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Kraft, Pracht und Peinlichkeit vergangener Zeiten

Nur wenige italienische Opern aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben sich im internationalen Repertoire gehalten - dazu zählt "Francesca da Rimini" von Riccardo Zandonai, der 1944 starb. Die vier-aktige Tragödie wurde 1914 in Turin uraufgeführt und wurde nun an der Opéra Bastille unter der musikalischen Leitung von Daniel Oren in einer Inszenierung von Giancarlo del Mónaco präsentiert.

Von Frieder Reininghaus | 02.02.2011
    Das Flirren wird von charakteristischen Bläserfiguren unterbrochen, die aus der Tiefe womöglich Bedrohung signalisieren. Die Musik beginnt elegisch zu fließen, zu necken, zu blühen, zu klagen und böse aufzubrausen. Sie entwickelt unter dem präzise und intensiv dirigierenden Daniel Oren im großen Saal der Opéra Bastille ihr spezifisches Aroma. Der Ton, den Riccardo Zandonais Hauptwerk in Turin am Vorabend des Ersten Weltkriegs anvisierte und anschlug, war damals in ähnlicher Weise "auf der Höhe der Zeit" wie Franz Schrekers "Ferner Klang" nördlich der Alpen. Die Musik konstituiert mit bel canto, der sich allerdings kaum je zu einer "griffigen" Melodie aufrafft, so etwas wie einen "musikalischen Roman, der seine Spannung aus der Fortspinnung bewährter Motive und pittoresken Kontrastbildungen bezieht.

    Francesca, vor bald tausend Jahren Tochter eines Herrschers von Ravenna, war aus politischen Gründen an Giovanni, den hässlich Fürsten des benachbarten Rimini, verschachert worden. Aus taktischen Gründen holte sie der schöne jüngere Bruder zur Vermählung ab. Die Braut verliebte sich prompt in den Brautwerber Paolo (von ihr hat es Hugo von Hofmannsthals "Rosenkavalier" übernommen). Beim Wiedersehen auf der Burg von Rimini wird's heiß, zumal der dritte Bruder auch noch heftiges Interesse und ungebührliches Begehren an Francesca zeigt. Dieser Einäugige führt mit seiner Intrige Francescas gewalttätigen Tod herbei. Sie wird zusammen mit dem Geliebten erstochen (es war eine Zeit, in der sich die Adligen die Lizenz zum Töten selbst ausstellten).

    Svetlana Vassileva verkörpert in Paris das sinnliche Verhängnis. Dies gelingt ihr ebenso glaubhaft wie die differenzierte Gestaltung der strapaziös ausladenden großen Sopranpartie, bei der sie nicht die geringsten Konditionsschwierigkeiten zeigt. Roberto Alagna, ihr Tristan und Rosenkavalier, betört auch in der französischen Hauptstadt das Auditorium mit der Kraft und dem Schmelz seines Tenors. Die beiden Protagonisten verausgaben sich, wie der Tonsatz es verlangt, bis an die Wohlklangsgrenze.

    Carlo Centolavigna, der dem Team um den schönheitstrunkenen Film- und Opernregisseur Franco Zeffirelli entstammt, ließ für den Abschied der Braut aus Ravenna einen üppigen Garten fertigen: Blumen aller Arten umwuchern angewitterte Statuen und Brunnen, Palmen und einen Apfelbaum der paradiesischen Erkenntnis. Die Fürstentöchter und ihre Gespielinnen sind gekleidet wie Elisabeth von Wittelsbach in einschlägigen Sisi-Filmen. Der Regisseur Giancarlo del Monaco hat die Handlung aus dem hohen Mittelalter in die letzte Phase von spätromantischer Mittelalter-Begeisterung verlegt und die Palastgemächer zu Rimini mit Statuen von Michelangelo und Benvenuto Cellini bestücken lassen. Das Kriegsschiff, das den gehörnten Ehemann mitsamt seinem Rollstuhl ausspuckt, könnte dem letzten Aufgebot der k.k. Adria-Flotte entstammen. Die Verpflanzung der Handlung in die Entstehungszeit der Oper bleibt allerdings inkonsistent. Del Monaco jagt immer wieder eine Kohorte Lanzenträger in Opernchorstärke über die große Bühne, die glücklicherweise durch Feindeinwirkung keinen Schaden nimmt. So werden die Schönheiten der Geschichte aus einer in altgoldenen Glanz getauchten Renaissance ausgekostet, die Schrecken und Pein ausgespart. Eine ästhetisch dezidiert neokonservativ programmierende Pariser Operndirektion und ihre Kundschaft hat genau das bekommen, was sie haben wollte: Opernmuseum des zweiten Frischegrads und allgemeinen Jubel.