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Kontroverse im Klassenzimmer
Dänische Schüler diskutieren über Zuwanderungspolitik

Die Debatte über Grenzen der Integration hat längst die dänischen Klassenzimmer erreicht. Auch wenn die Schülerinnen und Schüler noch nicht wählen dürfen, machen sie sich kurz vor der Parlamentswahl Gedanken über die politische Entwicklung ihres Landes.

Von Jana Sinram | 20.04.2019
    Lehrerin Katrine Vinther Nielsen an der Tafel im Klassenzimmer
    Katrine Vinther Nielsen spricht regelmäßig mit ihren Schülern über Dänemarks Integrationspolitik (Deutschlandradio / Jana Sinram)
    Montagmorgen in der Beder Skole in Aarhus. Lehrerin Katrine Vinther Nielsen ist auf dem Weg in ihre neunte Klasse – auf dem Stundenplan steht in der ersten Stunde Gesellschaftskundeunterricht.
    Gemeinsam mit einem Kollegen sammelt Nielsen als Erstes die Handys ihrer Schüler ein.
    "Johanna? Maria? Okay. Matilda?"
    Die Beder Skole ist eine typische dänische Volksschule – von der ersten bis zu neunten Klasse werden die Kinder hier unterrichtet. Heute soll es um die bevorstehende Parlamentswahl und die Einwanderungspolitik gehen – auch, aber nicht nur wegen des Besuchs aus Deutschland. Katrine Nielsen:
    "Wir haben schon darüber gesprochen, weil wir vor ein paar Wochen unsere Schulwahl hatten. Dafür lädt man in Dänemark Nachwuchspolitiker zu einer Debatte ein, und dann stimmen die Schüler ab."
    Simulierte Wahl im Klassenzimmer gewinnen Sozialdemokraten
    Die Schulwahl hat Ende Januar schon zum dritten Mal stattgefunden. In ganz Dänemark stimmen die Schüler über fiktive Mandate im Kopenhagener Folketing ab, ganz realistisch mit Stimmzetteln, Wahlurnen und geheimer Auszählung. Finanziert wird das politische Planspiel vom Parlament und vom Bildungsministerium. Gewonnen hat die Jugendorganisation der Sozialdemokraten – mit großem Abstand vor der liberalen Jugend der regierenden Venstre-Partei. Die Dänische Volkspartei kam bei den Schülern auf gut acht Prozent - das ist nur gut halb so viel wie das, mit dem die Rechtspopulisten bei der Parlamentswahl rechnen können.
    Um eine Debatte anzuregen, startet Lehrerin Katrine Nielsen an diesem Montag ein kleines Experiment.
    Wer findet, dass so wenig neue Einwanderer nach Dänemark kommen sollen wie möglich, soll auf die rechte Seite des Klassenraums gehen, wer alle willkommen heißen will, auf die linke. Die Jugendlichen lachen, wenige gehen nach ganz links, einige nach ganz rechts, die meisten bleiben irgendwo in der Mitte stehen. Wie ein blondes Mädchen, das sich meldet, als die Lehrerin nach Freiwilligen fragt, die ihre Entscheidung begründen wollen.
    Sie finde, dass man schon einige Ausländer integrieren könne, aber härtere Forderungen stellen solle, damit nur fähige Ausländer nach Dänemark kämen, sagt die Schülerin. Ein Mädchen mit dunklen Haaren hat sich im Klassenzimmer weiter nach rechts gestellt.
    "Also, wenn so viele kommen, beeinflussen die unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft auf eine negative Art und Weise. Viele dänische Werte brechen weg. Deshalb finde ich, man sollte das begrenzen."
    Ein kontroverses Thema für die Schüler
    Zwei Mitschülerinnen auf der linken Seite des Raumes sind völlig anderer Meinung.
    "Ich denke, man sollte andere willkommen heißen, die in einer unguten Situation sind und nirgendwo anders hinkönnen. Und dann sollte man sein Bestes tun, um sie zu integrieren."
