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Koscher leben
Die religiösen Speisegesetze im Judentum von heute

Bereits im 3. Buch Mose ist festgelegt, welches Essen für Juden rituell unbedenklich ist. Milchiges darf zum Beispiel nicht mit Fleischigem zubereitet werden, bestimmte Fleischsorten sind komplett ausgeschlossen. Das koschere Essen dient aber auch der Identität.

Von Heinz-Peter Katlewski | 03.01.2014
    "Im Prinzip ist es relativ einfach, sich koscher heute zu ernähren, wenn man auf Fleisch verzichtet, zumindest wenn man an Orten lebt, wo es keinen koscheren Metzger und kein koscheres Fleisch verkauft wird und man nicht den Aufwand scheut, in den benachbarten Großstädten dann das koschere Fleisch zu kaufen."
    Birgit Klein, Professorin an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. Frisches Obst, Gemüse, Kräuter, Getreide, Fisch – all das gilt in der jüdischen Küche als "koscher", also als rituell unbedenklich. Vorausgesetzt, es wird mit koscheren Küchengeräten zubereitet, die weder mit Fleisch noch mit tierischem Fett Berührung hatten. Dann wären sie nämlich unter Umständen nicht mehr koscher. Die Chefin der kleinen Mensa der Heidelberger Hochschule für jüdische Studien, Ulli Zierl, stellt gerade Fischfalafel her und erläutert, warum ihr Fleischwolf und ihr Backofen in Ordnung sind:
    "In dem Fleischwolf ist noch nie irgendwelches Fleisch durchgelaufen, schon gar nicht Nichtkoscheres. Es wird im Backofen zubereitet, in dem nur koschere Sachen zubereiten werden. Das Geschirr, in dem das hier gerade ist, also diese Schale in der ich das gemischt habe, ist koscher. Alles vom Rabbiner vorher gekaschert, bevor es zum Einsatz kommt und anschließend dann nie mehr mit irgendetwas in Verbindung gekommen, was nicht koscher ist."
    Solange diese Regeln eingehalten werden, ist es noch relativ einfach. Wer so vegetarisch isst, ist mit der jüdischen Tradition und dem jüdischen Religionsgesetz, den Kaschrut-Regeln, im Einklang. Bei fertig zubereiteten vegetarischen Lebensmitteln wird es schon schwieriger. Man muss auf die Inhaltsstoffe achten – es könnten tierische Fette oder Proteine verarbeitet worden sein. Doch die jüdischen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, die heute in den jüdischen Gemeinden die Mehrheit bilden, sind nicht mit den jüdischen Speisegesetzen aufgewachsen. Die meisten scheren sich nicht darum. Für ihre Kinder dagegen sieht das anders aus:
    "Also, ich fange jetzt koscher bei mir zuhause zu kochen, da ich eigentlich aus einer Familie komme, wo wir ganz normal uns ernährt haben – wie überall gegessen wird. Aber jetzt, da ich meinen eigenen Haushalt habe, dann koche ich milchig, da es sehr teuer ist, koscheres Fleisch zu besorgen."
    Koscheres – also rituell unbedenkliches – Fleisch ist in Deutschland allenfalls in Berlin, München oder Frankfurt erhältlich und, wie gesagt, recht teuer.
    Die Auswahl der Tiere, die religiösen Juden zum Verzehr erlaubt sind, werden bereits in der Bibel im 3. Buch Mose genannt. Dazu gehören alle Säugetiere, die wiederkäuen und zudem gespaltene Hufe haben sowie das typische Hausgeflügel. Erlaubt sind auch Fische, sofern sie Flossen und Schuppen haben. Hasen, Kaninchen, Schweine, Greifvögel, Aale, Schnecken oder Meeresfrüchte sind verboten. Alle erlaubten Warmblüter müssen überdies nach bestimmten Regeln geschlachtet werden, nämlich durch Schächtung. Dazu die Heidelberger Professorin für jüdische Studien, Birgit Klein:
    "Der zweite Schritt ist, dass diese Tierarten dann koscher geschächtet werden müssen, das heißt, durch einen entsprechend ausgebildeten Schächter, der eine Approbation haben muss und der mit einem speziellen Messer und Segensspruch dann dieses Tier schächtet. Und dass dann eben auch dieses Fleisch zubereitet werden muss, dass unerlaubte Teile, Fettteile zum Beispiel oder der Ischias-Nerv, entfernt werden muss."
    Bevor das Fleisch verzehrt werden darf. Vor allem muss die Metzgerei das Blut durch Waschen und Salzen komplett entfernen. Dieser Aufwand ist teuer. Fleisch kommt deshalb in einer traditionellen jüdischen Küche in der Regel nur an Fest- und Feiertagen auf den Tisch.
    Während sich die orthodoxen Strömungen streng an den biblischen Vorschriften und den rabbinischen Entscheidungen der Spätantike und des Mittelalters orientieren und auch darin noch genug Stoff zur Debatte finden, fordern die liberaleren Richtungen im Judentum, die Kaschrut-Gesetze zeitgemäß weiter zu entwickeln. Lebensmittel, die nicht fair gehandelt oder nicht ökologisch nachhaltig produziert worden seien, könnten doch nicht ethisch koscher sein? Unabhängig davon, ist – zumindest für religiöse Juden – koscher zu halten ein Teil ihrer Identität, auch wenn sie dabei zuweilen Kompromisse machen. Noch einmal Professorin Birgit Klein:
    "Warum ist es sinnvoll, Kaschrut zu halten jenseits dessen, dass man die Vorschriften nur erfüllt. Eines der Argumente ist, dass es eine Art Aufmerksamkeitstraining ist – Bewusstseinsbildung, dass das, was man isst, sehr bewusst isst, ob die Ingredienzien, die Bestandteile koscher sind. Also dass man nicht einfach nur so Essen in sich hineinstopft, sondern sich jeweils klarmacht, ist das nun koscher oder nicht. Aber damit verknüpft ist, selbstverständlich setzt sich jeder damit auseinander, dass jemand jüdisch ist oder nicht, weil wer nicht jüdisch ist, muss sich nicht ständig fragen, kann ich das essen, ist das koscher oder ist das nicht koscher?"