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Kostenanstieg ohne Ende

Seit Jahrzehnten warnen Politiker und Experten vor explodierenden Kosten im Gesundheitswesen. Um die zu kompensieren wurden immer wieder die Krankenkassenbeiträge angehoben. Ob die geplante Gesundheitsreform allerdings der Schritt in die richtige Richtung ist bezweifeln viele Ärzte, Apotheker, Klinik-Mitarbeiter und das Pflegepersonal.

Von Nikolaus Nützel | 04.12.2006
    "Meine Damen und Herren, die Krankenversicherungseinrichtungen drohen, wenn man den derzeitigen Dingen nicht Einhalt gebietet, sehr schwierig zu werden - Um den Ausdruck katastrophal zu vermeiden!"

    Schon im Jahr 1962 stellte der damalige Sozialminister Theodor Blank den deutschen Krankenkassen eine klare Diagnose: Sie stünden kurz vor dem Kollaps, meinte er.

    "Im Gesundheitssystem laufen uns die Ausgaben davon. In nahezu allen Leistungsbereichen der gesetzlichen Krankenversicherung sind die Ausgaben drastisch gestiegen."

    Gut zwei Jahrzehnte später, im Jahr 1987, zeichnete der amtierende Gesundheitsminister Norbert Blüm immer noch ein düsteres Bild.

    "Wir werden hier zum 1.1.2007 noch einmal die Beiträge erhöhen müssen, etwa in der Größenordnung von 0,5 Prozent."

    Vier Jahrzehnte nach der Diagnose von Minister Blank und zwei Jahrzehnte nach der Diagnose von Minister Blüm kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Schluss: Die Beiträge der Krankenkassen müssen noch einmal kräftig angehoben werden - doch danach soll endlich erst einmal Schluss sein mit dem jahrzehntelangen Anstieg der Kassenbeiträge. Ob das allerdings mit der geplanten Gesundheitsreform in den Griff zu bekommen sein wird, ist eine Frage. Die heutigen bundesweiten Proteste von Ärzten, Apothekern, Klinik-Mitarbeitern und Pflegern gegen diese von der Bundesregierung geplante Reform sprechen eine deutlich andere Sprache.

    Es gibt keinen Zweifel: Deutschlands Gesundheitswesen ist eines der besten der Welt. Es ist allerdings auch eines der teuersten. Insgesamt 234 Milliarden Euro sind im Jahr 2004 in die Gesundheitsversorgung geflossen - Das heißt, deutlich mehr als ein Zehntel ihrer gesamten Wirtschaftsleistung haben die Deutschen für Krankenhäuser, Pharmaindustrie oder Ärzte aufgewendet. Das ist weltweit der dritthöchste Wert.

    Einen höheren Teil des gesellschaftlichen Wohlstands investieren nur die USA und die Schweiz in ihre Gesundheitsversorgung. Und die Ausgaben fürs deutsche Gesundheitswesen wachsen stetig an. Alleine der Fortschritt in Medizintechnik und Pharmaforschung wird nach verschiedenen Berechnungen dafür sorgen, dass die Gesundheitskosten in den nächsten Jahren deutlich schneller steigen werden als die Wirtschaftsleistung Deutschlands. Damit würde sich zwangsläufig der Anteil der Gesundheitsausgaben am gesamten Bruttoinlandsprodukt immer weiter ausdehnen. Doch irgendwann müsse damit Schluss sein, meint Oliver Schöffski, er ist Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Nürnberg.

    "Die Mittel, die wir für das Gesundheitswesen zur Verfügung stellen können, sind begrenzt, egal wo jetzt diese Grenze ist. Die muss nicht in der Höhe sein, wo sie jetzt ist, wir können auch statt zehn oder elf Prozent des Bruttoinlandsproduktes auch genauso gut 13 oder 14 Prozent ausgeben, wenn die Bevölkerung das will (...) Aber irgendwo existiert eine Grenze, wo die Bevölkerung eben sagt, bis hierhin und nicht weiter. "

    Wenn das Ende der Fahnenstange bei den Gesundheitsausgaben tatsächlich einmal erreicht ist, dann hätte das eine bittere Konsequenz, meint der Wirtschaftswissenschaftler. Noch weit mehr als in den vergangenen Jahren müssten Politik und Ärzte Entscheidungen treffen, die auf einen Begriff hinauslaufen, den in Deutschland kaum jemand gerne in den Mund nimmt: Rationierung.

