Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Kostenexplosion bei Iter

Kernphysik. - Das internationale Fusionsexperiment Iter scheint unter keinem guten Stern zu stehen. Die 2005 vereinbarten Kosten- und Zeitpläne sind offenbar Makulatur, die Kosten haben sich verdreifacht. Schuld sollen explodierte Rohstoffpreise und schwerfälliges Management sein.

Von Frank Grotelüschen | 28.05.2010
    November 1991. Es ist das letzte Mal, dass Europas Fusionsforscher von Herzen jubeln können. Damals hatten es die Physiker mit dem Versuchsreaktor Jet in England geschafft, erstmals kontrolliert Wasserstoff zu Helium zu verschmelzen, wenn auch nur zwei Sekunden lang. Der Weg schien frei für eine neue, schier unerschöpfliche Energiequelle. Voller Elan machten sich die Forscher daran, die Baupläne für einen neuen, noch größeren Reaktor zu bauen, den Iter.

    "Der Sinn ist zu zeigen, dass man im großen Maßstab Energie gewinnen kann","

    sagt Hartmut Zohm, Fusionsforscher am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München.

    ""Iter soll zum ersten Mal in der Lage sein, zehnmal mehr Energie zu produzieren als man zum Aufrechterhalten des Plasmas braucht. Eine Art Nagelprobe für die Reaktortauglichkeit des Fusionsprinzips."

    2005 beschloss die Europäische Union gemeinsam mit Japan, Südkorea, China, Russland, Indien und den USA, Iter in Südfrankreich zu bauen: eine riesige reifenförmige Vakuumkammer, in der große Magneten ein Wasserstoffgemisch gefangen halten. Dieses Gas soll zu einem 150 Millionen Grad heißen Plasma erhitzt werden – heiß genug, dass die Wasserstoffkerne zu Helium verschmelzen und Energie freisetzen können. Fünf Milliarden Euro sollte die Anlage kosten, 2018 sollte sie fertig sein. Doch bereits vor zwei Jahren mehrten sich die Anzeichen, dass weder Zeit- noch Kostenplan zu halten sind. Jetzt liegen die Zahlen auf dem Tisch – und sie sind ernüchternd: Frühestens im Jahr 2026 wird der Reaktor voll einsatzfähig sein. Und: Iter wird um das Dreifache teurer werden und statt fünf Milliarden 15 Milliarden Euro kosten. Die Gründe: Erstens sind die Rohstoffpreise kräftig geklettert, gerade für jene speziellen Stähle und Metalle, die man für Iter braucht. Zweitens, so Zohm:

    "Es gibt einen weiteren Teil, der meiner Meinung nach darauf beruht, dass der Iter am Anfang mit relativ spitzem Griffel geplant worden ist. Also dass man feststellt, dass die Dinge im Detail doch etwas komplizierter sind und ein bisschen mehr kosten können."

    Und drittens: Es hakt beim Management, meint Hartmut Zohm.

    "Ein Problem bei Iter ist, dass man sieben Partner hat, die über die ganze Welt verteilt sind. Und das ist ein relativ träger Apparat."

    Ein Beispiel: Jeder Partner möchte tunlichst seine eigenen Industrien beschäftigen – was zur Folge hat, dass ein- und dieselbe Komponente von mehreren Firmen aus verschiedenen Ländern gebaut wird. Nun soll das Management ausgetauscht und die Projektstruktur gestrafft werden. Das jedenfalls fordert die Politik. Bundesforschungsministerin Annette Schavan hat betont, dass es mit Iter zwar irgendwie weitergehen müsse, es aber keinen Blankoscheck geben dürfe. Zurzeit jedenfalls ist höchst unklar, woher das fehlende Geld kommen soll. Ungewiss ist auch, ob angesichts der Kostenexplosion alle sieben Partner bei der Stange bleiben. Zohm:

    "Was man sich vorstellen kann, wäre ein Dominoeffekt: Dass ein Partner aussteigt, und dann sagt der andere: Jetzt mache ich auch nicht mehr mit. Wenn ein einzelner Partner aussteigt, könnte das tragbar sein, wenn auch schmerzlich. Aber wenn es einen Dominoeffekt gibt, könnte das die Sache noch in Gefahr bringen."

    Die Kritiker der Fusion jedenfalls fühlen sich durch die Kostenexplosion bestätigt, etwa Heinz Smital, Atomexperte bei Greenpeace.

    "Es ist wissenschaftlich eine sehr große Herausforderung, Kernfusion zu betreiben. Das sind 100 Millionen Grad, die man beherrschen muss. Das ist sicherlich von wissenschaftlicher Seite her sehr spannend. Aber man soll nicht so tun, als würde man damit etwas für die Energieversorgung tun."

    Denn: ITER sei ja nur ein wissenschaftliches Experiment und nicht etwa schon ein funktionstüchtiger Prototyp für ein Kraftwerk. Smital:

    "Da wird nur versucht, ein Plasma zu erzeugen, dass für einige 100 Sekunden bestand hat und letztlich etwas mehr Energie herauszuholen, als man hinein gesteckt hat. Und man darf nicht vergessen, was für hochkomplexe Technik da drin ist. Das ist sicherlich wissenschaftlich spannend. Aber für die Energieversorgung glaube ich sollte man sich das abschminken."

    Deshalb plädieren die Kritiker dafür, Iter möglichst bald zu stoppen und die Milliarden stattdessen in den Ausbau der regenerativen Energien zu stecken, etwa in riesige Solarkraftwerke in der Sahara.