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Kramp-Karrenbauer: Wir brauchen die V-Leute

Die Innenminister sollten sich auf ihrer heute beginnenden Konferenz nicht unter Druck setzen lassen, in jedem Fall ein Verbotsverfahren gegen die NPD einzuleiten, empfiehlt die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Es müsse genau geprüft werden, ob sich seit dem letzten Anlauf grundlegende Dinge geändert hätten.

Annegret Kramp-Karrenbauer im Gespräch mit Mario Dobovisek | 08.12.2011
    Mario Dobovisek: Die Erkenntnisse über das Ausmaß rechten Terrors erschütterten Deutschland und überraschten offenbar auch die Ermittler und Verfassungsschützer. Darüber wird weiter zu sprechen sein, die Zusammenarbeit der Behörden muss verbessert und der braune Sumpf trockengelegt werden. Wichtiger Schritt dabei könnte ein erneutes NPD-Verbotsverfahren sein. So sehen es jedenfalls die meisten Innenminister von Bund und Ländern, die heute darüber auf ihrer Konferenz in Wiesbaden diskutieren wollen. Politisch gehen hier nicht nur bei den Innenministern die Meinungen auseinander, wie bei Hessens CDU-Innenminister Boris Rhein und dem Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele.

    Boris Rhein: "Ich bin als Innenminister des Landes Hessen dagegen. Ich sage es aber nicht apodiktisch, dass ich dagegen bin. Man muss die Risiken gegeneinander abwägen. Den Weg kann man nur dann gehen, wenn man sicher ist, dass man am Ende auch mit einem Verbot rauskommt."

    Hans-Christian Ströbele: "”Wenn es so sein sollte, dass etwa ein Landesverband der NPD und ein Vorstand der NPD direkt eine terroristische rechtsradikale Gruppierung unterstützt hat, dann ist das Verbotsverfahren unumgänglich.”"

    Dobovisek: Am Telefon begrüße ich die Christdemokratin Annegret Kramp-Karrenbauer, Ministerpräsidentin des Saarlandes. Guten Morgen!

    Annegret Kramp-Karrenbauer: Guten Morgen!

    Dobovisek: Ist ein NPD-Verbotsverfahren unumgänglich?

    Kramp-Karrenbauer: Das kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Ich habe ja als Innenministerin Anfang der 2000er-Jahre auch das erste Verbotsverfahren erlebt. Das Saarland war damals neben Hessen eines der Länder, die sehr skeptisch waren. Und deswegen muss man sich auch die Anmerkungen des Verfassungsgerichtes von damals sehr, sehr genau anschauen und abwägen, ob sich grundlegende Dinge so geändert haben, dass man ein Verbotsverfahren mit Aussicht auf Erfolg betreiben kann. Denn das schlimmste wäre, wenn wir zum zweiten Mal in einem solchen Verfahren scheitern würden.

    Dobovisek: Fürchten Sie sich da vor einem möglichen Triumph der NPD?

    Kramp-Karrenbauer: Wir haben ja beim ersten Verfahren erlebt, wie die NPD die Entscheidung des Verfassungsgerichtes in der öffentlichen Kommunikation als eine ausdrückliche Bestätigung der eigenen Partei definiert hat, und das gleiche würde jetzt noch einmal passieren und wäre sicherlich ein Bärendienst dann auch mit Blick auf die gesamte Demokratie.

    Dobovisek: Jetzt haben Polizisten in Bremen bei mehreren Rechtsextremisten Gewehre, Pistolen und auch Schalldämpfer sichergestellt. Vier der Betroffenen sind NPD-Mitglieder und ein früherer NPD-Funktionär steht offenbar im direkten Zusammenhang mit der Zwickauer Terrorzelle. Das spricht alles für ein baldiges Verbot der Partei. Warum also Zeit verlieren?