    "Wir müssen uns überlegen, wollen wir 100.000 Brustkrebspatienten helfen oder einer Million Psoriasis-Patienten, oder wollen wir eine bundesweite Nichtraucherkampagne finanzieren oder die Anschaffung von 100 neuen Rettungshubschraubern in Deutschland. Alles ist gut, alles wollen wir gerne haben. Aber das Geld reicht nur für Teile davon. Und wir müssen uns dann überlegen: Wo setzen wir unsere Prioritäten. "

    Viele Wissenschaftler teilen Professor Schöffskis Analyse und glauben, dass eine Rationierung im Gesundheitswesen unvermeidbar ist. Das würde heißen, es müsste künftig weit strenger als heute abgewogen werden, welcher Patient von einer Therapie welchen Vorteil hat - das glaubt auch Professor Günter Neubauer, er war früher im Gesundheits-Sachverständigenrat der Bundesregierung und leitet heute das Münchner Institut für Gesundheitsökonomik:

    "Man wird in die Richtung gehen, dass man Innovation nur noch denjenigen gibt, die einen höherwertigen Nutzen haben. Das könnte mit dem Alter zusammenhängen: Operiere ich einen 80-Jährigen mit zehn Jahren Lebenserwartung, ist das natürlich weniger Nutzen als wenn ich einen 40-Jährigen operiere, der davon noch 40 Jahre profitiert. Es könnte aber auch sein, dass ich einem 40-jährigen Schwergewichtigen keine neue Hüfte gebe, weil das Gewicht selber den Nutzen dieser Hüfte relativ schnell verbraucht. Und der schlanke 80-Jährige sie kriegt, weil sie ihm zehn Jahre etwas bringt, während der 40-Jährige sie nach fünf Jahren kaputt hat, weil er übergewichtig ist."

    Wie sich ein solches Kosten-Nutzen-Verhältnis bei medizinischen Maßnahmen beziffern lässt - mit dieser Frage beschäftigen sich Gesundheitsökonomen in letzter Zeit immer intensiver. Vor allem in Großbritannien und den USA wird schon seit längerem das Konzept der so genannten QALYs angewendet. Diese englische Abkürzung steht für Quality-Adjusted-Life-Years - auf Deutsch: Qualitätsbereinigte Lebensjahre. Mit ihnen drücken Gesundheitsökonomen aus, was eine bestimmte Behandlungsmethode einem Patienten an Vorteilen bringt.

    Bei einer Krebstherapie beispielsweise, die das Leben im Schnitt um drei Jahre verlängert, werden zunächst diese drei Jahre als Wert genommen. Gleichzeitig werden die Patienten befragt, welche Beeinträchtigungen sie in dieser Zeit erleiden, beispielsweise durch Nebenwirkungen der Medikamente. Alle diese Werte fassen die Gesundheitsökonomen in einer einzelnen Zahl zusammen - ein durchaus problematisches Verfahren, räumt Professor Schöffski von der Uni Nürnberg ein. Dennoch hält er die QALYs für ein taugliches Instrument:

    "Es gibt aber Lebensqualitäts-Messinstrumente, Fragebögen, die schaffen das. Sie beantworten diese Fragen, und hinterher durch einen ermittelten Algorithmus kommt raus, der hat eine Lebensqualität von 0,85. "

    Das heißt, wenn Patienten durch eine bestimmte Therapie im Schnitt zehn Jahre länger leben, allerdings mit einer auf 0,85 abgesenkten Lebensqualität, dann werden für die entsprechende Therapie nicht zehn zusätzliche Lebensjahre gezählt, sondern nur achteinhalb qualitätsbereinigte Lebensjahre.

    Die Ökonomen setzen diese QALYs zum einen ein, um zu vergleichen, welchen Nutzen neue Behandlungsmethoden im Vergleich zu bereits eingeführten Therapien haben. Eine bestimmte Dialyse-Technik, die Nierenkranken 15 QALYs bringt, ist besser als eine, die nur 13 QALYs bringt. Gleichzeitig lässt sich auch berechnen, wie viel Geld aufgewendet werden muss, um ein zusätzliches qualitätsbereinigtes Lebensjahr zu gewinnen.

