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Kopfverletzungen
UEFA fordert neue Regeln bei Gehirnerschütterungen

Kopfverletzungen sind ein Problem im Fußball. Wer nach einer Gehirnerschütterung weiterspielt, riskiert gesundheitliche Folgen. Die UEFA fordert nun von den Regelhütern und der FIFA einen neuen Umgang mit Gehirnerschütterungen - doch eine Umsetzung kann dauern.

Von Chaled Nahar | 02.06.2019
Der deutsche Fußball-Nationalspieler wird während des WM-Finales 2014 gegen Argentinien vom Platz geführt, nachdem er mit einem Gegenspieler zusammengestoßen war.
Eine der bekanntesten Kopfverletzungen der deutschen jüngeren Fußballgeschichte: Nationalspieler Christoph Kramer beim WM-Finale 2014 in Brasilien nach dem Zusammenstoß mit einem Gegenspieler (dpa/picture alliance/Chema Moya)
So wie der deutsche Nationalspieler Christoph Kramer im WM-Finale 2014 verletzen sich viele Fußballspieler am Kopf. Genau wie Kramer in Rio gegen Argentinien bleiben viele von ihnen trotz einer Gehirnerschütterung aber auf dem Platz - und gehen damit ein großes Risiko ein. Das frühere Einsetzen von Demenz oder Alzheimer gilt als eine nachgewiesene mögliche Spätfolge. Und besonders ein zweiter Schlag gegen den Kopf birgt weitere große gesundheitliche Gefahren.
Seit Kramers Verletzung verlangt die FIFA beim Verdacht auf eine Gehirnerschütterung eine dreiminütige Spielpause und die Zustimmung des Mannschaftsarztes, damit der Spieler weitermachen darf. Doch der Mannschaftsarzt ist nicht neutral. Er will grundsätzlich seinem Team helfen, dem Trainer den Spieler zurückgeben, keine Auswechslung notwendig machen. Die UEFA fordert deshalb Veränderungen.
Verthongen ging benommen vom Platz
"Das UEFA-Exekutivkomitee bittet FIFA und IFAB, die aktuelle Vorgehensweise bei Gehirnerschütterungen zu überprüfen und über mögliche Regeländerungen bei den Auswechslungen nachzudenken", sagte UEFA-Präsident Aleksander Ceferin.
Er nannte dabei drei Ziele:
  1. Den Ärzten soll der Druck genommen werden.
  2. Eine betroffene Mannschaft soll keinen Nachteil erhalten.
  3. Ein Spieler mit Gehirnerschütterung soll auf keinen Fall auf den Platz zurückkehren.
"Wir hatten damit in dieser Saison Probleme", sagte Ceferin. Er meinte wohl vor allem Jan Vertonghen von Tottenham, der im Spiel gegen Ajax in der Champions League verletzt wurde, aufs Spielfeld zurückkehrte und wenig später wie benommen vom Platz ging.
Der "harte Kerl" wird im Fußball oft heroisiert
Auch in der Bundesliga existiert das Problem. Der Blog fussballverletzungen.de hat in der abgelaufenen Saison 22 Gehirnerschütterungen gezählt, in der Vorsaison waren es demnach 21. Hinzu kommt, dass im Fußball der harte Kerl gerne heroisiert wird. Aus Kramer wird gerne eine kämpferische Legende gemacht, wie es schon 1982 bei Dieter Hoeneß der Fall war, der mit einem Kopfverband das Pokalfinale gegen Nürnberg zu Ende spielte.
Zuletzt twitterte der VfB Stuttgart während des Relegationsspiels bei Union Berlin Bilder zweier Spieler mit Kopfverbänden, stellte dazu Emojis mit angespanntem Bizeps. Der Bedarf, die Spieler zu schützen, ist also da. Aber wie könnte eine Regeländerung aussehen?
Experte: Vorübergehende Auswechslung könnte die Lösung sein
Alex Feuerherdt vom Schiedsrichter-Podcast Collinas Erben sagt: "Man könnte das Spiel so lange unterbrechen, bis ein neutraler Arzt - also einer, der nicht zu einem der beteiligten Klubs gehört - bis der festgestellt hat, ob der betreffende Spieler noch spielfähig ist oder nicht. Wenn er nicht spielfähig ist, dann darf er auch nicht weitermachen, dann muss er ausgewechselt werden, muss er vom Platz. Das wäre wahrscheinlich die beste Lösung, ohne die Regeln zu ändern."
Die UEFA will aber Änderungen bei den Auswechslungen. Dafür hat Feuerherdt folgenden Vorschlag: "Denkbar wäre aber auch, die Regeln dahingehend zu verändern, dass eine verübergehende Auswechslung möglich ist. Das heißt: Der Spieler wird von einem neutralen Arzt - den braucht es unbedingt - in Ruhe untersucht. So lange springt ein Ersatzspieler für ihn ein. Und wenn dann alles okay ist, dann kann der Wechsel rückgängig gemacht werden und würde auch nicht aufs Wechselkontingent angerechnet. Oder man überlegt, bei Kopfverletzungen einen zusätzlichen Wechsel zu gestatten."
Links zum Thema

Concussion Protocol Fußball der FIFA (englisch)
Concussion Protocol Eishockey der IIHF (pdf, englisch)
Concussion Protocol American Football der NFL (englisch)
Pressekonferenz der UEFA (Video)
Collinas Erben bei Twitter
Es fehlen neutrale Ärzte
Der neutrale Arzt ist also die zentrale Figur, die im Fußball noch fehlt. In anderen Sportarten ist man da weiter. Im Eishockey und in der Football-Liga NFL sind bei einem Verdacht auf Gehirnerschütterungen neutrale Ärzte ohne Abhängigkeiten zu den Teams auf unterschiedliche Weisen zumindest involviert. Ein solches Prinzip kostet aber Geld, denn die Mediziner müssten von Ligen und Verbänden bezahlt werden.
Dauern wird es ohnehin, bis eine Regeländerung kommen könnte. Am 1. Juni sind gerade erst die Neuerungen im Regelwerk für die kommende Saison in Kraft getreten. Weitere Änderungen sind erst wieder im Sommer 2020 möglich.