Samstag, 20. April 2024

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Konzerthappening mit DDR-Musik
"Eine eigene Poesie"

Mit der Musikrevue „Wir treiben die Liebe auf die Weide“ setzten sich die Musiker Paul Pötsch und Carsten Meyer mit der Musik der DDR auseinander. Ziel des Projekts sei es, einen anderen Blick auf den Sound der DDR zu vermitteln, sie dabei allerdings nicht zu verklären, sagte Paul Pötsch im Dlf.

Paul Pötsch im Corsogespräch mit Raphael Smarzoch | 06.08.2019
Paul Pötsch singt auf der Bühne mit Elektro-Gitarre
Der Musiker Paul Pötsch bei einem Konzert mit seiner Band Trümmer (imago stock&people )
Die Geschichte ist eigentlich zu schön, um wahr zu sein: Bei einem Ausflug an den Zürichsee finden die Musiker Paul Pötsch von der Indie-Rock-Band Trümmer und Produzent Carsten Meyer, der unter dem Namen Erobique elektronische Tanzmusik komponiert, eine Kiste am Wegesrand. Darin eine ganze Menge Schallplatten. Allerdings nicht irgendwelche Schallplatten: Alle Tonträger stammen aus der ehemaligen DDR und wurden von der Plattenfirma Amiga veröffentlicht. Ein magischer Zufallsfund, der die beiden Musiker auf eine historische Zeitreise in die deutsche Kulturgeschichte schickt. Es entsteht der Wunsch, sich tiefergehend mit dieser Epoche und ihrer Musik auseinandersetzen und den Sound der DDR neu zu verarbeiten.
Zu Unrecht vergessenes Material
"Wir waren begeistert, wie vielfältig die Musik doch wahr und welche Genres bedient wurden", sagte Pötsch im Dlf. Es sei ein vollkommen zu Unrecht vergessenes Material, das darauf wartete, wiederentdeckt zu werden. Pötsch interessiert an der Musik zum einen ihr Groove und zum andere ihre Stimmung: "Wie kann in einem Land, das stereotyp für Unterdrückung steht, so eine fröhliche Musik geschrieben werden? Und wie geht das überhaupt, dass im Grunde afroamerikanische Musik über die Mauer hinweg da so Anklang findet?"
Wir haben noch länger mit Paul Pötsch gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Auch die Zensur hatte einen Einfluss auf die Musik: "Durch die Beschränkung hat sich eine eigene Sprache entwickelt", erzählte Pötsch. "Die Texter waren dazu angehalten, auf Deutsch zu texten. Dadurch hat sich eine eigenständige Poesie entwickelt, die sich verschränkt mit der Imitation von westlicher Musik; und dadurch ist vielleicht schon so etwas wie ein eigenständiger Sound entstanden."
Keine nostalgische Verklärung
Ihr Konzerthappening, das die beiden Musiker für das Sommerfest auf Kampnagel zusammen mit der Regisseurin Lea Connert konzipiert haben, sei allerdings nicht als nostalgische Verklärung der DDR gedacht. "Wir wollen die DDR weder erklären, es wird kein didaktischer Erklär-Abend. Wir wollen sie aber auch nicht verklären. Es geht nicht darum, einen romantischen Blick auf eine vergangene Zeit zu kreieren", sagte Pötsch.
Stattdessen gehe es den Machern darum, aufzuzeigen, "wie man trotz Restriktionen seine künstlerische Sprache finden kann und wie da auch eine Form von Jugendkultur herrschte, in der ganz grundsätzlich essentielle menschliche Regungen wie Sehnsucht und Neugier auch da waren und auch artikuliert wurden", so Pötsch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.