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Kostenloser Nahverkehr
"Die Kostenfrage allein ist nicht entscheidend"

Die Subventionierung des öffentlichen Nahverkehrs allein reiche nicht aus, um den Autoverkehr in den Städten zu reduzieren, sagte Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU) im Dlf. Es brauche ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Entscheidend sei die Qualität des Nahverkehrs.

Markus Lewe im Gespräch mit Christoph Heinemann | 16.02.2018
    Autos von hinten aufgenommen stehen im Stau
    Man solle auch "nach neuen Systemen gucken, wie ich eigentlich den Fahrgast von A nach B bringen kann", forderte der Münsteraner Oberbürgermeister Lewe im Dlf (dpa / Frank Rumpenhorst)
    Christoph Heinemann: Es könnte so werden, wie es häufig ist: Schön, dass wir darüber gesprochen haben, und das war es dann. Am Dienstag ist der Inhalt eines schwarz-roten Briefes bekannt geworden, den die geschäftsführenden Ministerinnen und Minister Hendricks (SPD), Schmidt (CSU) und Altmaier (CDU) an die EU-Kommission abgeschickt hatten. Darin beschreiben sie Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität in deutschen Städten. Dazu gehört ein Test: Öffentlicher Personennahverkehr gratis. Ausprobieren sollen dies die Städte Bonn, Essen, Herrenberg, Reutlingen und Mannheim. Dort wo dies bisher getestet wurde, haben sich viele Bürgerinnen und Bürger für Busse und Bahnen und gegen das Auto entschieden. Der Vorschlag der Bundesregierung ist allerdings nicht das Ergebnis vorausschauender Umweltpolitik. Vielmehr bildet er den Versuch, die drohende Klage der EU-Kommission wegen der miserablen Luft in deutschen Städten abzuwenden.
    Wir haben gestern Abend Markus Lewe erreicht, CDU-Politiker, Oberbürgermeister von Münster und Präsident des Deutschen Städtetages. Ich habe ihn gefragt, was er auf den Straßen erlebt, wenn er Sonntags früh morgens durch Münster fährt.
    "Es muss eine Angebotsvielfalt da sein"
    Markus Lewe: Na ja. Sonntags früh morgens ist nicht viel los in der Stadt, und da ich ja ohnehin Fahrradfahrer bin, habe ich ein gewisses Privileg. Ich genieße das Fahren, aber egal ob an Sonntagen, Samstagen oder sonst in der Woche, weil ich ohnehin mit dem Fahrrad in Münster immer schneller bin als mit allen anderen Verkehrsmitteln.
    Heinemann: Und wünschten Sie Ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern solche Sonntagsgefühle auch an Werktagen?
    Lewe: Na ja, es geht ja nicht um Gefühle. Es geht ja darum, dass die Bürgerinnen und Bürger schnell von A nach B kommen wollen und gleichzeitig die Lebensqualität in den Städten nicht unter einer unkontrollierten Schwerpunktnahme von PKW-Verkehr beschädigt wird, und das ist ja die große Herausforderung, die wir haben: Wie müssen wir Lösungen finden für die Städte, dass die Luftqualität gut wird, und was können wir dafür tun, dass die Innenstädte nicht komplett im Autoverkehr versinken.
    Heinemann: Und das klappt erkennbar ja bisher nicht.
    Lewe: Nein, das klappt leider in vielen Städten nicht. Man hat viel zu lange auch teilweise gewartet, um alternative attraktive Angebote zu schaffen. Ich sage bewusst attraktive Angebote, weil die Frage, welches Verkehrsmittel die Bürgerinnen und Bürger nutzen wollen, keine Frage der Erziehung ist, sondern es muss eine Angebotsvielfalt da sein. Und wenn der öffentliche Nahverkehr attraktiv ist, oder auch das Fahrradfahren in den Städten attraktiv ist, dann gibt es eine Reihe von Bürgerinnen und Bürgern, die dann auch sich entscheiden umzusteigen und dann aufs Auto verzichten.
    "Ruhig auch nach neuen Systemen gucken"
    Heinemann: Städte, die kostenlosen Nahverkehr ausprobiert haben, etwa Templin in Deutschland (16.000 Einwohner – jetzt keine riesengroße Stadt), oder Estlands Hauptstadt Tallin, die haben festgestellt: Die Fahrgastzahlen vervielfachen sich, der Autoverkehr verringert sich spürbar. Sie haben eben von Lebensqualität gesprochen. Muss das nicht das Ziel der Verkehrspolitik schlechthin sein?
