Freitag, 29. März 2024

Archiv


Kostengünstig und modern

Nach dem Zweiten Weltkrieg glichen viele Städte einem Trümmerhaufen: Der Wiederaufbau musste günstig sein, sollte aber auch einen Neustart symbolisieren. Eine Tagung der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg beleuchtet die Architektur der Nachkriegsjahre.

Von Ursula Storost | 01.10.2009
    Oktober 1945: Fünf Monate nach Kriegsende wendet sich ein Vertreter der SPD in einer Rundfunkansprache an die Einwohner Leipzigs.

    "Das Ergebnis der zwölfjährigen Herrschaft des Nazismus ist, dass unsere schöne Heimatstadt in ein Trümmerfeld verwandelt wurde. Tausende Häuser, Zehntausende Wohnungen wurden völlig vernichtet. Betrachtet man die Trümmerstätten, so könnte man fast verzweifeln."

    Verzweifelt waren die meisten Menschen in jenen Tagen, nicht nur in Deutschland.

    "Das ist einmalig in der neueren Zivilisationsgeschichte für viele europäische Länder, in Deutschland aber auch in Polen, auch in Russland aber auch in Norditalien, in Frankreich, in der Normandie, dass Städte zerstört wurden, die in ihrer gesamten Stadtgeschichte noch niemals zerstört worden waren; und mit einer Radikalität und in einer großen Fläche, wie man das vorher gar nicht kannte."

    Es waren nie gekannte Aufgaben, die jetzt auf die Menschen zukamen, sagt Georg Wagner Kyora, Historiker an der TU Berlin. In Deutschland versuchten Architekten und Städteplaner, die Stunde null zu nutzen, um radikal mit der Nazi-Vergangenheit zu brechen.

    "Indem sie modern bauten, aber nicht wie die Nazis das getan hätten. Natürlich waren die Köpfe voll von diesem Propagandagesülze, dass die Menschen gehört haben. Und sie haben versucht, sich davon sehr schnell abzuwenden und eine neue Gesellschaft zu bauen, indem sie produktiv versucht haben, mit dem, was sie kannten, diese Erfahrung zu verarbeiten."

    Was sie kannten, waren vor allem Konzeptionen der modernen Architekten aus der Weimarer Republik; die Entwürfe aus dem Bauhaus - Walter Gropius, Mies van der Rohe und Hannes Meyer. Determiniert wurde alle Planung allerdings von Finanz- und Wohnungsnot. Für Utopien war damals kein Platz, weiß Axel Schildt. Er ist Mitorganisator der Tagung und Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg.

    "Das primäre Ziel war zunächst, Wohnraum zu schaffen - und zwar zu möglichst billigen Preisen. Das heißt, Wirtschaftlichkeitsaspekte standen im Mittelpunkt aller Überlegungen; hinter dieser Erwägung, überhaupt den Leuten wieder ein Dach über dem Kopf zu geben. Das war das absolut erste Ziel. Und hinter dem standen zunächst mal ästhetische Erwägungen, was ist schön oder so etwas, völlig zurück."

    Man griff aus Materialmangel auf noch vorhandene Bausubstanz zurück, baute aber vor allem modern. Und zum ersten Mal wurden jetzt in Deutschland Wohnhochhäuser mit mehr als sieben Stockwerken gebaut.

    "Im Großen und Ganzen lösen sich auch die erbitterten Debatten, die es in der Zwischenkriegszeit gegeben hatte, also wo etwas das Flachdach und das moderne Bauen als Kulturbolschewismus galt und dagegen also Heimatschutzargumente ins Spiel gebracht wurden. Solche ideologischen Debatten haben sich zumindest seit 1948/49, als der Wiederaufbau dann überall begann, sehr entschärft. Und es ist so eine Art von - doch - Konvergenz entstanden; und zum Teil sehr ähnlichen Lösungen."

    Von Nord nach Süd entstanden weitestgehend einförmige Wohnsiedlungen.

    "Das zumindest bis in die 70er-Jahre gültige Leitbild, und das ist ein Leitbild, das international gegolten hat, ist die soziale Frage insofern zu lösen, als man Licht, Luft und Sonne in die Wohnungen auch der minderbemittelten Schichten der unteren Klassen bringen sollte. Das ist das Leitbild, wo sich alle einig sind, welcher Architekturströmung sie auch immer angehört haben seit der Jahrhundertwende."

    Die Baumeister schufen praktische kleine Wohnungen für vierköpfige Familien. Mitte der 50er-Jahre gab es erste kritische Stimmen zu dieser Art Wohnungspolitik.

    "Kritik von eher konservativer Seite, die sagen, mit diesem Wiederaufbau ist die, wie man es nannte, Schrumpffamilie gefördert worden. Das heißt, die Familie mit nur noch zwei Kindern, weil mehr an Platz gar nicht vorhanden war."

    Viele europäische Städte agierten nach solchen Baukonzepten. Aber es gab Ausnahmen wie in Polen, weiß Martin Kohlrausch von der Universität Bochum. Vier Jahre lang hat er am Deutschen Historischen Institut in Warschau den dortigen Wiederaufbau erforscht. Warschau war 1944 von den Deutschen systematisch und fast vollständig zerstört worden. Mit sogenannten Verbrennungskommandos hatte man hier versucht, die polnische Kultur auszulöschen. Die Polen beschlossen nach dem Krieg, die Innenstadt nach den alten Plänen wieder aufzubauen.

