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Kräuter statt Krankenhaus

Traditionelle Heiler haben in Südafrika einen beachtlichen Einfluss in der Bevölkerung, mit folgenschweren Nebenwirkungen: Die medizinisch ungeschulten Kräfte empfehlen zum Beispiel Geschlechtsverkehr mit einer Jungfrau gegen Aids und tragen so zur Ausbreitung von HIV bei.

Von Jörg Poppendieck | 15.12.2011
    Miranda Javu sitzt vor ihrem Rechner und schreibt eine Mail. Auf ihrem Tisch stapeln sich Akten. Die 36-jährige Südafrikanerin arbeitet für den Medizinischen Forschungsrat. Ihre Einheit hat sich auf traditionelle Medizin und die Entwicklung von Patenten für Arzneipflanzen spezialisiert. Etwas, wozu Miranda Javu viel beisteuern kann, denn neben ihrer Tätigkeit für den Forschungsrat arbeitet sie als Sangoma, als traditionelle Heilerin.

    "Ich habe das Gefühl, dass es immer noch Menschen gibt, die uns einfach nicht verstehen. Traditioneller Heiler wird man nicht einfach so. Man wird dazu berufen. Es ist letztlich eine Gabe. Wenn Leute über uns lachen oder schlecht über uns reden, dann ist mir das nicht peinlich. Mir tun diese Menschen eher leid."

    Traditionelle Heiler wie Miranda Javu spielen im südafrikanischen Alltag eine große Rolle. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass bis zu 80 Prozent der Bevölkerung im Land zu traditionellen Heilern gehen. Die werden in Südafrika in vier verschiedene Kategorien unterteilt. Es gibt Heiler, die mit Hilfe von Kräutern, Wurzeln und tierischen Erzeugnissen arbeiten, es gibt Wahrsager, Geburtshelfer und die, die Beschneidungen vornehmen.

    "Wir sind wichtig. Die Zeiten, wo man uns als Hexen bezeichnet hat, die sind vorbei. Wir sind in der Gesellschaft angekommen. Es gibt Heiler, die arbeiten als ausgebildete westliche Ärzte, Schwestern oder sogar als Lehrer. Wir müssen uns nicht mehr verstecken."

    Die südafrikanische Regierung ist sich der Bedeutung der traditionellen Heiler bewusst. 2007 verabschiedete die Regierung unter Thabo Mbeki einen Gesetzentwurf, der die Sangomas in das bestehende Gesundheitssystem eingliedern sollte - inklusive Regulierungsbehörde, einheitlichen Standards und Patientenakten.

    Das Gesetz allerdings wurde vom Verfassungsgericht aufgrund von Verfahrensfehlern gestoppt. Seitdem ruht das Vorhaben. Ginge es nach Elisabeth Murray, würde das so bleiben. Die Ärztin war lange die Leiterin der Brustklinik im Kapstädter Groote Schuur Krankenhaus. Viele ihrer Patientinnen sind an Brustkrebs gestorben, erzählt sie, weil die Frauen am Ende auf den Rat traditioneller Heiler gehört haben.

    "Patienten erzählen uns nichts über ihren Glauben. Wir sagen ihnen, dass sie zu einer weiteren Behandlung kommen müssen, aber sie erscheinen dann einfach nicht mehr. Oder wir sagen, dass sie operiert werden müssen, was sie dann ablehnen. Die Sangomas reden ihnen ein, dass, wenn sie zu einem westlichen Arzt gehen, die Medizin des Sangomas nicht mehr wirken kann. Frauen haben deshalb ein Problem. Niemand wird sie pflegen oder auf ihre Kinder aufpassen, wenn sie die kulturell akzeptierte Medizin ablehnen. Ihre Familie, Freunde und Nachbarn werden sie dann nicht unterstützen."

    Ein Problem, dass sich durch den gesamten Gesundheitssektor in Südafrika zieht. Ärzte können bestimmte Untersuchungs- oder Operationsmethoden nicht durchführen, weil sich Patienten an die Anweisungen ihres Heilers halten. Sangomas wie Miranda Javu sind der Meinung, dass Krebs durch eine OP nicht geheilt werden kann. Das Gegenteil sei der Fall. Weil der Körper aufgeschnitten wird, so die Annahme, verteilt sich der Krebs erst recht im Körper.

    "Das, was sich da im Körper der Menschen befindet, ist nicht direkt ein Gift, es hat etwas mit Zauberei zu tun. Wenn also ein Heiler seinem Patienten sagt, er soll bestimme Dinge nicht essen und eine Mixtur trinken, dann will er so das Gift aus dem Körper vertreiben. Das ist der Grund, warum wir glauben, dass Operationen nicht notwenig sind."

    Rund 200.000 Sangomas gibt es in Südafrika. Sie haben beachtlichen Einfluss und nicht wenige einen zweifelhaften Ruf. So glauben sie, nicht nur Krebs mit einer Mischung aus Kräutern und dem Verzicht auf Fleisch heilen zu können - einige verbreiten auch den Mythos, dass Geschlechtsverkehr mit einer Jungfrau HIV und Aids heilen könne. Auch wenn nicht alle traditionellen Heiler diesen schlechten Ruf verdienen - die Branche hat ihren Anteil an Südafrikas Status als Land mit den meisten HIV-Infizierten weltweit. Der Verein Hope Cape Town hat sich deshalb zu einem bislang einmaligen Schritt entschieden. In einem Pilotprojekt belegten traditionelle Heiler einen Kurs über HIV und Aids. Außerdem wurde ein Überweisungssystem zwischen den traditionellen Heilern und einer westlichen Klinik etabliert, berichtet Pauline Hewston von "Hope Cape Town".

    "Für die traditionellen Heiler war das ein komisches Gefühl. Plötzlich durften sie auf das Gelände unseres Krankenhauses. Und das in ihren traditionellen Gewändern. Sie waren außerdem überrascht über das Interesse an ihrer Arbeit. Von daher war das etwas ganz Besonderes für sie, bei diesem Training mit dabei sein zu können."

    Der Verein Hope Cape Town glaubt, dass nur durch eine Kooperation zwischen westlichen Ärzten und traditionellen Heilern die AIDS-Pandemie bekämpft werden kann. Doch bislang gibt es nur einige wenige Projekte konkreter Zusammenarbeit. Zu groß scheint der Kontrast zwischen Moderne und Tradition in Südafrika.