Donnerstag, 28. März 2024

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Korrespondentin Bettina Rühl
"Das Afrika-Bild ist vielfältiger geworden"

Die Journalistin Bettina Rühl wird für ihre Arbeit als Afrika-Korrespondentin mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Zwar gehe es noch immer vielen Medien darum, nur auf die Krisen des Kontinents zu schauen, sagte Rühl im Dlf. Doch auch positive Geschichten seien inzwischen gefragt.

Bettina Rühl im Gespräch mit Isabelle Klein | 29.07.2020
Bettina Rühl, Hörfunkkorrespondentin, nimmt bei der Verleihung des Robert Geisendörfer Preises ihre Auszeichnung entgegen.
Bettina Rühl: Seit mehr als 30 Jahren Berichte aus Afrika (picture alliance/Tobias Hase/dpa)
Bettina Rühl berichtet seit mehr als 30 Jahren für verschiedene Medien aus Afrika, von Anfang an auch für die Sender des Deutschlandradios und anderer öffentlich-rechtlichen Anstalten. Seit 2011 lebt sie vor Ort, in Nairobi, der Hauptstadt Kenias.
Ihre Recherchereisen führen sie häufig in Konflikt- und Krisengebiete in Somalia, Mali, im Kongo und im Sudan. Ihre Reportagen und Features wurden vielfach ausgezeichnet. 2018 erhielt sie den Robert-Geisendörfer Sonderpreis, den Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland.
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Für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen hat sie Bundesaußenminister Heiko Maas. Rühl habe "überdurchschnittlich engagierte und bemerkenswerte Recherche-Arbeit in und Berichterstattung über Afrika" geleistet.
Über diese Auszeichnung, Afrika und die Anfänge ihrer Arbeit Ende der 1908er-Jahre mit ihr gesprochen hat Isabelle Klein.
Isabelle Klein: Was hat Sie denn damals an Ihrem Berichtsgebiet begeistert? Und warum sind Sie am Ball geblieben?
Bettina Rühl: Mich hat vor allen Dingen interessiert, und das tut es immer noch, dass es extrem vielfältig ist, ja eben auch dieser Kontinent, seitdem ich angefangen habe, sich so verändert hat, dass mir die Themen nicht ausgehen und dass das Afrika von heute ein anderes ist als damals. Und so hat es eigentlich die ganzen Jahrzehnte nie den Punkt gegeben, dass mir langweilig wurde und ich das Gefühl habe, es gibt nichts mehr, was mich noch neu faszinieren würde.
Klein: Sie sagen, Afrika hat sich verändert. Die Berichterstattung hat sich sicherlich auch verändert. Darauf möchte ich gleich zu sprechen kommen. Zunächst aber zu Ihrer aktuellen Arbeit. Sie berichten ja häufig über aktuelle Probleme, zum Beispiel über die Auswirkungen der Corona-Pandemie in Afrika. Hier im Deutschlandfunk liefen dazu in den vergangenen Monaten auch ein paar Berichte von Ihnen. Wie hat denn Corona derzeit Ihre Arbeit verändert?
Rühl: Radikal verändert. Ich habe für dieses Jahr ganz andere Themen geplant. Normalerweise gehört zu meiner Arbeit von Nairobi aus, dass ich sehr viel reise auf dem Kontinent. Ich hatte eigentlich vorgehabt, mich sehr stark um Abholzung zu kümmern, da hätten viele Reisen angestanden. Stattdessen sitze ich seit März in Nairobi. Das hat es in dieser Dauer noch nie gegeben.
Klein: Normalerweise reisen Sie also viel rum. Wie kann ich mir Ihre Arbeit da vorstellen?