    Lewe: Das Ziel ist vollkommen richtig. Man muss nur genau hingucken, ob die Maßnahmen auch ausreichend sind und ob sie auch zielführend sind. Man muss aufpassen, dass eine solche Regelung nicht dazu führt, dass es irgendwann implodiert. Wenn ich kostenfreien Nahverkehr anbiete und alle umsteigen und ich dadurch nicht schneller ans Ziel komme, oder die Qualität des Nahverkehrs dadurch nachlässt, dann wird das irgendwann wieder dazu führen, dass ganz schnell die Leute wieder abspringen. Ich glaube, man muss ein Bündel von Maßnahmen treffen, und die entscheidende Frage ist die der Qualität. Möglichst schnell von A nach B zu kommen, vernünftige Fahrzeuge zu haben, intelligente Lösungen zu haben, auch weg zu kommen von der rein angebotsorientierten Nahverkehrsstruktur, sondern ruhig auch nach neuen Systemen zu gucken, wie kann ich eigentlich den Fahrgast von A nach B möglichst schnell bringen und auf Anforderungen reagieren, all das werden die Herausforderungen sein. Die gegenwärtige Frage, ob man durch eine komplette Subventionierung des öffentlichen Nahverkehrs die Passagiere zur Umsattelung bewegen kann, die bezweifle ich. Im Übrigen entstehen dadurch auch erhebliche Mehrkosten, aber man kann es ja durchaus mal in einigen Städten probieren. Das ist ja offensichtlich auch der Fall. Aber man darf sich da nichts vormachen. Es wird sicherlich ein erheblicher Finanzaufwand sein, der dadurch entstehen wird. Man wird mehr investieren müssen in Fahrkörper. Man muss mehr investieren in neue Bushaltestellen oder Bahnhaltestellen. Und ich persönlich bin zutiefst davon überzeugt: Der erste Schritt muss darin liegen, die Qualität zu verbessern.
    Heinemann: Für Hamburg ist das mal hochgerechnet worden. Das würde pro Jahr etwa eine Elbphilharmonie kosten, 800 Millionen. In Münster sicher weniger. Wie könnte dieses Geld zusammenkommen?
    Lewe: Die erste Frage ist ja, können die Kommunen das überhaupt stemmen. Hier achten wir natürlich – und das sage ich ausdrücklich auch in der Rolle als Präsident des Deutschen Städtetages -, Ideen zu entwickeln ist das eine, aber es muss auch bezahlbar sein. Darauf achten wir natürlich zutiefst, denn jede Idee, die geboren wird, verursacht Kosten, und die werden wir als Kommunen alleine nicht stemmen können. Das ist der erste Punkt.
    Nicht nur finanzielle, sondern auch planungsrechtliche Unterstützung
    Der zweite Punkt ist: Wenn man sich tatsächlich diese Summe einmal vor Augen führt, muss man sich ja die Frage stellen, ist das auch wirklich die Summe, die dazu führen wird, dass eine signifikante Zahl von Bürgerinnen und Bürgern umsteigt, und da bin ich nicht so sicher.
    Heinemann: Warum nicht?
    Lewe: Weil ich nicht sicher bin, ob die Qualität ausreicht, um von einem Verkehrsmittel auf das andere umzusteigen. Wir haben in unserer Stadt die Erfahrung gemacht, dass wir partiell auch in gewisser Weise teilsubventionierten Nahverkehr haben. Wir haben ein Semesterticket beispielsweise, das zwar einmalig von den Studierenden bezahlt wird, aber sie dann ein relativ komfortables Angebot haben. Wir haben einen Münster-Pass, wo einkommensschwächere Gruppen den Nahverkehr kostenlos nutzen können. Das funktioniert auch ganz gut. Aber wenn es für alle gilt - ich weiß nicht, ob das der tatsächliche Anspruch ist, weil viele doch auch Wert auf Qualität legen und nicht nur alleine die Kostenfrage entscheidend ist für die Auswahl, welches Verkehrsmittel man gerade verwenden möchte.
    Heinemann: Bleiben wir trotzdem noch mal kurz bei der Kostenfrage. Es gibt ja viele Modelle. Jeder Bürger könnte eine Umlage zahlen für den Personenverkehr.
    Lewe: Ein Mobilitätsticket oder irgendwie so etwas ist alles denkbar. Ja, klar!
    Heinemann: Oder eine Innenstadtmaut für den Individualverkehr, so wie London das macht. Wenn man das miteinander vermischt, eine Mischfinanzierung, käme doch schon Geld zusammen.
