Mittwoch, 24. April 2024

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Korrespondentenalltag
Stringer: Unsichtbar und unverzichtbar

Auslandskorrespondenten sind oft auf einheimische Helfer angewiesen, besonders in Krisenregionen wie dem Gazastreifen. Dort sorgen Raed und Ahmed für Transport, Sicherheit und Kontakte. Ohne sie ginge nichts.

Von Benjamin Hammer | 19.07.2018
    Menschen am Strand und zwei die auf einem Kamel reiten, zusehen ein Fischerboot mit palästinensischer Flagge
    Ein Ort, an den auch Journalisten nur mit Hilfe gelangen: Strand im Norden des Gazastreifens (Dlf/ Benjamin Hammer)
    Der Weg in den Gazastreifen führt mit dem Rollkoffer durch Niemandsland. Ein langer, eingezäunter Gang, daneben leere Felder. Man kann die rund tausend Meter auf einem Lasten-Motorrad zurücklegen. Aber meistens laufen wir Korrespondenten. Das hilft, sich auf den starken Kontrast zwischen Israel und dem Gazastreifen einzustellen. Am ersten palästinensischen Checkpoint warten zwei Männer. Sie sind mir ans Herz gewachsen.
    "Ich halte meine Augen offen"
    Korrespondenten sind in vielen Regionen der Welt auf Mitarbeiter angewiesen, die sich auskennen. Ich behaupte: Im Gazastreifen sind sie besonders wichtig.
    Raed Atamneh, Fahrer für Gäste im Gazastreifen, sitzt vor einer Tür im Hintergrund ein kleines Mädchen, das in die Kamera schaut
    Raed Atamneh, Fahrer für Gäste im Gazastreifen (Dlf/ Benjamin Hammer)
    "My name is Raed Atamnah. My age: 46 years old. I live in Beit Hanoun, Gazastrip."
    Raed ist unser Fahrer. Und: Er achtet mit auf unsere Sicherheit.
    "Ich halte meine Augen offen. Ich höre mich vorher um: Gibt es gerade ein Problem in einem bestimmten Viertel? Ich mache das jetzt schon seit über 25 Jahren. Die Arbeit hat mich viel gelehrt. Wenn ich fahre, schaue ich mich ständig um. Gott sei Dank ist noch nie etwas passiert."
    Im Gazastreifen gibt es so gut wie keine Ampeln. Auf den Straßen herrscht Chaos. Manchmal legt sich Raed mitten auf der Kreuzung mit anderen Fahrern an. Er schreit dann laut. Am Ende lachen wir. Und meistens lacht der andere Fahrer auch.
    Es gibt andere Momente, da lachen wir nicht. Raed hat während eines israelischen Angriffes vor zwölf Jahren 18 Verwandte verloren. Die israelische Armee wollte militante Palästinenser treffen. Doch es starben Zivilisten. Die Armee entschuldigte sich und spricht von einem Fehler des Zielerfassungsgerätes. Der Angriff und die drei Kriege zwischen Israel und der Hamas – sie sind Raed tief ins Gesicht geschrieben. Er sieht älter aus als 46 Jahre.
    Unterstützung vom Arzt
    Dr. Ahmed Younis auf einem Boot  im Gazastreifen auf dem Meer
    Dr. Ahmed Younis im Gazastreifen (Dlf/ Benjamin Hammer)
    "Ich bin Dr. Ahmed Younis. 69 Jahre alt. Und wohne im Gazastreifen, in Nuseirat."
    Ahmed ist unser Stringer in Gaza. Ein Journalistenwort für Männer und Frauen, die uns bei der Arbeit in vielen Dingen helfen. Ahmed diskutiert mit uns über mögliche Themen, er fragt Interviewpartner an. Er kümmert sich um den Papierkram. Und im von der Hamas kontrollierten Gazastreifen gibt es viel Papierkram. Und Ahmed übersetzt. Vom Arabischen ins Deutsche. Der Mann ist Arzt, hat in der ehemaligen DDR studiert und gearbeitet. Und er liebt die deutsche Sprache.
    "Ich habe gelesen: Goethe, Schiller, Fritz Reuter, Thomas Mann, Heinrich Heine und einige andere."
    Seit 30 Jahren arbeitet Ahmed als Arzt im Gazastreifen. Viele Familien waren bei ihm in Behandlung. Und obwohl in Gaza zwei Millionen Menschen leben, kommen während unserer Arbeit immer wieder Unbekannte auf uns zu. Und rufen: Doktor! Doktor!
    "Mich kennt jeder. Vom Norden bis zum Süden, von Ost bis West. Egal, wohin ich gehe, vor allem mittleren Alter und ältere Leute. Die kennen mich. Habe ich schon einmal behandelt. Und das erkennen die Leute dankend an. Und das erleichtert meine Arbeit."
    Durch gute Beziehungen Kontakte herstellen
    Wenn wir kurzfristig mit einem Fischer im Norden des Gazastreifens rausfahren wollen, weiß Ahmed ganz genau, wen er anrufen muss. Wenn wir mit Menschen über sehr persönliche Dinge sprechen, wie den letzten Krieg, dann schafft Ahmed Vertrauen.
    Nach einer oder zwei Übernachtungen verlasse ich den Gazastreifen wieder. Der Speicherchip meines Mikrofons ist dann voll mit Geschichten aus – ja - einer anderen Welt. Eine Welt, die von Ägypten und Israel weitgehend abgeriegelt wird, was die Länder mit der Herrschaft der islamistischen Hamas begründen.
    Mit meinem israelischen Presseausweis komme ich problemlos nach Israel. Raed, unser Fahrer, hat den Gazastreifen das letzte Mal im Jahr 1991 verlassen. Das macht mich nachdenklich. Ahmed und Raed sagen: Es bedeute ihnen viel, dass Korrespondenten nach Gaza kommen. Denn dann merken sie, dass die Weltöffentlichkeit den Küstenstreifen nicht vergessen hat.