Rühl: Das ist in aller Regel so, dass ich für zwei, drei Wochen in einem Land bleibe, beispielsweise Mali, wo ich zuletzt länger war. Es gibt dann eine konkrete Fragestellung, meist mache ich auch ein längeres Feature, also 45 Minuten oder 60 Minuten, zum Beispiel zur Frage, eine der letzten größeren Fragen war: Welchen Einfluss hat der Klimawandel womöglich auf die Konflikte in Mali? Und dann sind die Tage für zwei, drei Wochen voll, dass ich vor Ort Interviews führe, ich versuche, möglichst alle Beteiligten zu einem Thema zu sprechen – und dann auch in den Ländern selber noch mal viel unterwegs bin. Und das wechselt sich eben ab mit Zeiten, in denen ich hier in Nairobi bin und diese Interviews auswerte und entsprechende Berichte dazu schreiben.
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Klein: Sie haben jetzt gerade selber schon gesagt, Sie haben über Konflikte dort recherchiert. Mein Eindruck auch: Wenn wir von Afrika hören, hier in Deutschland, dann hören wir meist über Konflikte, über Missstände, Korruption oder Armut. Liegt das einfach in der Natur des Journalismus, also Krise besonders in den Blick zu nehmen, oder hat das Ihrer Ansicht nach beim Thema Afrika auch mit einem eurozentrischen Afrikabild zu tun?
Rühl: Ich glaube, dass sich das mischt, dass immer schon, seit Jahrzehnten, der Fokus auf Afrika sehr stark der ist eines im Anfang hilflosen Kontinents – Hunger, Krisen, Konflikte usw. Ich finde es etwas schwierig, immer von "den Medien" und "dem Afrikabild in den Medien" zu sprechen. Ich habe schon das Gefühl, dass da auch in den letzten Jahrzehnten das Bild vielfältiger geworden ist – abhängig von den Medien natürlich. Im Mainstream gibt es noch immer dieses Bild, wo Afrika dann vor allem mit Konflikten oder Hunger eine Schlagzeile wert ist. Aber wir haben eine immer noch – trotz der Medienkrise – große Vielfalt. In den gedruckten und gesendeten Qualitätsmedien erlebe ich das so, dass es auch eine wachsende Vielfalt gibt. Aber natürlich, das stimmt, es gibt so ein Mediengesetz: Wir gucken ja unwillkürlich hin, wenn etwas Besonderes ist. Und wenn es einen großen Konflikt gibt, finde ich es durchaus legitim, dass man darüber berichtet – wenn diese anderen Seiten nicht vergessen werden.
Klein: Ich habe da mal geschaut, es gibt da eine Studie der Stanford-Universität, und die bescheinigt, dass eben sehr, sehr wenige Berichte aus dem Ausland aus dem Kontinent Afrika kommen. Woran liegt das, aus Ihrer Sicht, dass das heute noch immer so ist?
Rühl: Wenn ich unsere Medien sehe oder auch höre, was Redaktionen wollen: dass es eine starke Annahme gibt, das Publikum würde sich mehr interessieren, was nebenan passiert, also das Lokale sei wichtiger, das Regionale sei wichtiger, das Ausland interessiere die Leute nicht. Und da gehört Afrika generell erstmal zum Ausland. Dann kann man noch mal schauen, welche Bereiche aus dem Ausland schaffen es denn? In den letzten Jahren ist es natürlich, mit Trump vor allem, wenn es weniger Auslandsplätze gibt, dann schafft Trump es, vor allen Dingen die USA reinzubringen – und dann bleibt da für Afrika wirklich sehr wenig übrig.
Ich glaube, es gab schon mal eine Zeit, wo jetzt grundsätzlich mehr Auslandsinteresse angenommen wurde und auch über Afrika in einem politischen Sinne mehr berichtet wurde. Das sehen wir auch hier im Studio Nairobi: Also Berichte über Wahlen – ohne, dass ein Blutbad befürchtet wird – stoßen nicht auf besonders viel Interesse. Es gab mal eine Zeit, wo auch die Gesellschaft vielleicht politischer war, da wurde auch einfach über ganz normale Wahlen in der Zeit berichtet: Was passiert in dem Land? Das Interesse daran ist tatsächlich nicht mehr so sehr da. Stattdessen gib es vielleicht noch ein NRW-Thema mehr in der Sendung.