    "Und ich bin gegen das, was sie auf dieser Insel machen wollen, dass sie die Leute total von der dänischen Gesellschaft isolieren. Und wenn Leute, die integriert sind und eine Arbeit haben, ausgewiesen werden, das finde ich total verkehrt."
    Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Unter Dänen. Über die Grenzen der Integration".
    "Diese Insel", das ist die winzige Insel Lindholm in der Ostsee bei Møn. Ab 2021 sollen hier fernab vom Festland abgelehnte und kriminelle Asylbewerber untergebracht werden, die aus humanitären Gründen nicht sofort in ihre Heimatländer zurückgebracht werden können. So hat es die liberal-konservative Minderheitsregierung gemeinsam mit der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei beschlossen.
    Das sei etwas, das ihre Schüler sehr beschäftigt, sagt Katrine Nielsen. Vor einigen Wochen hat sie einen Parlamentsabgeordneten der Dänischen Volkspartei in den Unterricht eingeladen.
    "Er war zwei Stunden bei uns, und da haben wir auch ganz viel über die Insel geredet. Lindholm war ein großes Thema."
    Rechtspopulistischer Politiker als Diskussionsgast
    Eingeladen hat die Lehrerin den Politiker vor allem deshalb, weil der kurz zuvor mit der Aussage in einem Interview für eine heftige Debatte gesorgt hatte.
    "Ich habe Alex Ahrendtsen eingeladen, weil er gesagt hat, dass die Lehrer in Dänemark ihre Schüler indoktrinieren. Ich habe ihm geschrieben, dass ich erschrocken bin, das zu hören, weil wir das nicht tun. Und dass ich ihn gerne einladen will, mit mir und meinen Schülern darüber zu diskutieren."
    Die Debatte sei dann sehr gut und offen gewesen, sagt die Lehrerin. Natürlich habe sie sich vorher Gedanken darüber gemacht, ob sich die Jugendlichen von der rechten Rhetorik des Politikers beeinflussen ließen. Das Ergebnis der Schulwahl habe aber eher das Gegenteil bewiesen.
    "An unserer ganzen Schule hat nur ein einziger Schüler für die Dänische Volkspartei gestimmt. Das hat mich ein bisschen gewundert, nachdem wir den Politiker gerade vorher da hatten und ich dachte, dass er einen guten Eindruck auf die Schüler gemacht hat."
    Die Kinder in ihrer neunten Klasse sehen das ein bisschen anders.
    Es war total schwer, eine konkrete Antwort aus ihm herauszubekommen, sagt ein Mädchen.
    "Und die Dänische Volkspartei sagt, wir wollen möglichst alle ausweisen. Und klar, er muss ja sagen, wir sind die beste Partei der Welt, für uns muss man stimmen. Ich konnte da nichts Vernünftiges heraushören in Sachen Ausländerpolitik. Ich fand ihn total manipulierend."
    Klimaschutz und Klimaflüchtlinge
    Wenn sie bei der Parlamentswahl mit abstimmen dürften, würden sie für die anderen Parteien stimmen, sagen die Schüler. Die meisten von ihnen sind für die liberale Venstre-Partei.
    Was ihnen eigentlich wichtiger sei: Die Klima- oder die Integrationspolitik, fragt Lehrerin Katrine Nielsen dann noch. Da sind sich plötzlich fast alle einig.
    "Ich denke, das Klima ist das Wichtigste, denn wenn wir da nicht schnell was machen, haben wir bald lauter Klimaflüchtlinge."
    "Wir sagen auch: Klima. Die Debatte über die Einwanderer haben wir jetzt schon so lange. Der Fokus sollte auf dem Klima liegen, denn jetzt ist der Moment, wo wir da noch was machen können."
    "Und davon ist die ganze Welt betroffen. Das ist sehr wichtig."