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Kramp-Karrenbauer zur Flüchtlingspolitik
Transitzonen ermöglichen "schnellere Rückführung von Menschen ohne Bleibeperspektive"

Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) spricht sich für Transitzonen an Grenzübergängen aus. Dadurch sei es möglich, Menschen ohne Bleibeperspektive schnell in ihre Heimat zurückzuführen, sagte sie im Deutschlandfunk. Sie verteidigte zudem die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Annegret Kramp-Karrenbauer im Gespräch mit Doris Simon | 08.10.2015
    Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Ministerpräsidentin des Saarlands
    Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Ministerpräsidentin des Saarlands (picture alliance / dpa / Oliver Dietze)
    Kramp-Karrenbauer betonte, man werde die Grenze zu Österreich nie komplett schließen können. Zudem würde es gegen das Schengen-Abkommen verstoßen. "Was ich unterstütze, ist der Vorschlag des Bundesinnenministeriums, das sogenannte Flughafenverfahren mit sogenannten Transitzonen auch an einer solchen Grenze möglich zu machen." Nach ihrer Auffassung sei das mit den Asylrichtlinien der EU vereinbar. Damit sei es leichter, Menschen schneller zurückzuführen, die erkennbar keine Bleibeperspektive hätten.
    Die saarländische Ministerpräsidentin betonte, nach ihrer Erfahrungen seien Ängste vor Flüchtlingen in der Bevölkerung oft sehr diffus. Oft hätten diese Menschen gar keine negativen Erfahrungen wegen der steigenden Zahl der Asylbewerber gemacht. Kramp-Karrenbauer stellte sich hinter die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin. "Ich trage den Kurs von Angela Merkel schon von Anfang an mit." Wichtig sei der Austausch mit den Kommunen, dann könne man Ängste abbauen.

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Der Ton wird schärfer in der Diskussion, wie Deutschland mit der Flüchtlingskrise umgehen soll und ob oder wann die Grenze der Belastbarkeit hierzulande erreicht ist. Diese Kritik richtet sich direkt oder indirekt auch an Bundeskanzlerin Merkel. Gestern warfen 34 CDU-Funktionäre von der Basis der Kanzlerin vor, dass ihre Politik nicht im Einklang mit dem Programm der CDU stehe und sich ein großer Teil der Wähler von der CDU-geführten Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik nicht mehr vertreten fühle. Bayerns Ministerpräsident Seehofer (CSU) drohte sogar mit Notwehr des Landes Bayern, wenn die Bundesregierung nicht für eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen sorge. Die Bundeskanzlerin bleibt aber bei ihrer Haltung. Das hat sie gestern auch in der ARD-Sendung "Anne Will" gesagt.
    Mitgehört hat Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), die Ministerpräsidentin des Saarlandes. Guten Morgen!
    Annegret Kramp-Karrenbauer: Hallo! Guten Morgen, Frau Simon.
    Simon: Die Bundeskanzlerin hat ja in dem Interview ihre Haltung ganz deutlich in der Flüchtlingsfrage vermittelt, wie mein Kollege Stephan Detjen vorhin sagte, so ein bisschen nach dem Motto, hier stehe ich, ich kann nicht anders. Hat die Kanzlerin Sie damit überzeugt?
    Kramp-Karrenbauer: Es war ein sehr ehrlicher Auftritt und gerade deshalb war er sehr überzeugend. Ich trage den Kurs von Angela Merkel schon von Anfang an mit, gerade in dieser Frage, und ich glaube, dass sie gestern wirklich in einer ganz hervorragenden Art und Weise den Menschen auch noch mal dargelegt hat, was sie bewegt und wie die Dinge auch wieder geordneter werden können.
    Simon: In Ihrer eigenen Partei wird der Ton ja durchaus schriller. Wir haben das gerade eben noch mal gehört. Die Landräte und Bürgermeister wissen oft nicht mehr, wie sie Flüchtlinge unterbringen sollen. Auch wenn Sie sagen, Sie unterstützen den Kurs von Anfang an, haben Sie nicht den Eindruck, dass Ihnen und der Kanzlerin, wenn Sie auf einer Linie sind, und damit auch der CDU die Basis wegläuft?
    Kramp-Karrenbauer: Nein, das habe ich nicht. Natürlich wird das an der Basis diskutiert. Die CDU ist eine Volkspartei. Ich habe das im Übrigen auch an anderen Fragestellungen erlebt, die die CDU auch in ihrem Kernbereich betreffen, und das ist so eine Fragestellung. Ich kann aber zum Beispiel für meinen Landesverband sagen, dass wir dort in intensiven Diskussionen sind, in einem ständigen Austausch auch mit den Kommunalpolitikern vor Ort, und natürlich ist es eine schwierige Situation. Aber vor allen Dingen wenn die Verantwortlichen vor Ort sehen, dass auf der Ebene darüber, also auf Landes- oder Bundesebene die Dinge auch wirklich angepackt werden, dass es geordnet geht - und das ist im Saarland der Fall -, dann kann man auch überzeugen und dann kann man auch Ängste wegnehmen.
