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Krafttraining bei Senioren

Fitnessstudios sind in Deutschland seit Jahren ein großes Geschäft. Denn in Zeiten von Bewegungsmangel und Fast Food geht der Körper zwangsläufig außer Form. Hinzu kommen gesundheitliche Probleme. Bislang sind es Jugendliche und junge Erwachsene, die intensiv trainieren. Auch die mittleren Jahrgänge greifen verstärkt zur Hantel. Senioren oder gar Hochbetagte hingegen meiden bislang die Fitnesstempel. Doch das regelmäßige stemmen von Gewichten kann nicht nur junge Körper wieder in Schwung bringen. Studien belegen, dass auch Senioren vom Krafttraining profitieren.

Von Mark Bernet | 12.04.2005
    "Am Anfang ging's ein bisschen schwerer, hier an dem Gerät, musste man sich erst dran gewöhnen aber jetzt geht's schon, ich mach überall 10 Übungen und das reicht für mich."

    Anneliese Mehlfried ist 80 Jahre alt und trainiert im Pflegeheim der Oberhausener Sankt Clemens Hospitale an einem typischen Fitnessgerät. Unter Anleitung eines Krankengymnasten drückt sie mit ihren Armen zwei Metallbügel nach vorn, so dass sich ein 12 Kilogramm schweres Gewicht, das an einem Seil hängt, abwechselnd nach oben und unten bewegt. Auf diese Weise stärkt die alte Dame nicht nur ihre Brust - und Armmuskulatur, sie beugt auch dem weit verbreiteten Knochenabbau bei Senioren vor. Durch regelmäßiges Training an verschiedenen Geräten konnte Anneliese Mehlfried außerdem ihre körperliche Beweglichkeit deutlich verbessern. Schon seit Jahren leidet die Seniorin unter Durchblutungsstörungen und kann daher nur noch in Begleitung längere Strecken zu Fuß bewältigen:

    "Ja , gehen tu ich sicherer, denn wenn mich einer laufen sieht, dann sagt er: sie haben doch nichts mit den Beinen, ich sag: der Schein trügt."

    Dass die rüstige Seniorin die Trainingsgeräte gemeinsam mit neun anderen Heimbewohnern zwei Mal wöchentlich nutzen darf, hat sie der sportwissenschaftlichen Fakultät an der Ruhruniversität Bochum zu verdanken. Dort hatten Forscher im Auftrag des Oberhausener Pflegeheims erstmals in Deutschland untersucht, ob man hochbetagte Senioren für ein Gerätetraining motivieren kann und ob sich dadurch auch die Muskelkraft verbessern lässt. Zu Beginn der Studie wurde zunächst im Pflegeheim der Sankt Clemens Hospitale in Oberhausen nach möglichen Teilnehmern für die Erhebung gesucht. Nachdem sich sehr schnell 50 Interessenten gemeldet hatten, führten die Wissenschaftler bei allen einen ausführlichen Gesundheits-Check durch. Die Senioren wurden zum Beispiel auf ihre Geh - und Sehfähigkeit getestet, außerdem untersuchten Ärzte die alten Leute auf Herz - und Kreislaufstörungen. Schließlich wählte man 20 Kandidaten aus und unterteilte sie in zwei gleich große Gruppen. Die eine Grup-pe mit einem Durchschnittsalter von 84 Jahren sollte regelmäßig im neu eingerichteten Fitnesscenter des Seniorenheims trainieren, die andere Gruppe durfte keinen Sport betreiben. Am Ende des Experiments kam das heraus, was die Forscher erwartet hatten. Die Kontrollgruppe ohne Training konnte keinen messbaren Kraftzuwachs verbuchen, während die Bodybuilding-Gruppe in allen Bereichen deutlich zulegte. Dazu Dr. Kurt Zimmer, Direktor des sportärztlichen Dienstes an der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum:

    "Im einzelnen ist eine allgemeine Kraftverbesserung von bis zu 94 Prozent herausgekommen, das sind Messungen, die an den Geräten möglich waren, also an den einzelnen Geräten sind Muskeln getestet worden, Schultermuskulatur, Bauch - und Rückenmuskulatur, und es sind in den einzelnen Muskelgruppen Verbesserungen festgestellt worden, nach einem drei-monatigen Training, zwei Mal in der Woche."

    Die Senioren trainierten unter medizinischer Aufsicht an sechs verschiedenen Geräten, wobei jede Übungseinheit zwischen 12 und 15 Mal wiederholt wurde. Auf Jogginghosen und Turnschuhe wurde dabei keinerlei Wert gelegt, die Teilnehmer erklommen in Strickwesten und geblümten Kleidern Kniebeuger oder Bauchmuskelmaschine. Nach Ende der drei Monate dauernden Trainingsperiode berichteten alle Beteiligten von einem gesteigerten Sicherheitsgefühl, außerdem konnten viele wieder leichter Treppen steigen oder Lasten tragen. Selbst die älteste Teilnehmerin, eine 97jährige Heimbewohnerin, stellte eine deutliche Verbesserung ihrer Gesundheit fest. Konnte sie sich vor dem Training nicht alleine vom Stuhl erheben, kommt sie heute ganz ohne Hilfe aus dem Bett, zudem ist sie nach Aussage des Pflegepersonals durch die Besuche im Fitness-Center deutlich mobiler geworden. Der Erfolg war bei den Senioren am Ende so durchschlaggebend, das viele in einen richtiggehenden Gewissenskonflikt gerieten. Dazu noch einmal der verantwortliche Projektleiter Dr. Kurt Zimmer:

    "Es waren erstaunliche Aussprüche dabei, das also von der Gruppe kam, wir wollen nicht weitertrainieren, weil wir sonst in eine schlechtere Pflegestufe kommen, und dann aber wider Erwarten die ganze Gruppe weiter freiwillig tainiert und das ist an sich das, was wir im Endeffekt wollen, im Gegensatz zu Therapien, die in der Reha zum Beispiel nach Herzinfarkt oder Wirbelsäulenbeschwerden stattfinden und dann aber freiwillig nicht weitergeführt werden."

    Die Studie stellte am Ende nicht nur Forscher und Senioren zufrieden, auch das Pflegeheim in Oberhausen erhofft sich von den wissenschaftlichen Ergebnissen einen konkreten Gewinn. Die Geschäftsleitung des Pflegezentrums geht davon aus, dass ein kontrolliertes Fitnesstraining, neben dem spürbaren Kraftzuwachs, auch zu einem deutlichen Rückgang der Stürze bei alten Menschen führt. Da nach offiziellen Angaben die Sturzhäufigkeit bei den über 80jährigen in Alten - und Pflegeheimen bei Werten zwischen 60 und 80 Prozent liegt, könnte das Heim durch eine wirksame Vorbeugung viele Krankenkosten einsparen. Ob die Sturzhäufigkeit durch Krafttraining tatsächlich beeinflusst werden kann, ist zur Zeit aber noch nicht bewiesen. Dennoch will das Pflegeheim der Sankt Clemens Hospitale mit Unterstützung der Ruhr-Universität Bochum ein Fitnessprogramm entwickeln, das für Senioren aller Altersklassen tauglich ist.