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Korruption in der Politik
"Spanien wäre der perfekte Ort zum Leben"

Korruption ist für jeden zweiten Spanier das größte Problem des Landes. Sie hat sich weit ins politische System gefressen. Politik und Justiz haben zwar einen Wandel eingeleitet - auch Politikern drohen Gefängnisstrafen. Doch der Mentalitätswandel wird noch Zeit brauchen.

Von Hans-Günter Kellner | 26.06.2017
    Zwei Hände. Die eine Hand gibt der anderen mehrere Euroscheine
    Wegen Überlastung der Justiz dauern Verfahren gegen Korruption viel zu lange (dpa/ picture-alliance/ Franziska Kraufmann)
    36 Grad im Schatten sind ein guter Grund gegen die Teilnahme an einer Kundgebung, da kann die Empörung noch so groß sein. Lediglich rund 4.000 Menschen, vor allem Anhänger linker Gruppierungen, versammeln sich vor dem Lautsprecherwagen, der den Demonstrationszug durch die Madrider Innenstadt führt. Ana García gehört keiner Gruppe an. Sie demonstriert, weil sie die Korruption satt hat, wie sie sagt:
    "Es ist viel schlimmer hier als in anderen Ländern. Vielleicht war es im Italien Berlusconis ähnlich. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas zum Beispiel in Großbritannien passiert. Das würden die Menschen dort nicht verstehen. Aber gut, es stimmt auch: Jetzt werden viele Fälle bekannt, die sich vor zehn Jahren ereignet haben, aber erst jetzt vor Gericht kommen. Aber auch wenn es Verhandlungen gibt, sitzen doch sehr wenige Korrupte im Gefängnis. Es müssten viel mehr sein."
    Die 39 Jahre alte Spanierin verlor mit der Wirtschaftskrise 2012 ihre Arbeit in der öffentlichen Verwaltung. Fünf Jahre später hat sie endlich einen Halbtagsjob gefunden. "Madrid, frei von Korruption" heißt es im Aufruf einer Umweltschutzgruppe zur Kundgebung. Ein schwieriges Vorhaben, gibt Ana García zu. Die Zeitungen berichten jetzt zwar viel über die Korruptionsverfahren gegen Politiker, doch:
    "Ich halte auch die Justiz für korrupt. So kommt es, dass sich die Ermittlungen immer weiter verzögern, bis die Korruption verjährt ist. Da gibt es zum Beispiel den Fall des früheren Wirtschaftsministers Rodrigo Rato, dem man nichts mehr vorwerfen kann, einfach, weil seine Verfehlungen schon zu lange zurückliegen. Ich glaube, die konservative Volkspartei und die Richter haben sich darauf verständigt, die Verfahren so lange zu verzögern, dass niemand von den Mächtigen ins Gefängnis kommt."
    Justiz verhängt Haftstrafen
    Ana García übersieht jedoch in ihrem Zorn: Zwar hat die Staatsanwaltschaft ein Steuerverfahren gegen den ehemaligen Minister und Bankmanager Rodrigo Rato wegen Verjährung eingestellt, doch ist der Beschuldigte bereits zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. In einem weiteren Verfahren fordert die Nebenklage fünf Jahre Gefängnis für Rodrigo Rato. Aber auch Richter und Staatsanwälte bestätigen die Überlastung der Justiz. Die Verfahren dauerten viel zu lange.
    "Die Volkspartei verbieten!", rufen die Demonstranten, Ana García lächelt verlegen. Im Parteispendenskandal "Gürtel" wirft die Staatsanwaltschaft der Volkspartei vor, öffentliche Aufträge gegen illegale Parteispenden vergeben zu haben. Doch die Forderung nach einem Verbot teilt die Demonstrantin nicht, Ana García:
    "Na ja, man müsste mal sehen, ob die Volkspartei illegal ist, weil sie sich jahrelang illegal finanziert hat. Die Partei müsste sich wenigstens regenerieren, nicht so wie sie es gegenwärtig macht. Und die Verantwortlichen müssen das Geld, das ihnen nicht zustand, zurückzahlen. Und die Leute, die damals die Verantwortung getragen haben, müssen ins Gefängnis."
    Zumal die spanischen Konservativen ja immer noch die stärkste Fraktion im spanischen Parlament stellen. Mehr als 30 Prozent der Stimmen haben sie bei der letzten Wahl bekommen.
    Korruption tief verwurzelt
    Und auf dem Höhepunkt der Immobilienspekulation im Jahr 2007 sind bei den Kommunalwahlen die meisten Bürgermeister im Amt bestätigt worden, obwohl die Korruption im Bausektor längst bekannt war. Bei aller Empörung: Die Korruption hatte für viele Politiker an den Wahlurnen kaum spürbare Folgen:
    "Die Korruption in Spanien basiert auf gegenseitigen Gefälligkeiten. So hängt jeder irgendwie in diesem Korruptionsnetz. Da ist zum Beispiel ein korrupter Bürgermeister -, aber der hat dir eine Baugenehmigung verschafft, die Du eigentlich nicht hättest bekommen dürfen. Oder es wurden öffentliche Subventionen gewährt oder Gewinn bei Wohnungsverkäufen gemacht, die eigentlich nicht zulässig waren", sagt Ana García.
    Der Demonstrationszug geht quer durch die Madrider Innenstadt, biegt von dem Prachtboulevard Gran Vía in die Fußgängerzone ein, führt vorbei an den großen Kaufhäusern. Auf dem zentralen Platz Puerta del Sol skandieren die Protestierenden: "Dort ist die Höhle von Ali Baba" - gemeint ist der Sitz der Madrider Regionalregierung. Die Versammlung löst sich auf. Zum Abschied blickt Ana García kurz nachdenklich und sagt dann fröhlich:
    "Ohne Korruption wäre dies der perfekte Ort zum Leben. Das ist im Grunde unser einziges Problem. Wir hätten eine andere Umwelt und Energiepolitik, eine Politik, die sich auf die Menschen konzentriert. Das wäre ein wunderbares Land!"