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Korrektur nach Protesten

Der niedersächsische Wissenschaftsminister Lutz Stratmann hat Änderungen an den Studiengängen in seinem Land für das übernächste Semester angekündigt. Der Bachelorstudiengang solle vor allem berufsqualifizierend sein. Zu frühes Spezialwissen schade dabei eher.

Lutz Stratmann im Gespräch mit Kate Maleike | 18.11.2009
    Kate Maleike: Für eine bessere Bildung in Deutschland wird auch heute wieder demonstriert. Zum Beispiel in Kiel, wo nach Polizeiangaben rund 3500 Schüler und Studenten am Morgen auf der Straße waren. Wenn auch nicht immer in Massen, es ist Bewegung in die Sache gekommen, keine Frage – vielerorts haben Hochschulleitungen und Politik Gesprächsbereitschaft und Veränderungswillen signalisiert. So will beispielsweise das Land Niedersachsen jetzt das Bachelorstudium reformieren. Wie genau, das habe ich vor der Sendung Wissenschaftsminister Lutz Stratmann gefragt. Glaubt er, dass die Bereitschaft zur Kurskorrektur im Bolognaprozess das Verdienst der Bildungsstreikenden ist?

    Lutz Stratmann: Die Bildungsstreikenden haben sicherlich mit dazu beigetragen, dass manches nun doch schneller in Angriff genommen wird, als das vielleicht ohne Proteste der Fall gewesen wäre, aber das finde ich auch völlig in Ordnung. Tatsache ist, dass wir in Niedersachsen fast alle Studiengänge umgestellt haben auf Bachelor- und Masterstrukturen und dass wir über relativ lange Erfahrung jetzt mit dem neuen System verfügen, sodass uns schon seit einiger Zeit klar ist, es läuft in Teilen sehr gut, aber es gibt eben auch Bereiche, die weniger gut laufen. Das ist das, was die Studierenden auch ansprechen und meinen, und da müssen wir an einigen Stellschrauben nachjustieren. Da ist für mich vor allem die Frage, wie gestalte ich die Module inhaltlich aus. Es kann in der Tat nicht sein, dass ich versuche, neuen Wein in alte Schläuche zu pressen, das ist an vielen Hochschulstandorten geschehen. Sinn und Zweck von Bologna war immer zu sagen, wir brauchen beim Bachelorstudiengang als ersten berufsqualifizierenden akademischen Abschluss vor allem Kompetenzvermittlung, wir brauchen Methodenlehre. Die Dinge verändern sich heute so schnell, dass zu frühes Spezialwissen eher schadet. Sie laufen dann sozusagen den veränderten Bedingungen immer nur hinterher. Also brauchen wir hier vor allem in den einzelnen Fachbereichen das Vermitteln von Kompetenzen – wie schaffe ich es, mir neue Erkenntnisse anzueignen. Das ist in vielen Bereichen nicht geschehen, das hat auch zu einer viel zu hohen Prüfungsdichte geführt. Wir finden, dass eine abschließende Prüfung fürs Modul ausreicht. Übrigens wenn ich von wir spreche, meine ich damit nicht nur Niedersachsen, sondern alle Länder haben sich Kultusministerkonferenz vor einigen Wochen dem Zehnpunktekatalog Niedersachsens angeschlossen – es ist ein einstimmiger Beschluss, was ich sehr, sehr bemerkenswert und erfreulich finde –, sodass das, was Sie sozusagen ansprechen, keineswegs nur Niedersachsen betrifft, sondern alle 16 Länder.

    Maleike: Was konkret ist denn jetzt in den nächsten Wochen dann geplant? Welche Veränderungen werden Sie angehen?

    Stratmann: Sehen Sie, die KMK-Beschlüsse sind natürlich etwas, was wir bundesweit als Rahmenvorgaben verstehen, Papier ist geduldig, und jetzt geht es darum, dass wir auf Ebene der Hochschulen gemeinsam mit den Hochschulen, den Hochschulleitungen insbesondere, diese bundesweit beschlossenen Vorgaben auch umsetzen. Und das kann jedes Land natürlich unterschiedlich handhaben. Vielleicht wird es Länder geben, die das über gesetzgeberische Maßnahmen machen, das werden wir in Niedersachsen nicht tun, das entspricht nicht unserem Verständnis von autonomen Hochschulen. Wir sind in Gespräche eingetreten mit den Hochschulleitungen, die sehr konstruktiv verlaufen, und beschließen jetzt und besprechen jetzt, wie wir sozusagen zum wahrscheinlich übernächsten Semester dann den neuen Studienanfängern bereits Angebote unterbreiten, die sich von den bisherigen unterscheiden. Zum Beispiel mehr sieben- oder achtsemestrige Bachelorstudiengänge, zum Beispiel Module, die nicht mehr über eine so starke Prüfungsdichte verfügen, die stärker auf Kompetenzvermittlung ausgerichtet sind. Wir brauchen dazu übrigens auch die Hilfe der Akkreditierungsagenturen, die in Fällen, wo das nicht geschieht, dann auch mal sagen, es findet keine Akkreditierung oder Reakkreditierung statt, macht das anders, die Kultusministerkonferenz hat euch gesagt, dass es so nicht geht. Das ist jetzt der Weg, den wir zu beschreiten haben, und der ist natürlich in Teilen nicht einfach, aber ich bin aufgrund der Erfahrungen der letzten Wochen sehr zuversichtlich, dass wir das hinbekommen.

