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Kosmische Asymmetrie
Materie und Antimaterie verhalten sich unterschiedlich

Eins der großen Rätsel der Physik lautet: Warum gibt es im Universum nur Materie, aber keine Antimaterie? Laut Theorie hätten nach dem Urknall beide Spielarten der Materie in gleicher Menge entstehen müssen. Ein Langzeitexperiment liefert jetzt Hinweise, wo die Antimaterie geblieben sein könnte.

Von Frank Grotelüschen | 16.04.2020
Der Neutrino-Detektor Super-Kamiokande ist Teil des T2K-Experiments
Der Neutrino-Detektor Super-Kamiokande in Japan ist Teil der T2K-Experiments (Kamioka Observatory, ICRR (Institute for Cosmic Ray Research), The University of Tokyo)
Sein oder Nichtsein – in gewissem Sinne sucht Federico Sanchez die Antwort auf die alte Hamlet‘sche Frage. Warum wir überhaupt existieren, möchte der Teilchenforscher von der Uni Genf wissen. Oder genauer: weshalb es überhaupt Materie gibt, sprich Sterne, Planeten und auch uns selbst. Ebendies ist in der Physik ein großes Rätsel.
"Wenn der Urknall der Beginn unseres Universums war, ein Zustand aus reiner Energie, müsste damals eigentlich gleich viel Materie und Antimaterie entstanden sein. Weil Elementarteilchen immer paarweise entstehen, müssten wir eigentlich in einer Welt leben, die zur Hälfte aus Materie und Antimaterie besteht. Doch der Kosmos besteht ausschließlich aus Materie. Also muss ein physikalisches Phänomen dafür gesorgt haben, dass die Materie im Universum die Oberhand gewonnen hat."
Vermutlich winzige Asymmetrie entscheidend
Schon vor längerem hat die Fachwelt eine Theorie ausgeheckt, die das alles erklären könnte. Im Zentrum dieser Erklärung steht das fadenscheinigste aller Elementarteilchen – das Neutrino. Es ist ultraleicht, schnell wie das Licht und geistert in unfassbaren Mengen durch den Kosmos, interagiert dabei aber nur höchst selten mit seiner Umwelt. Wie andere Teilchen auch besitzt das Neutrino eine Art Spiegelteilchen, das Antineutrino.
Federico Sanchez: "Es könnte sein, dass sich das Neutrino ein wenig anders verhält als das Antineutrino. Beide würden also nicht völlig symmetrisch agieren, sondern etwas unterschiedlich. Irgendein physikalischer Prozess würde dafür sorgen, dass sich beide unterscheiden."
Diese winzige Asymmetrie zwischen Neutrino und Antineutrino könnte ein entscheidender Faktor dafür sein, dass nach dem Urknall vor rund 13,8 Milliarden Jahren einiges an Materie übrigblieb, wogegen die Antimaterie komplett verschwand und zu Licht zerstrahlte – so die Theorie. Um sie zu prüfen, fahnden Physiker seit vielen Jahren nach einer feinen Asymmetrie zwischen Neutrino und Antineutrino.
Langzeitexperiment liefert wichtige Hinweise
Ein internationales Team um Federico Sanchez scheint ihr nun unmittelbar auf den Fersen, und zwar mit einem speziellen Experiment namens T2K, erklärt Federico Sanchez:
"Mit einem Teilchenbeschleuniger an der Ostküste Japans erzeugen wir einen Neutrinostrahl. Den lenken wir quer durch die Erde auf einen riesigen, 300 Kilometer entfernten Detektor an der japanischen Westküste. Das Entscheidende: Während des Fluges von der Quelle zum Detektor ändern die Neutrinos ihre Natur."
Kleiner Detektor – riesige Aufgabe Im japanischen Tsukuba wurde der Grundstein für den SuperKEKB-Beschleuniger gelegt. An dem Projekt sind viele deutsche Forscher beteiligt – mit einer elektronischen Kamera, die man den Japanern zur Verfügung stellt. Was klingt, als trüge man Eulen nach Athen, ist ein Projekt, das sich der großen Frage widmet, warum es im Kosmos überhaupt Materie gibt.
Vereinfacht gesagt verwandelt sich ein Teil der lichtschnellen Neutrinos auf dem 300-Kilometer-Trip in eine andere Neutrinosorte. Dieses Spielchen trieben die Fachleute sowohl mit Neutrinos als auch mit Antineutrinos. Die Preisfrage: Verhalten sich beide identisch oder findet sich ein Unterschied bei den Verwandlungskünsten?
Neutrinos und Antineutrinos verhalten sich anders
Annähernd zehn Jahre dauerten die Messungen. Jetzt endlich gibt es das Ergebnis, freut sich Federico Sanchez: "Es sieht ganz danach aus, dass sich die Neutrinos auf eine etwas andere Weise verwandeln als die Antineutrinos. Damit haben wir erstmals beobachtet, dass sich Neutrinos und Antineutrinos unterschiedlich verhalten. "
Für die Physikgemeinde ein deutlicher Hinweis, dass man auf der richtigen Spur sein könnte. Nur: Hieb- und stichfest sind die Daten noch nicht. Dazu braucht es weitere Messungen. Und die sollen zwei neue Experimente bringen, bestückt mit stärkeren Neutrino-Kanonen und größeren Neutrino-Detektoren. Ende des Jahrzehnts sollen sie loslegen, eines in Japan und eines in den USA. Und dann könnte die alte Hamlet-Frage endlich eine Antwort finden – Sein oder Nichtsein.