Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Kooperationen in China
VW unter Rechtfertigungdruck

Die Berichte über massive Repressalien gegen die uigurische Minderheit in der chinesischen Provinz Xinjiang bringen auch den VW-Konzern in Erklärungsnot. Denn der betreibt dort ein Werk. Man betrachte die Situation in Xinjiang mit extrem hoher Sensibilität, sagt Markenvorstand Thomas Ulbrich.

Von Silke Hahne | 28.11.2019
Blick über den Hongshan Park auf die neue Skyline der chinesischen Stadt Urumqi
Blick über den Hongshan Park auf die neue Skyline der chinesischen Stadt Urumqi (picture alliance / imageBROKER)
Es ist ein Spagat, den VW dieser Tage hinlegt: Die Enthüllungen zur Unterdrückung einer ethnisch-religiösen Minderheit kann das Unternehmen kaum ignorieren; gleichzeitig ist China der größte Absatzmarkt des Konzerns: Vier von zehn produzierten Autos werden dort verkauft. Und die chinesische Regierung reagiert auf Kritik äußerst empfindlich.
Im April hatte sich VW-Chef Herbert Diess auf der Automesse Shanghai bei dem Versuch in die Nesseln gesetzt, diesem Interessenskonflikt gerecht zu werden. "I am not aware of that" – ich bin mir dessen nicht bewusst – hatte er auf Fragen eines BBC-Reporters nach Internierungslagern in Xinjiang geantwortet.
Fabrik in Urumqi seit 2013
Entsprechend vorsichtig agiert das Unternehmen jetzt. Entschieden wird aber darauf verwiesen, dass VW vor Ort nicht von Zwangsarbeit profitiere. Auch nicht bei zugelieferten Teilen: Das Werk in Urumqi beziehe keine Produkte aus der Provinz Xinjiang, heißt es vom Konzern.
Seit 2013 werden dort Modelle vom Typ Santana gebaut, nicht besonders viele, 50.000 Stück pro Jahr beträgt die Kapazität. Wie es aus Konzernkreisen heißt: weil in der Region die Fahrzeugdichte noch nicht so hoch sei.
Einer, der an der Entstehung des Werks beteiligt war, ist Thomas Ulbrich: damals Vorstandsmitglied für Produktion und Logistik beim VW-Joint-Venture mit der chinesischen SAIC-Gesellschaft, heute Vorstand der Marke Volkswagen für den Bereich E-Mobilität. Auch er weist im Interview mit dem Deutschlandfunk Berichte zurück, laut denen der Gang nach Xinjiang politisch motiviert war:
"Ich kann Ihnen sagen, unser Engagement und auch die damalige Entscheidung in 2013 einen Standort in Urumqi zu errichten, war natürlich in erster Linie mal aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten geprägt. Wir waren aber sowohl damals davon überzeugt und sind es auch heute noch, dass wir damit einen wichtigen Beitrag für die Weiterentwicklung dieser Region erzeugen und damit auch zum positiven Zusammenleben unterschiedlicher Volksschichten entsprechend liefern."
25 Prozent der Beschäftigten gehören Minderheiten an
Die Weiterentwicklung der Region dürfte allerdings auch im Sinne der Regierung gewesen sein, die die wenig industrialisierten, westlichen Landesteile entwickeln wollte. Schon damals gab es Berichte und Experten-Analysen, die einen industriepolitischen Kotau Volkswagens vor der Regierung hinter dem Werksbau in Urumqi vermuteten.
Seitdem hat sich die Lage in Xinjiang dramatisch verschärft, hat die Regierung offenbar einen Polizeistaat errichtet. Der Volkswagen-Konzern betrachte die Situation in Xinjiang mit extrem hoher Sensibilität, sagt Thomas Ulbrich, "aber wir sagen auch: Wir haben zum Beispiel mit diesem Beitrag auch dafür sorgen können, dass über 25 Prozent unserer Belegschaft in dem Werk in Urumqi Minderheiten angehören und mit der notwendigen zusätzlichen Betrachtung des Standortes und des Umfeldes glauben wir, tragen wir der Situation auch Rechnung."
Die Lage vor Ort wisse er auch persönlich hoch zu gewichten, ergänzt Ulbrich. Als Beteiligter an der Entstehung des Werks habe er eine gewisse Beziehung zu dieser Region.
Hinweise, dass VW den Standort grundsätzlich überdenkt, gibt es in Wolfsburg keine. Das Werk im Westen Chinas wird allerdings auch nicht von VW allein betrieben – sondern eben mit SAIC. Größter SAIC-Anteilseigner ist wiederum der chinesische Staat – und damit der für die Repressalien zuständige Apparat.