    Lewe: Ich weiß nicht, ob solche Mautlösungen für die Städte zielführend sind, denn der Grundgedanke muss ja darin bestehen: Ich muss die Leute nicht erziehen, sondern die Bürgerinnen und Bürger sind selber in der Lage zu entscheiden, was ist für sie das beste und was ist für sie das schnellste. Für gute Qualität ist auch der eine oder andere bereit, den einen oder anderen Betrag zu zahlen. Deshalb muss aus meiner Sicht der Schwerpunkt darauf gelegt werden, drastisch die öffentliche Nahverkehrsinfrastruktur, und zwar Bus- sowie auch Schienen-Personennahverkehr zu fördern. Das ist ja offenbar auch jetzt Gegenstand des Vertragsentwurfes der Koalitionspartner. Nur man weiß auch: Bis diese Dinge einmal umgesetzt werden, bis die Planungskapazitäten in den Kommunen da sind, da vergehen viele, viele Jahre. Hier brauchen wir natürlich nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch planungsrechtliche Unterstützung, damit man die Dinge auch beschleunigen kann.
    "Bessere Fahrrad-Verkehrsinfrastruktur"
    Heinemann: Wenn Sie alle Folgekosten des gegenwärtigen Zustandes mitberechnen würden, den Dreck, den Lärm, die Staus, die Unfälle, den Stress, die Instandhaltung für die Straßen, die zugeparkten Straßen, könnte dieser Betrag unterm Strich die Kosten nicht sogar aufwiegen?
    Lewe: Das kann durchaus sein, aber ich bin ein großer Freund, sich nicht nur auf eine Maßnahme zu beschränken, sondern wenn man wirklich dieses Ziel erfüllen will, die Lebensqualität in den Städten zu verbessern, indem man den Autoverkehr deutlich reduziert, dann muss man viel weiter denken und nicht nur auf diese eine Maßnahme sich konzentrieren. Und diese weiteren Maßnahmen, die erfordern auch Investitionen in bessere Fahrrad-Verkehrsinfrastruktur, in bessere Nahverkehrs-Infrastruktur. Da reicht alleine ein Verbilligen von einem Verkehrssegment bei weitem nicht aus.
    Heinemann: Die Politik überlegt ja häufig, wie sie sich den Bürgerinnen und Bürgern annähern könnte. Wäre dieses Vorhaben, das ja nicht übermorgen in Kraft treten müsste, mit dem man den Alltag fast aller Menschen verbessern könnte, nicht eine wirksame Maßnahme?
    Lewe: Wenn sie kombiniert ist mit einer deutlichen Qualitätsverbesserung. Manchmal entsteht ein bisschen der Eindruck, dass die Dinge aus einer Not heraus geboren werden, weil niemand genau weiß, wie Brüssel sich demnächst entscheiden wird, was die Emissionssituation in unseren Städten aufgrund der Dieselabgase angeht.
    "Eine drastische Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur"
    Heinemann: Das ist bei der Bundesregierung ja genau der Fall, aus der Not geboren.
    Lewe: Ja, ja. Deshalb ist es immer wichtig: Kurzfristige Maßnahmen sind immer ganz nett, aber man muss sie in ein Gesamtsystem einordnen. Das Gesamtsystem und auch damit das Gesamtziel heißt, wie kann ich insgesamt dazu beitragen, dass sich der Autoverkehr in den Innenstädten reduziert, und das kann man nur machen, indem man eine dramatische Angebotsverbesserung erzielt, und die kann sich nicht nur auf die Beitragsregelung, was ich für ein Nahverkehrsmittel bezahle, beschränken, sondern vor allen Dingen auf eine drastische Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur im öffentlichen Bereich, und da zähle ich ausdrücklich auch den Fahrradverkehr zu.
    Heinemann: Gehört ein bisschen Erziehung und Steuerung nicht auch dazu?
    Lewe: Na ja. Erziehung würde ich gar nicht sagen, sondern intelligente Lösungen. Und ich finde immer, wenn man zu sehr bevormundet, dann hat man schnell eine ideologische Debatte. Es hat ja vor einigen Jahrzehnten noch die Diskussion gegeben, Autos in der Innenstadt ja oder nein, und die war sehr stark von Ideologien geprägt und hat dazu geführt, dass schnell bei bestimmten Gruppen die Schranken runtergingen. Nein, wir müssen heute natürlich diese Debatte ideologiefrei führen. Wir müssen sie im Sinne einer Verbesserung der Lebensqualität führen. Wir müssen sie aber auch führen unter der Berücksichtigung, dass es nach wie vor auch Autos geben wird. Es gibt Menschen mit Einschränkungen, die nicht so gut mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln fahren können. Es gibt Handwerker, die mit ihren Fahrzeugen in die Städte reinfahren müssen. All das muss man mit berücksichtigen. Und man muss auch vernünftige Umgehungslösungen schaffen, dass Autos auch nicht durch die Innenstädte fahren, sondern auch daran vorbeifahren können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.