    Maleike: Wenn man sagen kann, dass das Bachelor reloaded ist, um das mal neudeutsch zu sagen, wann wird der in Deutschland dann so, wie Sie es gerade beschrieben haben, Wahrheit werden?

    Stratmann: Also das hängt natürlich erstens von den Maßnahmen ab, die die Länder jeweils beschließen – Sie wissen, da kommt der Föderalismus natürlich in seiner ganzen Tiefe zur Geltung. Ich hoffe, dass wir in Niedersachsen mit dem wahrscheinlich übernächsten Semester dann so weit sind, dass wir den Studienanfängern die neuen Strukturen anbieten können. Anders geht das nicht. Ich kann auch den Studierenden, die jetzt protestieren, die sich jetzt mitten im Semester befinden, nicht versprechen, dass sie jetzt schon Veränderungen erfahren, das geht im laufenden Betrieb nicht, das ist, glaube ich, auch nachvollziehbar. Aber für die kommenden Studienanfänger, denke ich, werden wir neue Strukturen anbieten können. Wir arbeiten jedenfalls mit Nachdruck dran.

    Maleike: Finanzfragen haben ja bei den Protesten auch eine große Rolle gespielt, das gebührenfreie Studium und die gebührenfreie Bildung wurde auch noch mal eingefordert. Nun hat Bundesbildungsministerin Schavan angekündigt, das BAföG möglicherweise doch noch mal erhöhen zu wollen. Wissen Sie dazu Konkreteres und wie stehen Sie überhaupt dazu?

    Stratmann: Also ich halte die Forderung, die Annette Schavan hier aufstellt, für völlig richtig. Das ist übrigens auch eine Forderung, die die Kultusministerkonferenz in dem von mir eben zitierten Beschluss so mit aufgegriffen hat. Ich wünsche ihr da viel Erfolg, sich gegenüber den Haushältern durchzusetzen. Ich glaube in der Tat, dass wir da zu einer besseren Studienfinanzierung kommen müssen. Was die Studienbeiträge anbelangt, wir sind ja Beitragsland in Niedersachsen: Wer mit sehendem Auge durch die Hochschulen bei uns geht, wird merken, dass sich die Verhältnisse signifikant verbessert haben – nicht nur in sachlicher und räumlicher Hinsicht, sondern auch die Betreuungsrelationen sind besser geworden. Wir geben jetzt immer mehr Geld auch in Personalstellen. Das entspricht auch dem Wunsch der Studenten. Bei uns wird kein Euro aus Studienbeiträgen ausgegeben, ohne dass die Studenten nicht mitgemacht hätten, sodass wir keine Veranlassung sehen, vom Studienbeitragsmodell in Niedersachsen abzurücken. Es hat unsere Hochschulen weit nach vorne gebracht.

    Maleike: Herr Stratmann, letzte Frage: Im Dezember trifft sich die Kultusministerkonferenz ja noch mal, was steht denn dann in Sachen Bachelorstudium und Bolognaprozess konkret auf der Tagesordnung?

    Stratmann: Ich kenne die Tagesordnung der KMK im Dezember noch nicht, aber wir verfolgen jetzt natürlich schon sehr aufmerksam, was passiert in den Ländern, und wir haben deshalb für Frühjahr eine Fachtagung schon beschlossen, bei der es um eine erste Bestandsaufnahme der eingeleiteten Schritte gehen wird. Da werden wir uns dann von den Ländern, auch von Niedersachsen vortragen lassen, was habt ihr gemacht, um unsere Beschlüsse des Herbstes umzusetzen.

    Maleike: Wir bleiben auf jeden Fall auch dran. In "Campus & Karriere" war das Lutz Stratmann, der Wissenschaftsminister Niedersachsens. Er hat angekündigt, das Bachelor-Studium in seinem Bundesland reformieren zu wollen. Vielen Dank für das Gespräch!

    Stratmann: Ja, ich danke auch!