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Kontroverse um argentinisch-iranische Wahrheitskommission

1994 wurde auf die AMIA, das jüdische Gemeinschaftszentrum in Buenos Aires, ein Bombenattentat verübt, 85 Menschen wurden getötet. Fast 19 Jahre später vereinbart die argentinische Regierung mit dem Iran die Einsetzung einer umstrittene Wahrheitskommission, um das Verbrechen endlich aufzuklären.

Von Victoria Eglau | 23.02.2013
    Buenos Aires, Pasteur-Straße 633. Hier befindet sich die AMIA, das Zentrum der jüdischen Gemeinschaft Argentiniens. Das Gebäude verbirgt sich hinter einer hohen Mauer, an der – weiß auf schwarz – 85 Namen stehen. Die Namen der 85 Menschen, die getötet wurden, als vor der AMIA am Morgen des 18. Juli 1994 eine Bombe explodierte.

    Fast neunzehn Jahre später ist das Verbrechen weder aufgeklärt noch gesühnt. Die argentinische Justiz verdächtigt ehemalige iranische Regierungsmitglieder, den Anschlag geplant zu haben. Und nun haben Buenos Aires und Teheran vereinbart, bei der Aufklärung zusammenzuarbeiten.

    "Wir haben einen sehr wichtigen Schritt getan: Wir haben Bewegung in einen Fall gebracht, der absolut blockiert war. Es gab bisher keinerlei Möglichkeit, jene Personen zu befragen, denen unsere Justiz eine Beteiligung am Attentat auf die AMIA vorwirft."

    sagte Argentiniens Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner in einer Fernsehansprache. Jetzt aber soll die argentinische Justiz jene Iraner, die sie für den Anschlag auf das jüdische Gemeinschaftszentrum verantwortlich macht, vernehmen dürfen – und zwar in Teheran. So sieht es die Vereinbarung mit der Regierung von Machmud Achmadinedschad vor.

    Außerdem ist eine Wahrheitskommission vorgesehen, deren Mitglieder, fünf internationale Juristen, von beiden Ländern bestimmt werden sollen. In Argentinien muss der Kongress grünes Licht für das Abkommen geben, am Donnerstag stimmte bereits der Senat zu.

    "Früher hat der Iran nicht mit uns kooperiert. Nun ist Teheran bei der Aufklärung des Anschlags erstmals zur Zusammenarbeit bereit. Außerdem erkennt die iranische Regierung die Zuständigkeit unserer Richter an, die sie jahrelang zurückgewiesen hatte."

    erklärte Außenminister Hector Timerman im Senat. Timerman entstammt der jüdischen Gemeinschaft Argentiniens, was aber keineswegs bedeutet, dass diese mit seiner Annäherung an den Iran einverstanden ist - im Gegenteil. Guillermo Borger, der Präsident des Gemeinschaftszentrums AMIA, sprach vor den Senatoren klare Worte:
    "Wir lehnen dieses Abkommen entschieden ab. Wir können eine Wahrheitskommission auf gar keinen Fall akzeptieren, weil die Wahrheit fast 19 Jahre nach dem Anschlag auf unser Zentrum auf dem Tisch liegt. Wir können keine Kommission akzeptieren, die über der argentinischen Rechtsprechung steht."

    Die argentinische Justiz fordert seit 2007 per internationalem Haftbefehl die Auslieferung von acht mutmaßlichen Drahtziehern des Attentats, darunter der amtierende iranische Verteidigungsminister Vahidi sowie Ex-Geheimdienstchef Ali Fallahian. Letzterer steht auch im Verdacht, für die Ermordung von vier kurdischen Exilpolitikern im Berliner Restaurant Mykonos mitverantwortlich zu sein.

    Während die Regierung Kirchner das Abkommen mit Iran als großen Fortschritt feiert, sind die meisten Familien der Opfer skeptisch. Laura Ginsberg verlor bei dem Anschlag auf die AMIA ihren Ehemann. Bekannt wurde sie als kämpferische Vorsitzende einer der Angehörigen-Vereinigungen. Die Argentinierin ist überzeugt, dass die Vereinbarung mit Iran das Aus für die Aufklärung des Attentats bedeutet.

    "19 Jahre sind vergangen, 19 Jahre Straflosigkeit. Wir sind der Meinung, dass das Abkommen mit Iran kein Fortschritt, sondern ein brutaler Rückschritt ist. Nehmen wir an, dass argentinische Richter tatsächlich die Beschuldigten befragen können. Wird Iran sie danach ausliefern? Nein. Und was wird unsere Regierung dann sagen? Sie wird sagen: Wir haben alles getan, was in unserer Macht stand, mehr können wir nicht tun. Wenn Sie, die Parlamentarier, dieser Vereinbarung zustimmen, setzen Sie einen Schlusspunkt unter die Aufklärung des AMIA-Attentats."

    so Laura Ginsberg vor dem Senats-Votum. Die Opposition nahm sich ihre Warnung zu herzen und stimmte gegen die Vereinbarung. Das will sie auch am kommenden Mittwoch im Abgeordnetenhaus tun, aber da die Regierung dort ebenfalls eine Mehrheit hat, wird nach der Abstimmung voraussichtlich der Weg für die argentinisch-iranische Kooperation frei sein. Diese werde vor allem der Regierung in Teheran nutzen, die ihr Image in der Welt verbessern wolle, meinen die Kritiker. In Lateinamerika hat Iran bereits einige Verbündete.

    Dass die Angehörigen der Opfer seit so langer Zeit vergeblich auf Gerechtigkeit warten, liegt auch am Versagen der argentinischen Justiz- und Regierungsbehörden nach dem Attentat. Bei der Suche nach den lokalen Hintermännern kam es zu gravierenden Unregelmäßigkeiten. Weil Spuren verschleiert und die Aufklärung behindert wurde, mussten die Ermittlungen 2004, zehn Jahre nach dem Anschlag, ganz von vorn beginnen.