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Kraft: Bei der Steinkohleförderung ist ökonomische Vernunft gefragt

Hannelore Kraft, nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende, hat sich gegen eine vollständige Aufgabe der Kohleförderung in Deutschland ausgesprochen. Aufgrund der gestiegenen Preise für Öl und Gas sei der Kohlebergbau bereits jetzt fast wieder wettbewerbsfähig. Im Falle eines Ausstiegs würde es zehn Jahre dauern, bis man erneut Kohle fördern könne, betonte die SPD-Landeschefin.

Moderation: Christian Schütte | 10.06.2008
    "Was soll ich sagen? Für mich reicht es vielleicht, aber die Jüngeren mit 49, 50, keine Vorruhestandregelung. Da komme ich mit einem blauen Auge davon, aber wie gesagt die Jugend hat daran zu kämpfen."

    "Dann wird Hamm den Bach runtergehen. So denke ich und das ist sehr schade."

    "Ich meine ich kann gehen, aber nächstes Jahr sieht es wie gesagt schlecht aus."

    Schütte: Reaktionen der Kumpel auf den Beschluss des Bergbaukonzerns RAG, ihre Zeche (das Bergwerk Ost in Hamm) mit etwa 2500 Beschäftigten zu schließen, aber dennoch etwas später zu schließen als ursprünglich geplant, nämlich erst 2010 statt 2009. Die CDU-geführte Landesregierung unter Jürgen Rüttgers hat diesem Plan offenbar zugestimmt, wenn auch zähneknirschend, denn eigentlich will die CDU den Bergbau in Deutschland insgesamt (vor allem die Subventionen dafür) schnellstmöglich Geschichte werden lassen - spätestens zum Jahr 2018. - Am Telefon ist Hannelore Kraft (SPD), Landesvorsitzende und Fraktionschefin in NRW. Guten Morgen Frau Kraft!

    Kraft: Guten Morgen Herr Schütte!

    Schütte: Um im Fußball-Jargon zu sprechen: die Partie Steinkohle in Deutschland ist fast abgelaufen. Jetzt gibt es noch ein bisschen Nachspielzeit dazu, aber dann kommt endgültig der Schlusspfiff oder?

    Kraft: Nein, das sehe ich völlig anders. Sie haben ja vorhin schon auf die steigenden Preise hingewiesen. Wir werden sehen, wie die Situation 2012 ist. Wir haben dort die Möglichkeit, noch mal zu sehen, wie der Weltmarkt sich entwickelt hat und ob es nicht doch sinnvoll ist, wie es die SPD seit langem sagt, auf einem sehr niedrigen Niveau - wir nennen das Sockelbergbau - weiterhin Bergbau zu betreiben, um auch den Zugang zu den Lagerstätten offen zu halten und damit auch reagieren zu können, wenn weltweit Energieversorgungsprobleme auftreten.

    Schütte: Bleiben wir einmal beim Bergwerk in Hamm, das 2010 geschlossen wird. Eigentlich sollte es schon ein bisschen früher dicht gemacht werden. Nun freut sich Ihre Partei um einige Monate Aufschub. Was ist denn damit gewonnen für die Energiepolitik?

    Kraft: Entscheidend ist, dass CDU und FDP bei uns im Lande Druck gemacht haben auf den Aufsichtsrat, was auch in einmaliger Weise passiert ist, um früher zu beenden, damit die Optionsklausel, die 2012 gezogen werden soll, faktisch außer Kraft gesetzt wird. Wenn man nämlich irgendwann die Fördermengen schon so weit runtergefahren hat, dass eine Option gar keinen Sinn mehr macht, dann hätten sie sich natürlich mit ihrer Ideologie durchgesetzt. Hier geht es nur um Ideologie und nicht um ökonomische Vernunft.

    Schütte: Wenn Deutschland weiterhin und auf Dauer Kohle fördern soll - und das ist ja die Position Ihrer Partei -, wird dann für die Verbraucher der Strom in Zukunft billiger?