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"Soziale Medien bieten ein anderes Bild"
Klein: Nun gibt es ja aber auch neue Kanäle, über die wir uns vielleicht auch über fernere Themen informieren können. Früher waren Sie ja, die Korrespondentinnen und Korrespondenten, unsere Nummer-Eins-Quelle für Berichte aus dem Ausland. Sind Sie natürlich auch noch, aber es gibt natürlich auch noch die Sozialen Medien. Da hat sich einiges verändert. Menschen außerhalb der Medien können zum Beispiel auf ihre eigenen Themen aufmerksam machen. In den USA zuletzt zum Beispiel auf das Thema Rassismus. Inwiefern haben denn die Sozialen Medien Ihre Arbeit in Afrika und vielleicht auch sogar unser Bild von Afrika verändert?
Rühl: Ich glaube, dass sie auf jeden Fall geholfen haben, das Bild vielfältiger zu machen. Mir hilft es, indem ich tatsächlich über Soziale Medien teils Gesprächspartner finde oder auch viele Diskussionen in den Sozialen Medien geführt werden. Hier in Kenia zum Beispiel tauscht sich die Opposition oder die kritische Nische der Gesellschaft, tauscht sich sehr stark über Facebook aus. Was das Publikum in Deutschland oder Europa angeht, bieten die Sozialen Medien natürlich ein anderes Bild von Afrika. Aber: Es setzt natürlich auch voraus, dass die Nutzer in Europa ein Interesse daran zeigen, das heißt, sie müssen schon aktiv suchen nach diesen Informationen – genau so, wie sie das in den konventionellen Medien auch tun müssen.
1752530945_Die Praesidentschaftskandidatin Fadumo Dayib auf dem Dach ihres Hotels in Mogadischu (2).jpg
Fadumo Dayib (Deutschlandradio / Bettina Rühl)
Klein: Nun sind Sie ja freie Journalistin. Ich nehme an, Sie haben viel zu tun. Wie schaffen Sie es da, diese anderen Seiten zu zeigen?
Rühl: Ich erlebe schon bei einigen Medien oder Redaktionen in Deutschland auch eine Freude daran, das Überraschende zu senden oder zu drucken, vielleicht sogar noch stärker als früher. Also positive Geschichten, Geschichten, in denen auch gezeigt wird, welche Initiativen es hier auf dem Kontinent gibt. Ich habe immer das Gefühl, dass ich die "loswerde". Aber wiederum dann natürlich sind die Sendeplätze oder die Medien, die sowas drucken, Nischenprodukte.
Klein: Haben Sie dafür ein Beispiel?
Rühl: Ich habe mich eine Weile lang mit großem Vergnügen mit Menschen beschäftigt, die aus der Diaspora, aus dem Exil zurückgekommen sind auf den Kontinent – und die hier etwas aufgebaut haben. Menschen, die zum Beispiel in den USA oder auch Europa extrem erfolgreich waren, sehr viel Geld verdient haben und dann beschlossen haben, eben doch in ihrer alten Heimat auch was aufzubauen, oder auch Sehnsucht hatten nach der Heimat. Die zum Teil ins Bürgerkriegsland Somalia zurückgegangen sind oder auch hier nach Kenia. Und wer nach Somalia zurückgeht, riskiert immer noch sein Leben. Und Menschen zu sehen, die zum Beispiel 20 Jahre in Großbritannien waren und sagen, prima, vielen Dank für die Bildung und das Asyl, und nach Hause gehen, und zum Beispiel ein Medienunternehmen gründen oder ein Krankenhaus, wo sie immer noch ihr Leben riskieren beim Aufbauen. Das sind Leute, die extrem charismatisch sind.
Es gab auch Frauen hier in Nairobi, die vorher im Silicon Valley richtig Geld verdient haben und dann versuchen, hier ein Start-up zu gründen. Das Interesse an den Geschichten war groß – und es ist eine große Freude, diesen Menschen zu begegnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.