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Kopf des evangelischen Widerstandes

Bereits 1933 nahm der Berliner Pfarrer Martin Niemöller den Kampf gegen Adolf Hitler auf. Innerhalb der evangelischen Kirche wurde er zum Ärgernis für viele Zeitgenossen, die auf bequeme Weise mit den neuen Machthabern fertig werden wollten. 1937 holten ihn zwei Gestapo-Beamte zu einer angeblich kurzen Vernehmung ab. Es folgten Untersuchungshaft und acht Monate später ein Prozess.

Von Peter Hertel | 07.02.2008
    Durch einen langen, unterirdischen Korridor wird Martin Niemöller, evangelischer Pastor in Berlin-Dahlem, vom Gefängnis in den Gerichtssaal geführt. Unterwegs spricht der grün uniformierte Wärter – scheinbar unbeteiligt – vor sich hin und zitiert einen biblischen Vers aus den Sprüchen Salomons:

    Der Gerechte läuft dahin und wird beschirmt …

    Dem Pfarrer kommt dieser Gefängnisbeamte vor wie ein göttlicher Bote, gesandt, ihn zu stärken. Der Prozess im Saal 664 des Berliner Landgerichts beginnt für ihn gleich mit einer Enttäuschung: die Öffentlichkeit wird ausgeschlossen. Es entspricht der Nazi-Taktik, das Verfahren möglichst totzuschweigen. Weit über Deutschlands Grenzen hinaus ist Martin Niemöller nämlich bekannt – seit er 1933 den Pfarrernotbund gegründet hat und Kopf des evangelischen Widerstandes gegen Hitler wurde. Der international, ökumenisch wirkende Theologe Dietrich Bonhoeffer schreibt 1938 in einem Brief:

    Wohin man auch kommt, wird man nach [diesem] … Mann gefragt.

    Fünf Mal ist Pastor Niemöller in den vergangenen Jahren verhaftet worden, für einige Stunden oder für einen Tag. Doch mutig hat er seine nazifeindlichen Predigten fortgesetzt:

    "Das ist unsere Last, dass wir unausgesetzt Strolche, Volksfeinde und Landesverräter genannt werden. Wir lehnen es… ab, auch nur andeutungsweise von Vergehen und Schuld der Leute zu reden, die vergebens auf einen richterlichen Urteilsspruch nach dem für alle Volksgenossen geltenden Recht warten."

    Nun erfährt Martin Niemöller selber, wie das für alle geltende Recht mit Füßen getreten wird. Bei der neuesten Verhaftung ist er gar nicht mehr verhört, sondern gleich ins Gefängnis Moabit gebracht worden. Dort sitzt er acht Monate, ehe an diesem 7.Februar 1938 der Prozess beginnt. Auf Hochverrat und Ungehorsam gegen die geltenden Gesetze lautet die Anklage. Nach vier Wochen kommt das Gericht zu dem überraschend milden Urteil, Niemöllers Äußerungen seien zwar nicht kirchlich, sondern politisch zu verstehen. Aber Hetze oder niedrige Gesinnung seien ihm nicht vorzuwerfen. Er bekommt sieben Monate Festungshaft, worauf die Untersuchungshaft von acht Monaten anzurechnen sei. 30 Jahre später, als Präsident der evangelischen Kirche von Hessen und Nassau, erinnert er sich:

    "Man hat mich ja von Seiten des Gerichtes doch sehr gnädig behandelt, und ich erwartete und musste erwarten, dass ich nun nach Hause entlassen würde. In Wirklichkeit aber bin ich dann ja ins Konzentrationslager verbracht worden, in derselben Nacht noch nach Sachsenhausen. "

    Denn Hitler hatte am Nachmittag getobt, als er den Urteilsspruch erfuhr. Sofort hatte er sein Kabinett zusammengerufen, um einen Beschluss zu erzwingen, demzufolge Niemöller in ein KZ eingewiesen werden sollte. Doch kein einziger Minister gab seine Zustimmung. So verkündete Hitler wutentbrannt: Der Mann ist mein persönlicher Gefangener und damit basta.

    Im KZ Sachsenhausen wird Niemöller drei Jahre lang vollkommen isoliert gehalten – in schwerer Einzelhaft. Im Umgang mit seinen Peinigern lernt er, was Christsein in letzter Konsequenz bedeuten kann:

    "Mir ist aufgegangen, dass die Leute tatsächlich von mir als einem Christenmenschen gesehen werden mussten; das heißt, dass auch diese SS-Leute im Konzentrationslager Leute waren, für die Jesus an seinem Kreuz auf Golgatha gestorben ist."

    1941 wird Niemöller ins KZ Dachau verlegt, 1945 wird er befreit. In der KZ-Haft hatte der spätere Kirchenführer, wie er selber sagte, prägende Einsichten:

    "Dazu gehörte vor allen Dingen ein Nachdenken darüber, dass wir als Volk ja mitschuldig waren an dem, was da vor sich ging in Deutschland und in Europa; dass wir uns als Kirche nicht einfach davon distanzieren könnten mit der selbstgerechten Feststellung: wenn die Leute auf uns gehört hätten oder so, dann wäre das alles nicht passiert."