    Kraft: Das kann man jetzt noch gar nicht absehen. Das hängt davon ab, wie weit sich die Preise bei Öl und bei Gas entwickeln. Es geht mir auch nicht darum, dass wir hier sozusagen auf Teufel komm raus Kohle weiterhin fördern, sondern ich bin Ökonomin. Ich sage wir müssen sehen: Es gibt Risiken der Energieversorgung. Es gibt Preisveränderungen auf den Weltmärkten, die wir alle noch vor vielen, vielen Jahren nicht für möglich gehalten haben. Jetzt sehen wir: es wird alles teuerer und die Kohle ist fast wettbewerbsfähig - insbesondere im Bergwerk Ost. Dort haben wir nämlich eine sehr hochwertige Koks-Kohle, die man für die Stahlproduktion braucht, und die Preise sind schon jetzt fast wettbewerbsfähig.

    Schütte: Steinkohleabbau, Frau Kraft, rentiert sich nur, wenn der Kohlepreis weltweit in Zukunft weiter steigt. Noch mal zu den Verbrauchern: Die müssen also so oder so mehr Geld auf den Tisch legen.

    Kraft: Die Energiepreissituation insgesamt hängt ja von verschiedenen Faktoren ab. Das was wir im Moment an Preissteigerungen haben ist ja sicherlich zum Teil auch der Spekulation zu schulden, zum Teil der Tatsache, dass die Ressourcen enger werden und man damit natürlich versucht, auch Preissteigerungen am Markt durchzusetzen. Ich glaube wir sind hier einen guten Weg gegangen, indem wir uns darauf konzentrieren, den Energieverbrauch zu senken, unsere Gebäude energetisch aufzurüsten, wenn man so will. Ich glaube das ist der richtige Weg und die richtige Antwort auf Preissteigerungen.

    Schütte: Noch einmal konkret: Wem nützt eine Fortführung des Abbaus außer den Kumpeln?

    Kraft: Sie nützt Deutschland insgesamt, weil wir damit flexibler bleiben, was die Energieversorgung angeht. Wir haben ja vor zwei Jahren zirka eine Situation erlebt, wo der Gashahn kurzfristig zugedreht worden ist oder die Drohung zumindest im Raum stand, das auch länger zu tun. Dann sieht man sehr schnell, wie abhängig wir sind. Wir haben dort unten Kohle. Die reicht für über 100 Jahre. Wir wollen den Zugang offen halten und wenn wir sie brauchen, muss man schnell heran kommen. Wenn man jetzt alle Bergwerke schließt, dann braucht man zehn Jahre, bis man wieder das erste Stück Kohle unten rausholt.

    Schütte: Andere Staaten wie Großbritannien oder Polen setzen - Sie haben es angesprochen - ebenfalls wieder auf den Steinkohleabbau und verdienen inzwischen schon wieder damit Geld. Was hat denn Deutschland falsch gemacht?

    Kraft: Na ja, bei uns liegt die Kohle etwas tiefer. Das ist etwas kostenungünstiger. Allerdings gerade noch mal im Bergwerk Ost: Da ist die Koks-Kohle. Die ist inzwischen schon fast wettbewerbsfähig. Und wenn man dieses Bergwerk früher geschlossen hätte, dann macht man auch noch eine Option zunichte, nämlich die Option eines ganz neuen Feldes, das so genannte "Feld Donar", wo man auch heute schon weiß, dass das sehr kostengünstig zu betreiben wäre. Deshalb war dort natürlich schon eine entscheidende Auseinandersetzung.

    Schütte: Ein weiterer Standortvorteil in anderen Ländern ist auch, dass die Zechen dort zum Großteil von privaten Investoren finanziert werden und nicht wie hier in Deutschland vom Staat. Wäre das auch ein Modell für Deutschland?

    Kraft: Das ist dann ein Modell, wenn man die Ewigkeitslasten des Bergbaus nicht diesen neuen Betreibern aufbürdet, und das muss Zielsetzung sein, denn wir haben im Ruhrgebiet eine Situation durch den Altbergbau, dass man dort dauerhaft sehr hohe Kosten hat, weil man das Wasser beispielsweise dauerhaft abpumpen muss. Das kann man natürlich nicht den Betreibern eines neuen Bergwerkes - beispielsweise "Donar" - aufs Auge drücken.

    Schütte: Private Investoren sind also möglich. Nun hat sich die SPD ja bisher immer schützend vor die Kumpel gestellt. Bei privaten Investoren müssten Sie dann aber in Kauf nehmen, dass es Entlassungen gäbe ohne Sozialplan.

