehrs in den Ballungsräumen. Sie bedienen vielmehr eine, so heißt es, "motorisierte Bequemlichkeitsmobilität im Nahbereich", genutzt vor allem für die Freizeitaktivitäten urbaner, kreativer Milieus.
    "Das heißt, Leute, die Spaß haben an der Smart-Phone-Technologie, technikaffin sind und das nutzen als bequeme Mobilitätsform. Das ist weniger ein Berufspendler, dafür ist es auch zu teuer. Das ist unserer Einschätzung nach auch nicht die Wochenend-Einkaufsfahrt, die ich mit einem stationären Carsharing-System mache. Also mit 'Car 2 Go' Sprudel zu kaufen, wird richtig teuer."
    Stefan Weigele hat aber durchaus Vorstellungen davon, wie Carsharen zu einem nachhaltigen Mobilitätssystem entwickelt werden könnte.
    "Man könnte weiter denken in Richtung selbst fahrender Autos. Wenn ich dann vollautomatische Google-Autos habe, die dann sich wieder umdisponieren und dorthin fahren, wo die nächste Bestellung herkommt. Aber das ist noch ein weiter Weg, das sehe ich in den nächsten Jahrzehnten nicht. Auch ein visionärer Ansatz, man könnte solche Systeme massiv ausweiten, im Gegenzug das private PKW-Parken massiv einschränken. Bloß - welche Kommune traut sich das am Ende?"
    Während übrigens die klassischen Car-Sharing-Dienstleister mit festen Abgabestationen, so Stefan Weigele, eher ökologisch-genossenschaftliche Ideale hatten, stehen hinter den neuen Anbietern Konzerne wie Daimler oder BMW. Diese Entwicklung mag ein Kennzeichen der ganzen Ökonomie des Teilens sein. Entstanden ursprünglich aus kommunitaristisch- ökologischen Idealen werden daraus zunehmend renditeorientierte Geschäftsmodelle. Die Taxikonkurrenz Uber oder auch das Mitwohnportal "AirBnB" machten in letzter Zeit Schlagzeilen mit ihren zweifelhaften Geschäftsmodellen.
    Privates wird vermarktet
    "Es ist schwierig, weil es im Augenblick zwei Strömungen gibt. Die eine Strömung ist, dass die Sharing Economy durch ein stärkeres Teilen ein Wir-Gefühl und eine ökologische Nachhaltigkeit fördern kann. Auf der anderen Seite ist aber gerade in den jungen Unternehmen natürlich das Gegenteil passiert. Wenn man sich ansieht wie Uber und 'AirBnB' agiert, mit 20 Prozent Marge für eine praktisch nicht existierende Wertschöpfung außer der Tatsache, dass sie Angebot und Nachfrage zusammengebracht haben, dann ist das schon eine Situation, die alles andere als sozial und nachhaltig ist."
    Kritiker merken an, dass durch das Teilen des eigenen PKWs oder der eigenen Wohnung das vormals Private buchstäblich vermarktet wird. Man kann sogar seine eigene Arbeitskraft direkt auf entsprechenden Plattformen anbieten und verteilt sie auf verschiedene Firmen. Der weißrussische Netzkritiker Evgeny Morozov nennt die Sharing Economy deshalb einen „Neoliberalismus auf Steroiden", also einen besonders hochgezüchteten Neoliberalismus. Die Idee des kollaborativen Konsums bleibe nicht nur innerhalb der kapitalistischen Logik, sie verschlinge auch die letzten Refugien sinnfreien Vorsichhinlebens. Auf jeden Fall, so Prof. Daniel Veit, bedürfe es politischer Interventionen, die die boomenden Geschäfte der neuen Sharing-Economy regulieren.
    "Wir brauchen eine politische Regulierung, eine Gesetzgebung und eine klare Aussage wie solche Geschäftsmodelle funktionieren können. Zum Beispiel das Nutzen von Privatautos als Taxis, da stellt sich ja sofort die Frage, der Taxifahrer hat den Versicherungsvertrag, der bei 5.000 Euro im Jahr liegt, der Privatfahrer sagen wir etwa bei 1.000, ... und die Situation ist die, dass der private Vertrag überhaupt nicht dafür gedacht ist, Personen zu transportieren. D.h. die Gesamtkosten, die der Taxisfahrer zahlen muss, kommen derart nicht zum Einsatz, deshalb kann man den Dienst günstiger anbieten.
    Neues ökonomisches Modell
    Die Vision, dass mit dem Zeitalter der Sharing Economy eine neue, bessere Welt anbricht, in der Ressourcen vertrauensvoll miteinander geteilt werden, und am Ende alle profitieren: die Umwelt, die Konjunktur, die Lebensqualität, ist mittlerweile geplatzt. Dennoch halten manche, wie Nachhaltigkeitsforscherin Carolin Baedeker oder Daniel Veit das Prinzip, „Teilen statt Besitzen" auch weiterhin für eine Chance, Überfluss zu reduzieren. Für andere, wie den Kunsthistoriker und Konsumforscher Prof. Wolfgang Ullrich wird eine Welt des Teilens eher noch konsumorientierter. Ähnlich sieht das auch Niko Paech:
    "Oft sind das Geschäftsmodelle, die schlicht und ergreifend unsere Konsumwelt nachverdichten. Das heißt, wir reduzieren im Prinzip überhaupt nicht unseren Konsum, sondern wir fügen unserem Konsum noch weitere Leistungen hinzu, die darin bestehen, dass wir jetzt Geräte, die wir vormals gar nicht gekauft haben, plötzlich mieten."
    "Das ist das erste neue ökonomische Modell, das auf der Weltbühne auftaucht, seit der Entstehung von Kapitalismus und Sozialismus zu Anfang des 19. Jahrhunderts."
    Jeremy Rifkins Prognose jedenfalls, dass sich geradezu eine Revolution der Ökonomie ereignet, scheint fehlzugehen. Das Bedürfnis, mit neuen Geschäftsideen auch Profit zu machen, ist tief in unseren Gesellschaften verwurzelt. Auch wenn Daniel Veit durchaus glaubt, dass der Kapitalismus durch die Sharing Economy sein Gesicht wieder einmal wandeln wird.