    In Großbritannien beispielsweise sind Pharma-Firmen verpflichtet, genau vorzurechnen wie viel Pfund ein Lebensjahr kostet, das sich mit einem neuen Medikament gewinnen lässt. Denn der staatliche britische Gesundheitsdienst verwendet solche Daten um zu entscheiden, ob es ökonomisch sinnvoll ist, ein neues Medikament in sein Programm aufzunehmen.

    Mit der aktuellen Gesundheitsreform wird auch in die deutschen Gesundheitsgesetze erstmals der Begriff der Kosten-Nutzenbewertung bei Arzneimitteln eingeführt. Allerdings legt die Bundesregierung großen Wert darauf, dass sie in keiner Weise dem britischen Modell nachfolgen wolle. Vielmehr gehe es darum, zu verhindern, dass neue patentgeschützte Arzneien zu sehr hohen Preisen auf den Markt kommen, obwohl sie nur wenig Fortschritt für die Behandlung der Patienten bringen - so erklärte es Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt bei der Vorstellung der Reform im Bundestag:

    "Und mit dieser Kosten-Nutzenbewertung können wir künftig auch dafür sorgen, dass Medikamente, die keinen wesentlichen Fortschritt für die Versicherten bringen, auch nicht wesentlich mehr kosten als bewährte Präparate. Und auch damit können wir Einsparungen erreichen."

    Nicht nur die Ministerin, sondern auch viele Ökonomen stören sich schon seit langem an einer Besonderheit des deutschen Gesundheitswesens. Deutschland ist der einzige größere Industriestaat, in dem die Pharmaindustrie bei neuen Medikamenten alleine festlegt, welchen Preis die Krankenkassen zu zahlen haben. Damit sei jetzt wahrscheinlich bald Schluss, meint Professor Gerd Glaeske, der sich im Gesundheits-Sachverständigenrat der Bundesregierung vor allem mit Arzneitherapie beschäftigt. Er hat zwar von der Gesundheitsreform insgesamt keine gute Meinung. Den einzelnen Aspekt der Kosten-Nutzenbewertung begrüßt Glaeske jedoch:

    "Ich glaube, das ist ein Riesenfortschritt. Wir erinnern uns, im Jahr 2004 stand bei dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit auch zunächst im Gesetz, dass es eine Kosten-Nutzenbewertung vornehmen soll. Nur der Nutzen ist übrig geblieben, offensichtlich weil ganz zum Schluss doch jemand Bedenken bekommen hat, möglicherweise auch beeinflusst durch die Industrie. Und jetzt ist es drin, das ist ein Fortschritt. Jetzt kommt es darauf an, ihn zu füllen."

    Wie der Begriff der Kosten-Nutzenbewertung genau gefüllt wird, ist aber noch unklar. Sicher ist nur, dass die Arbeitsweise der britischen Gesundheitsbehörden kein Vorbild sein soll. Beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, das die Kosten-Nutzen-Bewertung künftig vornehmen soll, warten die Wissenschaftler zunächst ab, bis die Gesundheitsreform verabschiedet ist. Dann erst will der Instituts-Leiter Professor Peter Sawicki mit seinen Mitarbeitern Methoden entwickeln, um Kosten und Nutzen von Medikamenten abzuwägen. Als Wissenschaftler sei er nicht sonderlich glücklich mit dieser Aufgabe, sagt Sawicki - denn es geht seiner Ansicht nicht um wissenschaftliche Entscheidungen, sondern um politische:

    "Wenn ein Präparat überhaupt keinen zusätzlichen Nutzen erbringt gegenüber einem anderen Präparat, aber teurer ist, dann ist klar, es ist unwirtschaftlich. Aber was machen wir, wenn ein Präparat ein bisschen besser ist? Einer von 100 Behandelten profitiert davon - vielleicht nicht wegen der Lebenslänge, sondern wegen weniger an kleineren Nebenwirkungen. Ist eine Kostensteigerung von 30 Prozent, 50 Prozent dafür gerechtfertig? Also der Wert eines besseren Lebens, eines bequemeren Lebens oder der Verhinderung einer kleinen Komplikation ist doch nicht bezifferbar."