    "Weil man ganz bewusst sagte, wir lassen uns von dem Aggressor, den Deutschen, nicht unsere Hauptstadt nehmen, diktieren wie unsere Gegenwart, unsere Zukunft auszusehen hat, und hat sich bewusst dafür entschieden, die Hauptstadt wieder aufzubauen. Das interessanteste Beispiel ist da sicher die Altstadt, die vollkommen, also bis auf die Grundmauern zerstört war und die eigentlich gar nicht in die modernen Konzepte gepasst hat, die man zunächst verfolgt hat. Man hat natürlich modernisiert, man hat entdichtet. Aber man hat die Altstadt doch mehr oder weniger in der Fassung vor dem Krieg wieder aufgebaut."

    Wiederaufbau als Anklage gegen Deutsche Zerstörungswut und als vorbildliches Expertentum. Kommissionen aus ganz Westeuropa reisten nach Warschau, um das Konzept genauer zu studieren und mitzuhelfen. Und auch Danzig, Breslau und andere Städte wurden so wiederaufgebaut.

    "Dieser Geist, der aus dem Wiederaufbau spricht, zu sagen, trotz dieser enormen Katastrophe versuchen wir nicht nur wieder aufzubauen, sondern es besser zu machen, aus den Problemen, die wir vor dem Krieg hatten, zu lernen. In gewisser Hinsicht war wahrscheinlich diese Vorstellung auch Vorbedingung dafür, dass man die geistige Kraft gefunden hat, sich auf dieses aus damaliger Sicht fast aussichtslose Vorhaben einzulassen."

    In Polen gab es auch kreative Köpfe, die seit der Zwischenkriegszeit Konzepte für moderne Architektur entworfen und diskutiert hatten. Es existierten Pläne für große Verkehrsachsen und innovative Wohnsiedlungen, weiß Martin Kohlrausch.

    "Man hat zumindest bis zum Ende der 40er-Jahre also 1948, 1949 hier sehr interessante Lösungen gesucht. Ist dann allerdings auch, und das kennen wir ja aus Ostberlin, in den Sog des stalinistischen Baustil, des sogenannten sozialistischen Realismus gekommen. Und von dort an folgt man in Warschau sehr viel stärker zwangsweise den sowjetischen, den Moskauer Mustern und auch direkten Vorgaben."

    Vorwiegend wurden alte Gebäude in Europa nach 1945 aber abgerissen, sagt Florian Mausbach. Der gerade pensionierte Präsident des Bundesamtes für Bauwesen in Berlin glaubt, dass zum Beispiel während der Modernisierungswelle der 1960-Jahre in Deutschland mehr abgerissen, als durch den Krieg zerstört wurde.

    "So bin ich auch als Architekt, als Student aufgewachsen. Damals in den 60er-Jahren selbst hab ich auch Sanierungsuntersuchung gemacht. Wir sind in diese Gebäude gegangen mit dem festen Ziel: weg damit. Wir haben also am Geländer gerüttelt und haben gewippt, ob die Stufen in den Treppenhäusern knarren. Und dann haben wir gesagt, das ist abrisswürdig. So war die allgemeine Stimmung: Weg damit, moderne, neue Häuser mussten her."

    Das änderte sich Anfang der 70er-Jahre. Die modernen verdichteten Stadtviertel mit möglichst viel Wohnraum entpuppten sich als seelenlos, anonym und geschichtslos. Die schöne neue Welt stieß bei der Bevölkerung auf Widerstand.

    "Kreuzberg sollte abgerissen werden. Und die großen wunderbaren Grünanlagen von dem Gartenarchitekten Lenne geplant, sollten mit einer Autobahn zugedeckt werden. Und wir haben damals eine Bürgerinitiative gebildet und haben für das Bethanienkrankenhaus in Kreuzberg gekämpft. Es sollte damals abgerissen werden. Heute ist es ein Kulturhaus, steht unter Denkmalschutz. Ein Bau aus der Romantik. Es gibt noch die Apotheke von Theodor Fontane darin. Der war nämlich Apotheker in diesem Gebäude."

    25 Jahre nach Ende des Krieges, begannen die Menschen umzudenken. Man traute sich, den Blick wieder zurückzuwenden, die Leistungen der früheren Baumeister und Stadtplaner wieder zu würdigen, die Geschichtsträchtigkeit der europäischen Stadt neu zu entdecken und Fehler einzugestehen.

    "Ich weiß, dass der Planungsdezernent aus Hannover in Berlin in einer öffentlichen Diskussion, er war schon pensioniert, dann sagte im Rückblick, er war immer ein moderner Stadtplaner gewesen, er müsse doch zugeben am Ende seines Lebens, dass überall dort, wo man die Städte einfach wieder aufgebaut hätte, die Menschen glücklicher wären."

    Obwohl die Stadtplaner seit damals viel dazugelernt haben und obwohl Deutschland heute vorbildlich ist, geht manches Geschichtsträchtige durch vorschnellen Kahlschlag doch unwiederbringlich verloren, zum Beispiel die Berliner Mauer.

    "Man wollte die Mauer natürlich weghaben. Aber es gab auch schon kluge Leute, die damals sagten, lasst doch einen Teil wenigstens stehen. Und heute bedauert man, dass man nicht zumindest ein authentisches Stück mitten in der Stadt einfach erhalten hätte. Ich hätte das erhalten, hätte gesagt, dazu gehört ein Wachturm, so ein richtig authentisches Stück."