    Kraft: Zunächst ist mal wichtig: Wenn es weiter geht, dann geht es auch für Kumpel weiter. Der Plan läuft bisher so, dass es ohne Entlassungen geht. Niemand fällt ins Bergfreie. Das ist ein hohes Gut. Wir kommen im Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen von 680.000 Bergleuten in den 60ern und sind jetzt bei etwas mehr als 30.000, knapp 35.000. Das heißt wir haben diesen auch Subventionsabbau gestaltet. Wir haben diesen Strukturwandel gestaltet, ohne dass jemand ins Bergfreie fällt. Wenn wir neue Optionen auf neue Bergwerke haben, dann gibt es auch neue Optionen und neue Arbeitsplätze für Bergleute.

    Schütte: Entlassungen und Kündigungen waren aber trotzdem weitgehend Tabu. Auch das ein Grund, warum sich die Steinkohle in Deutschland am Ende nicht rentiert hat. Also auch ein Fehler der SPD?

    Kraft: Nein, überhaupt nicht, sondern es ist wichtig, dass man Strukturwandel ohne große soziale Brüche hinbekommt. Das ist uns gelungen und wenn Sie mal in die anderen Bergbauregionen in Europa fahren, ob in Großbritannien oder in Frankreich, dann ist das dort mit sehr großen strukturellen Brüchen vonstatten gegangen. Ich glaube wir haben gut daran getan, einen anderen Weg zu gehen.

    Schütte: Sie haben der Union vorhin Ideologie vorgeworfen. Nun ist auch die Sozialdemokratie und der Bergbau miteinander historisch eng verbunden. Und die Vehemenz, mit der Sie der Kohle die Treue zeigen, belegt das nicht auch eine ideologische Haltung bei der SPD?

    Kraft: Nein. Ich bin an der Stelle überhaupt nicht ideologisch, sondern ich bin Ökonomin. Ich habe Wirtschaft studiert und ich sage, Optionen müssen sinnvoll aufrecht erhalten werden. Dann muss man 2012 prüfen. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass man in Zukunft Kohle wettbewerbsfähig fördern kann, weil einfach die anderen Ressourcen knapper werden, und diese Option muss man wirklich aufrecht erhalten.

    Schütte: Blicken wir in die Zukunft. Nur durch Atomkraft und regenerative Energien lässt sich der Klimawandel noch bremsen. So die Einschätzung der Internationalen Energieagentur. Warum soll der Staat weiterhin massiv in den Energieträger Kohle investieren, der die Klimaziele gefährdet?

    Kraft: Wenn Sie sich die Ressourcen bei Öl und bei Gas anschauen, dann ist schon absehbar, dass wir da in eine Verknappungssituation kommen. Weltweit ist Kohle der wichtigste Energieträger. Wir sind auch ein Standort von Bergbautechnologie - ganz wichtig. Wir haben dort einen Weltmarktanteil von 80 Prozent. Auch den möchte ich niemandem auf dem Silbertablett servieren.

    Schütte: Und die Klimaziele?

    Kraft: Die Klimaziele muss man erreichen, indem man die Kohlekraftwerke anders gestaltet, indem man dort mit neuen technologischen Möglichkeiten den CO2-Ausstoß nach unten fährt. Auch dazu haben wir die richtigen Impulse gegeben mit einem Kraftwerkserneuerungsprogramm. Hier sind wir auf einem guten Weg.

    Schütte: Mit der Union allerdings hat die Steinkohle wohl keine Zukunft, aber auch viele andere europäische Staaten setzen auf Kernkraft, um die Klimaziele zu erreichen. Beweist die Union in diesem Punkt nicht mehr Weitblick, wenn sie den Ausstieg aus dem Atomausstieg fordert wie gestern Angela Merkel?

    Kraft: Wir haben folgende Situation: Wir haben eine CDU im Ruhrgebiet, die jetzt plötzlich für uns überraschend auch unserer Argumentation folgt und auch eine Weiterführung der Bergwerke dort mit gefordert hat. Die CDU ist da nicht mehr einheitlich. Was Atomkraft angeht sind wir in der SPD ganz klar positioniert und ich glaube auch die jüngsten Störfälle zeigen, dass diese Technologie nach wie vor nicht sicher ist. Und für mich nach wie vor das wichtigste Problem ist, dass die Endlagerung immer noch nicht klar ist.

    Schütte: Die SPD-Landesvorsitzende in Nordrhein-Westfalen Hannelore Kraft. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Kraft: Vielen Dank Herr Schütte!