    Und schon gar nicht bezifferbar ist es nach Ansicht von Professor Sawicki, was ein zusätzliches Lebensjahr wert ist. Der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit hält es für einen Fehler, dass seine Kollegen in Großbritannien in ihrer Arbeit eines klarmachen: Es gibt ihrer Ansicht nach eine Obergrenze, was ein Lebensjahr kosten darf. Dazu wurde zwar nie ein offizieller Grenzwert veröffentlicht. Doch mit einem inoffiziellen Grenzwert arbeiten die Briten sehr wohl, darin sind sich alle Fachleute einig.

    Erst vor wenigen Monaten haben die britischen Gesundheitsbehörden für empörte Proteste von Patientenorganisationen gesorgt. Denn sie haben entschieden, dass ein neues Krebsmedikament zu teuer ist, für das, was es leistet. Im Schnitt bringt dieses Präparat Krebspatienten rund ein halbes Jahr zusätzliches Überleben. Doch die Kosten für ein so genanntes QALY, also für ein qualitätsbereinigtes Lebensjahr, betrugen nach den Berechnungen der Briten zum Teil mehr als 80 000 Euro.

    In Deutschland ist es offiziell bislang ein Tabu, über solche Obergrenzen zu reden. Der Nürnberger Gesundheitsökonom Oliver Schöffski hält diese Diskussion aber für unausweichlich. Denn die Mittel für die Gesundheitsversorgung sind begrenzt - doch die Möglichkeiten der Medizintechnik werden immer teurer und werfen deshalb seiner Ansicht nach eine Frage auf:

    "Wie viel darf solch ein Arzneimittel kosten, das genau ein QALY dem Patienten bringt? Was darf also ein Lebensjahr mit einer Superlebensqualität kosten, darf das zehn Milliarden Euro kosten? Da würde ich sagen, klar wollen wir dieses Lebensjahr haben, aber so viel Geld haben wir einfach nicht. Darf es zehn Millionen Euro kosten? Wahrscheinlich auch nicht, denn wir wollen viele von diesen Lebensjahren gewinnen, und wir müssen uns überlegen, wo ist diese Grenze, wo wir sagen können, in dieser Größenordnung, können wir es uns leisten und wollen wir es uns leisten, so ein Lebensjahr zu kaufen. "

    Professor Schöffski weiß, dass er sich hier auf ein Feld begibt, das ethisch hoch problematisch ist. Doch wenn man heute nicht offen über Rationierung in der Gesundheit und ihre ethischen Probleme spricht, dann werde es morgen eine verdeckte Rationierung geben, glaubt er. Und die sei noch schlechter für die Patienten.

    Aber nicht nur Gesundheitsökonomen beschäftigen sich mit der Frage, wie die Gelder der Krankenversicherungen so eingesetzt werden können, dass sie einen möglichst hohen Nutzen schaffen. Auch Ärzte debattieren immer offener darüber, ob die Forderung noch zeitgemäß ist, dass schwerstkranke Patienten alles bekommen sollen, was medizinisch machbar ist. Professor Bruno Müller-Oerlinghausen leitet die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, er ist also sozusagen der oberste Sprecher aller deutschen Mediziner in Fragen der Arznei-Therapie. Und er vertritt inzwischen eine Position, von der er selbst weiß, dass sie umstritten ist:

    "In Amerika hat sich jetzt eine Diskussion entwickelt, ob es vertretbar ist, zu sagen, wenn ein Medikament lebensverlängernd ist, darf nach dem Geld nicht gefragt werden. Anlass war ein sehr teures Krebsmedikament, was für vielleicht ein paar Monate Lebensverlängerung bringt, und was außerordentlich teuer ist. Und es ist die Frage gestellt, worden: Ist es gerechtfertigt, für diesen Patienten, der vielleicht sogar selbstverschuldet als Raucher ein Lungenkarzinom hat, eine nicht weiter befragte Summe an Geld, das Geld was der Hersteller verlangt, einfach auszugeben und damit in Kauf zu nehmen, dass ein anderer Patient, der eine schwere Gelenkserkrankung hat, eine schwere rheumatische Erkrankung hat, ein Medikament nicht bekommt, was ihm fünf Jahre dramatisch bessere Lebensqualität bringen würde. "

    Und der Präsident der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft ist sich in einem sicher: Wenn die Mediziner solche Fragen nicht beantworten, wird es irgendwann jemand anderer tun:

    "Das wird uns bei der Kommission und unseren Mitgliedern teilweise sauer werden. Weil es eine Thematik ist, von der sich die Ärzteschaft bislang gerne ferngehalten hat, indem sie gesagt hat, wir sind für das Wohl des Patienten da, und alles, was ihm hilft, muss gemacht werden. Und wenn die Gesellschaft das so nicht mehr will, dann muss die Gesellschaft das so entscheiden, aber nicht wir als Ärzteschaft. Ich meine, dass dieser Standpunkt auf die Dauer nicht haltbar ist, wir sind Teil dieser Gesellschaft als Ärzte."