    Kramp-Karrenbauer: Also man muss sehen, dass das Verfassungsgericht damals ja zum einen gefordert hat, dass es nicht nur auf die Gesinnung der Partei ankommt, sondern auch auf eine aggressive und sehr aktive Rolle. Dazu - das war damals unsere Auffassung -, um diese nachzuweisen, braucht man auch V-Leute. Dieser Einsatz ist damals kritisiert worden. Das ist die eine Problematik, die wir zu bestehen haben. Der zweite Punkt ist aber auch, dass das Verfassungsgericht damals gesagt hat, es muss auch entsprechend relevant sein, und das ist der nächste Punkt, der zu beachten ist. Das heißt, diese Rechnung, die aufgemacht wird, wir ziehen alle V-Leute aus der NPD ab und dann läuft das Verbotsverfahren wie von selbst, das ist aus meiner Sicht sehr kurz gesprungen und deswegen muss man sich auch die Erkenntnisse, die sich jetzt aus den Ermittlungen rund um die Zwickauer Gruppe ergeben, sehr, sehr genau anschauen.

    Dobovisek: Was ist aus Ihrer Sicht relevant? Sie sagten, Relevanz sei wichtig für das Verbotsverfahren einer NPD.

    Kramp-Karrenbauer: Das wird die Frage sein, welchen Einfluss übt die NPD aus. Das wird dann genau zu beurteilen sein, wer ist sozusagen, oder wem kann man Verbindungen, Einflussnahmen zu direkten terroristischen Gruppierungen nachweisen, ist das vereinzelt, ist das strukturell, ist das nachhaltig. Also da wird es sehr auf die Ermittlungen auch ankommen und auf die Erkenntnisse, die man daraus gewinnt, und deswegen würde ich auch mit Blick auf die jetzt beginnende Innenministerkonferenz sehr dazu raten, sich nicht unter einen falschen Druck setzen zu lassen, sondern sich die Dinge sehr genau und sehr gründlich und sachlich anzuschauen und nicht schon von vornherein in diese Diskussion zu gehen mit dem festen Entschluss, das Verbotsverfahren zu betreiben.

    Dobovisek: Wie sollen denn Ermittler neue Erkenntnisse gewinnen, Frau Kramp-Karrenbauer, wenn denn V-Leute zum Beispiel abgezogen werden müssen?

    Kramp-Karrenbauer: Das ist ja genau die Frage, die wir auch beim ersten Verfahren diskutiert haben. Ich war damals und bin es nach wie vor der Auffassung, dass wir auch verdeckte Ermittlungsmethoden, dass wir V-Leute auch brauchen, um Augen und Ohren zu haben. Inwieweit und in welcher Form die sozusagen in welcher Art und Weise aktive Rollen übernehmen, das ist sicherlich umstritten. Auch diese Festlegung muss man sich mit Blick auf die Erkenntnisse rund um die Zwickauer Gruppe noch mal genau anschauen. Da wird sicherlich auch die Rolle der V-Leute sehr kritisch zu beleuchten sein. Trotzdem halte ich vom Grundsatz her nach wie vor für wichtig, dass wir auch mit verdeckten Ermittlungsmethoden arbeiten können.

    Dobovisek: Ist es also falsch, dass Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit die V-Leute seines SPD-geführten Bundeslandes zurückgezogen hat, wie auch die anderen SPD-geführten Länder?

    Kramp-Karrenbauer: Ich halte es zumindest für eine vorschnelle Maßnahme, weil ich wie gesagt nach wie vor der Überzeugung bin - diese Überzeugung, der ich auch schon als Innenministerin angehangen habe -, dass es verdeckter Ermittlungsmethoden bedarf, und das können und das müssen aus meiner Sicht durchaus auch V-Leute sein.

    Dobovisek: Die NPD ist ein Hort rechten Gedankengutes, allerdings einer, der sich trotz aller Schwierigkeiten trotzdem noch vergleichsweise gut überwachen lässt. Was, wenn die NPD verboten würde und gewaltbereite Neonazis unbeobachtet in den Untergrund abdriften? Birgt ein NPD-Verbot am Ende mehr Gefahren als Vorteile?

