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Kosovo
Dramatische Folgen der Flüchtlingswelle

50.000 Menschen haben in den vergangenen Monaten das Kosovo verlassen - nach offizellen Angaben. Viele gut ausgebildete Leute sind gegangen, ganze Häuserblocks sind wie ausgestorben, tausende Schüler kommen nicht mehr zum Unterricht. Inzwischen lässt der Flüchtlingsstrom nach, doch die Probleme bleiben.

Von Ralf Borchard | 23.02.2015
    Eine Mädchen schaut Plementina bei Pristina im Kosovo aus dem Fenster einer Wohnung
    Lost Generation: Jugendlichen im Kosovo bieten sich kaum Perspektiven. (picture-alliance / ZB / Jens Kalaene)
    Am Busbahnhof von Pristina hat die Hektik nachgelassen. Vor zwei Wochen fuhren noch jeden Abend neun Busse in Richtung serbisch-ungarische Grenze, jetzt sind es täglich im Schnitt noch zwei. Viele Kosovaren sind inzwischen zurückgeschickt worden aus Serbien, Ungarn, Österreich, Bayern oder anderen deutschen Bundesländern. Der 17-jährige Armir will es trotzdem wieder versuchen. Er steht kurz vor dem Schulabschluss, doch die Chancen auf einen Job sind im Kosovo gleich null, sagt er.
    "Wenn die Schule hier fertig ist, kann ich nicht arbeiten. Hier gibt's gar nichts."
    Auch dieser 24-Jährige, der seinen Namen nicht nennen will, sagt, er werde sich wieder auf den Weg machen, obwohl er beim ersten Versuch 900 Euro an Schlepper verloren hat.
    "Hier gibt es keinerlei Perspektive. Ich will, solange es geht, in einem EU-Land leben. Wenn ich nochmal zurückgeschickt werde, versuche ich es eben wieder."
    Regierungschef Mustafa: "Es gibt keinen Grund, das Land zu verlassen"
    Nach Angaben der Regierung in Pristina haben in den vergangenen Monaten 50.000 Bürgerinnen und Bürger das Land verlassen, tatsächlich waren es wahrscheinlich deutlich mehr. Die Folgen sind dramatisch: Viele gut ausgebildete Leute sind gegangen, sie fehlen im Kosovo selbst. Ganze Häuserblocks sind plötzlich wie ausgestorben, tausende angemeldete Schüler kommen nicht mehr zum Unterricht.
    Die Regierung hat ihre Tonlage geändert. Erst wurde abgewiegelt, nun rief Regierungschef Isa Mustafa am siebten Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo die Menschen zum Bleiben auf.
    "Es gibt keinen Grund, das Land zu verlassen", so Mustafa im Parlament. "Die Zukunft des Kosovo und seiner Bürger wird glänzender und erfolgreicher sein."
    Das sieht der Politikwissenschaftler Vedran Djihic, der seit Langem über den Westbalkan forscht, skeptischer. Er sagt zum Verhalten kosovarischer Politiker:
    "Die politischen Eliten halten den Status quo, wollen mit diesem Status quo auch eigene Privilegien schützen. Und das ist dann eine Mischung, wo man einerseits rhetorisch behauptet, etwas für die Menschen zu tun, zugleich aber an alten Ritualen festhält - an Korruption, Nepotismus, Klientelismus - sodass das Ergebnis für die Menschen im Kosovo ein sehr, sehr unbefriedigendes ist."
    Österreich: "Ihr werdet zurückgeschickt"
    Eine rege Reisetätigkeit in die Region haben nicht nur deutsche Politiker entwickelt, auch die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner war gerade in Serbien und im Kosovo. Polizisten und Wärmebildkameras wurden zur Verstärkung der Grenzkontrollen nach Serbien geschickt, in den zwei größten Zeitungen des Kosovo will die österreichische Regierung Anzeigen schalten mit der Botschaft: "Die Flucht nach Österreich ist sinnlos – ihr werdet zurückgeschickt." Mikl-Leitner:
    "In enger Allianz hat Österreich gemeinsam mit Deutschland und Ungarn die gemeinsamen Rückführungen in den Kosovo intensiviert. Und wir führen vor allem Charter-Abführungen alle zwei Wochen durch."
    Der Politikwissenschaftler Vedran Djihic kritisiert das Verhalten Deutschlands, Österreichs und der EU insgesamt.
    "Das ist auch typisch für eine sehr reaktive und passive europäische Politik. Die Innenminister sind nur auf die Sicherheit der eigenen Nationalstaaten aus. Die Erweiterungspolitik verläuft schleppend, es gibt auch keinen neuen, frischen Geist. Und so fügt sich auch dieses reaktive Verhalten in das Gesamtbild der europäischen Politik, die sicherlich auch an dem, was im Kosovo passiert, mitschuldig ist und eine Verantwortung auch dafür trägt."