    Über die Kosten beispielsweise für ausgesprochen teure neue Krebstherapien, von denen der Präsident der Arzneimittelkommission spricht, zerbrechen sich auch andere Fachleute derzeit den Kopf. Professor Gerd Glaeske vom Gesundheitssachverständigenrat der Bundesregierung kennt die internationale Diskussion, ob beispielsweise Therapien mit so genannten monoklonalen Antikörpern von öffentlichen Gesundheitssystemen finanziert werden sollen. Glaeske hat hier aber eine klare Position:

    "Ich habe nicht den Eindruck, dass wir heute irgendeinem Patienten eine teure Behandlung mit monoklonalen Antikörpern, die 50, 60, 70, 80.000 Euro im Jahr kosten, vorenthalten müssen aufgrund von Geldmangel im System. Ich muss dieses Geld anders verteilen, und ich muss auch von den Ärztinnen und Ärzten erwarten, dass sie es anders verteilen und dass sie in den Bereichen, wo sie eine kostengünstige erprobte Therapie anwenden können, sich nicht auf das Gleis der Industrie ziehen lassen, die dann meinen, dass alles Neue auch besser ist und verschweigen, dass es auch teurer ist (..) dass sie auch Verschwendung in ihren Praxen möglichst bereit sind, abzustellen. Wenn dies der Fall ist, habe ich überhaupt keine Sorge, dass ich in der nächsten Zeit eine Rationierungsdiskussion bei besonders teuren Maßnahmen führen muss."

    Die vorhandenen Mittel im Gesundheitswesen anders verteilen - Dieses Ziel lasse sich unter anderem mit der neuen Kosten-Nutzenbewertung für Arzneimittel erreichen, die die Gesundheitsreform vorsieht, hofft Glaeske. Wenn es gelinge, beispielsweise unnötig teure neue Medikamente für Massen-Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck im Preis zu drücken, dann sei genug Geld da für die Behandlung Schwerstkranker, meint der Pharmakologie-Professor. Allerdings dämpft er die Hoffnung auf schnelle Veränderungen:

    "Ich glaube, dass das Gesetz etwas befördert und im Grunde genommen in Gang setzt, was wir lange schon brauchen, nämlich eine Methodik zu erstellen, die deutlich macht, wie sich die Kosten bezogen auf den Nutzen verhalten sollen. Dass mit diesem Gesetz nicht von Anfang an eine grundlegende Veränderung erwartet werden kann, das gebietet, glaube ich, die realistische Einschätzung. Ich glaube auch nicht, dass, wenn das Gesetz zum 1.4.2007 in Kraft tritt, sofort von Beginn an neue Arzneimittel im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Bewertung evaluiert werden, sondern ich glaube, dass das eine gehörige Zeit noch dauern wird."

    Bevor Gesundheitspolitiker Instrumente für eine harte Rationierung schmieden, sollten die Ressourcen im dritt-teuersten Gesundheitssystem der Welt erst einmal besser verteilt werden, findet Glaeske.

    Diese Meinung vertritt auch Professor Eckhard Nagel. Er ist Spezialist für Organtransplantationen am Augsburger Zentralklinikum und gleichzeitig Mitglied im Nationalen Ethikrat. Es gebe noch viel Verschwendung im deutschen Gesundheitswesen, meint er - unter anderem deswegen, weil es bei vielen Ärzten zu wenig Kostenbewusstsein gebe.

    "Hans Jonas hat das im "Prinzip Verantwortung" schon geschrieben: Ein Arzt ist tatsächlich verantwortlich für jede eingesetzte Mark - damals noch - im Gesundheitswesen. Und er muss ethisch verantworten, was er Gutes damit hätte anstellen können, wenn er es seinem Patienten vorenthält. Also insofern ist es völlig klar, dass eine Entscheidung zum Wohle des Patienten immer auch bedeutet, dass ich in irgendeiner Weise andere Möglichkeiten einschränke."