    Kramp-Karrenbauer: Das ist die Grundproblematik jeglichen Verbotes. Wir haben ja diese Erfahrung und diese Diskussion auch in den 50er-Jahren damals beim Verbotsverfahren mit Blick auf die Kommunistische Partei auch schon gemacht. Deswegen ersetzt ein Verbotsverfahren auch keineswegs die Auseinandersetzung, die politische Auseinandersetzung mit dem Gedankengut und mit der Partei, die sie vertritt. Selbst wenn die NPD verboten würde, haben wir keine Gewähr dafür, dass nicht unter einem anderen Namen mit Abwandlungen eine neue Gruppierung entsteht, oder dass wir das Abwandern in den Untergrund haben. Deswegen ist es ein Prozess, der sehr nüchtern zu überlegen ist. Aber er kann und er darf die politische Auseinandersetzung nie ersetzen.

    Dobovisek: Wir sprechen ausschließlich über die NPD. Welche Rolle spielen da noch die Republikaner oder die DVU?

    Kramp-Karrenbauer: Nach unseren Erkenntnissen, auch mit Blick auf das Saarland, eine verschwindend geringe Rolle. Was man sicherlich auch in den Blick nehmen muss, sind die Kameradschaften, sind auch die Vereine, die es in der rechten Szene gibt. Auch die übernehmen eine Rolle und insofern unterliegt die Szene insgesamt auch einer Veränderung. Zum Teil kommen die Repräsentanten in einer wesentlich bürgerlicheren Form daher, als das früher der Fall war, und deswegen gibt es auch veränderte Erscheinungsformen und auch die muss man mit in den Blick nehmen.

    Dobovisek: Die blutige Spur rechter Gewalt führt offenbar auch zu Ihnen ins Saarland, Frau Kramp-Karrenbauer. Dabei geht es um mehrere Brandanschläge in Völklingen und einen auf eine Wehrmachtsausstellung in Saarbrücken. Was wissen Sie darüber?

    Kramp-Karrenbauer: Es ist so, dass zum einen es eine konkrete Untersuchung gibt mit Blick auf eine Verbindung zur Zwickauer Gruppe. Das betrifft nur den Anschlag auf die Wehrmachtsausstellung aus dem Jahr 1999. Die Brandserie in Völklingen steht nach den jetzigen Erkenntnissen in keiner Verbindung zur Zwickauer Gruppe.

    Dobovisek: Da gibt es aber immerhin eine Bekenner-DVD, die an eine türkische Einrichtung in Völklingen gegangen ist.

    Kramp-Karrenbauer: Da wird im Moment auch untersucht, ob das in diesem Umfeld ist, oder ob es Trittbrettfahrer waren. Was mit Blick auf Völklingen untersucht wird, wo ja kein Täter ermittelt werden konnte, ob es dort einen rechtsradikalen, einen fremdenfeindlichen Hintergrund gibt. Darauf werden jetzt alle Akten, alle Ermittlungsverfahren noch einmal aufgerollt. Wir haben dazu, der Innenminister und ich auch in meiner Funktion als Justizministerin, eine gemeinsame Ermittlungsgruppe eingesetzt, die geleitet wird vom Generalstaatsanwalt, was etwas Außergewöhnliches ist, und es wird in aller Sorgfalt die gesamte Ermittlung in all diesen Fällen noch einmal aufgerollt und wir werden da noch mal ganz genau hinschauen, ob irgendetwas übersehen oder falsch gedeutet wurde.

    Dobovisek: Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer über rechte Gewalt und ein mögliches neues NPD-Verbotsverfahren. Vielen Dank für das Gespräch.

    Kramp-Karrenbauer: Bitte schön!

    Dobovisek: Und wir haben es vor der Sendung aufgezeichnet.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.