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Korruption und Amtsmissbrauch

Vor der ukrainischen Parlamentswahl Ende des Monats verzeichnen zahlreiche kleine Parteien Zulauf. Denn die Wähler verlieren zunehmend das Vertrauen in die Regierenden. Während diese vollmundig Korruptionsbekämpfung und mehr Demokratie versprachen, erlebten die Bürger vor ihrer Haustür genau das Gegenteil. Florian Kellermann berichtet aus Kiew.

11.09.2007
    Es ist Sonntagnachmittag. Anja und Walerij Krawtschuk, beide Anfang 40, breiten ihr Picknick aus. Gerade waren sie in der Kirche, jetzt machen sie es sich in einem Park am Dnjepr gemütlich, genauer gesagt auf einer der großen Flussinseln. Sie sind die Grüne Lunge mitten im Moloch der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Konak gibt es für die Dame und Wodka für den Herrn, dazu warm gehaltene Kartoffeln und Schweinespeck.

    "Hier diskutieren wir unsere Familienprobleme, was uns gelungen ist und welche Chancen wir verpasst haben. Wir fällen auch Entscheidungen, in Ruhe, alleine mit uns und der Natur."

    Das Haupt-Familienproblem der beiden sind ihre Kinder. Denn die wollen lieber in Urlaub fahren als auf eine Eigentumswohnung zu sparen. Für Anja und Walerij ist das unbegreiflich: Die beiden haben hart dafür gearbeitet, dass sie sich eine Ein-Zimmer-Wohnung kaufen konnten: Anja in der Verwaltung einer Baufirma, Walerij als Fernfahrer.

    Wohnungen in Kiew sind für Einheimische nahezu unerschwinglich. Mehr als 1000 Euro kostet der Quadratmeter heute schon in den Randbezirken - und das bei einem Durchschnittseinkommen der Hauptstädter von 300 Euro im Monat. Umso bitterer ist für Anja und Walerij die Nachricht, die sie gestern im Radio gehört haben.

    "Jetzt wollen sie diese Insel, auf der wir hier sind, auch noch zubauen. Eine Schande. Das ist ein Park, ein Erholungsgebiet. Schließlich muss sich doch auch die Jugend irgendwo austoben können. Sportplätze gehören hierher und schöne Alleen."

    Tatsächlich hat der Kiewer Stadtrat das Naturschutzgebiet auf der sogenannten Käfer-Insel, der Schukiv Ostriv, bis auf wenige Flächen fast komplett aufgehoben. Was dahinter steckt, kann sich jeder Kiewer denken: Grundstücke am Dnjepr und in Flussnähe sind unter Millionären heiß begehrt. Der Stadtrat gilt als eines der korruptesten Staatsorgane in der Ukraine. Er wird, so wird gemunkelt, beim Verkauf der Filetstücke wohl kräftig mitverdienen.

    "In der Sowjetunion hat man, wenn man bauen wollte, maximal 600 Quadratmeter bekommen. Diese Banditen haben schon Hunderte von Hektar und wollen immer noch mehr. Eine Mafia ist das, sage ich Ihnen, die ist noch schlimmer als die in Sizilien."

    Nur wenige Abgeordnete haben im Kiewer Stadtrat gegen die Aufhebung des Naturschutzgebietes auf der Schukiw Ostriw gestimmt. Eine von ihnen ist Natalija Nowak von der Partei "Reform und Ordnung".

    "Wir rechnen damit, dass es schon bei den nächsten Sitzungen ans Eingemachte geht. Dann werden wahrscheinlich schon die ersten Grundstücke als Bauland ausgewiesen - für Villen und Luxushotels. Seit den Kommunalwahlen letztes Jahr erleben wir einen regelrechten Anschlag auf die Grünflächen in Kiew, gerade am Dnjepr. Es sind vor allem reiche Geschäftsleute, die hier am Wasser idyllisch wohnen möchten."

    Im Wahlkampf versprechen die Parteien unisono, dass sie die Korruption bekämpfen wollen. Gleiches Recht für alle - diese Losung hat sich zum Beispiel die Präsidenten-Partei "Unsere Ukraine" auf die Fahnen geschrieben. Aber ihre Abgeordneten im Kiewer Stadtrat pfeifen auf die schönen Worte. Sie stimmen immer wieder für die Bebauung der Parks.

    "Im persönlichen Gespräch geben es manche Abgeordnete offen zu, dass sie für ihre Entscheidungen Schmiergeld nehmen. Aber nachweisen lässt sich das kaum. Auch die Polizei lässt lieber ihre Finger von solchen Ermittlungen, denn sie ist direkt abhängig von der Politik."

    Schon heute ist die Dnjeprinsel Schukiw Ostriw nicht mehr für alle da. Das Ufer wird an vielen Stellen illegal privat genutzt und mit hohen Betonmauern abgeschottet. Die Tore schützen Wachleute, hinter ihnen sieht man große Geländewagen auf dem Parkplatz stehen.

    Angesicht dieser Umstände haben Anja und Walerij Krawtschuk ihren Glauben an die ukrainische Demokratie schon fast verloren.

    "Wir brauchen einen starken Politiker an der Spitze unseres Staates, der mit eiserner Hand aufräumt - wie in Russland oder in Weißrussland."