Dienstag, 23. April 2024

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Konzeptkünstler Ernst Caramelle
"Gegen die Wahrnehmung hat die Wirklichkeit keine Chance"

Ironisch, alltagspoetisch und meistens abwaschbar: Seit 40 Jahren installiert, filmt und zeichnet Ernst Caramelle eigenwillige Konzepte, die Staunen machen. Mal kindlich, mal konstruktivistisch geht es um Vergänglichkeit und Aberwitz in der Wahrnehmung der sogenannten Wirklichkeit, der man nie trauen sollte. Oder doch?

Von Peter Backof | 11.05.2018
    Ernst Caramelle, Ohne Titel, Art Unlimited, 2011/Art Basel 42 © Der Künstler
    Ernst Caramelle, Ohne Titel, Art Unlimited, 2011/Art Basel 42 © Der Künstler (Marta Herford)
    "Alles ist in Wirklichkeit nicht wirklich". Nach diesem Motto entsteht die Konzeptkunst von Ernst Caramelle, 1952 in Hall in Tirol geboren. Er lebt und arbeitet in Frankfurt und New York. Man könnte ihn als Pionier einer interaktiven Kunst bezeichnen, da seine oft szenisch-prozesshaft nur für den Moment des Gesehen- oder Erlebtwerdens gebauten Installationen und Kunst-Spiele den Betrachter immer schon mit hineinrechnen, in die Matrix der Ausstellung. Klingt kompliziert? Wie das in der Praxis aussieht, zeigt das Museum Marta Herford in einer kleinen Werkschau.
    Ernst Caramelle: "Die Idee ist, einen Raum zu schaffen, der gleichzeitig Raum und Bild ist." - Autor: "Wir sind jetzt hier in so einem Schlauch." - Caramelle: "Ja!" - Autor: "Das ist fast schon so eine Tunnel-Situation." - Caramelle: "Ja!"
    Die Studiosituation, oben im Marta Herford, ist wirklich etwas unwirklich. Ein Raum ohne Fenster, Extremform eines White Cube; und da hinten an der Wand, denkt man, wenn man reinkommt, war der Künstler Ernst Caramelle so frech, einfach einen Teppich an die Wand zu hängen, einen Kelim, mit diesen typischen wohnlich-behaglichen Farben und geometrischen Ornamenten.
    Caramelle: "Vielleicht können wir mal hingehen." - Autor: "Das da hinten ist also eine Projektion." - Caramelle: "Das ist keine Projektion, sondern es ist ein..." - Autor: "Jetzt sehe ich das erst: es bewegt sich." - Caramelle: "Es bewegt sich! Und warum bewegt sich das? - Autor: "Ja, weil ich mich bewege."
    Es ist verschachtelt: In der Wand gibt es einen Durchbruch. Dahinter Stellwände und Spiegel, und erst so konstituiert sich das Bild. Es sieht immer noch aus wie ein Kelim, aber verflüssigt zu Traum-Schlieren; die geometrischen Formen verschieben sich perspektivisch entsprechend so, wie man sich als Betrachter dazu verhält.
    Wunder und Unerklärliches
    Ernst Caramelle: "Ein Freund von mir, ein Kabarettist, der hat jetzt ein Buch geschrieben und da hat er einen wunderbaren Satz gesagt. Philipp Mosetter ist das und der hat geschrieben: ´Gegen die Wahrnehmung hat die Wirklichkeit keine Chance´. Und das stimmt irgendwie."
    Und Ernst Caramelles Wirklichkeits-Studien erinnern einen an diese Kindheitserfahrung: Da liegt man so, gerade wach geworden, noch im Bett, diese Minuten zwischen Traum und Aufstehen, die Hand ganz nah vor den Augen auf dem Kopfkissen. Und dann sieht das so aus, als wären die Finger durchsichtig. Wahrnehmung, Zusammenrechnen der Bilder im Gehirn, Interpretation dessen als Realität, diese Gemengelage – ob man seinen eigenen Augen nun trauen kann oder nicht – beschäftigt den in Tirol geborenen aktuellen Rektor der Kunstakademie Karlsruhe zeitlebens. In den letzten Jahren dokumentiert er mit der Videokamera Wunder und Unerklärliches im Alltag.
    Caramelle: "Wie diese chinesischen Katzen da." - Autor: "Es winkt." - Caramelle: "Die winken, genau. Sozusagen die andere Macht."
    Man sieht in der Videoprojektion über eine ganze Wand Blätter im Wind. Aber eines davon rotiert offenbar – oder anscheinend; das ist bei Ernst Caramelle immer so die Frage – wie von höheren Mächten bewegt: ein grüner Propeller mit Turbo. So könnte man auch den im Herbst tanzenden Blättern zuschauen und darin gewollte Choreographien sehen. Philosophisch müsste man sagen, Ernst Caramelle vertritt die Weltsicht eines radikalen Konstruktivismus: Jede Wirklichkeit ist kopfgemacht. Grübelnd schwer wird es aber nicht. "Very angenehme Konzeptkunst" heißt seine kleine Werkschau im Marta Herford, wegen des Humors, der bei ihm auch immer mitschwingt.
    Ernst Caramelle: "Gibt es überhaupt unangenehme Konzeptkunst? Das natürlich bleibt offen. Diese Auffassung von Leichtigkeit, von Ambivalenz, das hat mich eigentlich immer schon interessiert; also ich habe nie so Ölmalerei und Plastiken, die in Stein gehauen sind, das habe ich nie gehabt. Das ist eigentlich immer eine Leichtigkeit, die sich durch mein ganzes Werk zieht."
    Ping Pong und Smileys
    Mit einem Kunst-Spiel ist er bereits in den 70er Jahren international bekannt geworden: "Video Ping Pong". Zwei Fernseher spielen sich an einer Tischtennisplatte Bilder und Bälle zu. Der Betrachter gerät dazwischen: Wirklich fliegende Bälle sieht man nicht. Ist alles nur Illusion? Oder: wer schaut wen an - in den filigranen Zeichnungen auf einer Herforder Wand?
    Zwei Punkte und ein Strich ergeben jeweils ein Gesicht, das einen anglotzt wie ein Smiley. Die Augen sind gefertigt aus holografischen Wackelbildchen; Miniaturfensterchen in weitere Wirklichkeiten. Typische Museumskunst ist das nicht. Typisch Ernst Caramelle aber alles: Man hat als Betrachter das Gefühl, mit hinein konzipiert worden zu sein, in seine Erlebnis- und Dialogsituationen, in denen alles relativ ist. Und das ist dann am Ende wirklich relativ sehr gut!