    "Viele Ängste sind sehr diffus"
    Simon: Ist bei Ihnen die Grenze im Saarland der Belastbarkeit also noch nicht erreicht?
    Kramp-Karrenbauer: Wir stehen, glaube ich, besser da, als das in dem einen oder anderen Bundesland der Fall ist, obwohl wir, gerade was die Registrierung anbelangt, fast 50 Prozent mehr aufnehmen, als wir nach dem Verteilschlüssel aufnehmen müssten. Das hat natürlich auch etwas mit wirklich klugem Handling insbesondere aus dem Innenministerium bei uns zu tun. Darauf sind wir stolz. Aber wir wissen, wir werden das alleine nicht halten können. Dazu bedarf es einer nationalen Kraftanstrengung, zu der wir uns ja auch zum Beispiel auf dem gemeinsamen Flüchtlingsgipfel verständigt haben.
    Simon: Das klingt sehr positiv. Tatsächlich fühlen sich viele Menschen, die vielleicht am Anfang dem Ganzen noch gar nicht negativ gegenüberstanden, inzwischen überfordert, manche geradezu überfallen. Warum gelingt es im Augenblick Politikern auch wie Ihnen, wie Frau Merkel nicht, diese Bürger - und das sind ja nicht wenige - mitzunehmen?
    Kramp-Karrenbauer: Es ist, glaube ich, erst mal ein verständlicher Reflex und auch eine Angst, wenn man tagtäglich die Bilder sieht der Menschen, die hier herkommen, wenn man in Rechnung stellt, dass wir die Beseitigung der Ursachen beziehungsweise auch eine Schließung oder eine etwaige Verengung der Grenzen etwa in der Türkei oder in anderen Ländern nicht unmittelbar und alleine in der Hand haben, dass dann Ängste entstehen, Ängste auch mit Blick auf die Frage, können wir diese Menschen hier alle integrieren. Ich habe die interessante Erfahrung gemacht, auch mit einer Beschwerde-Hotline, einem Beschwerde-Telefon, das wir eingerichtet haben, dass viele dieser Ängste sehr diffus sind, und wenn man dann nachgeht und fragt, hat jemand wirklich konkret etwas Negatives erlebt, ist er sozusagen belästigt worden, hat er keine Wohnung gefunden wegen eines Flüchtlings, dann kommt in den aller-allermeisten Fällen heraus, dass es diese negative persönliche Erfahrung überhaupt nicht gibt. Das heißt, man muss auch dort, wo es negative Dinge gibt, die Wahrheit sehr konkret machen. Das hilft eigentlich am besten weiter.
    "Das Flughafen-Verfahren an den Grenzen umsetzen"
    Simon: Frau Kramp-Karrenbauer, Sie sagen, Schließung der Grenzen in der Türkei. Parteifreunde von Ihnen fordern die Schließung der Grenzen zu Österreich, oder ganz konkret, dass man dort Aufnahmelager einrichtet an der Grenze und gleich dort prüft, ob Flüchtlinge wirklich einen Asylgrund haben. Was halten Sie davon?
    Kramp-Karrenbauer: Zuerst einmal muss man sagen, dass ein Großteil der Flüchtlinge, die jetzt gerade aus Syrien kommen, über die Türkei kommen, und deswegen ist es richtig, auch mit der Türkei über diesen Punkt zu reden und zu verhandeln. Ich glaube, dass, wenn man sich die Grenze zwischen Deutschland und Österreich vor Augen führt, man sieht, dass wir die, weil es sich um eine sehr lange grüne Grenze auch handelt, nie wird komplett schließen können. Im Übrigen wäre das im Moment auch durch Schengen und die EU-Abkommen nicht möglich.
    Was ich unterstütze, ist der Vorschlag auch des Bundesinnenministeriums, das sogenannte Flughafen-Verfahren mit sogenannten Transit-Zonen auch an einer solchen Grenze möglich zu machen. Nach unserer Auffassung geben die Asylrichtlinien der EU das her und ich würde mir sehr wünschen, dass wir auch im Kreis der Länder, auch mit den rot-grün geführten Ländern über diesen Punkt noch einmal reden können. Das würde es aus meiner Sicht ermöglichen, dass wir diejenigen, die hier herkommen, die erkennbar keine Bleibeperspektive haben und die auch im Verfahren keine Chance haben, dass wir die sehr schnell in Verfahren bringen und sehr schnell auch wieder zurückführen.
    "Europäische Regelungen sind das Gebot der Stunde"
    Simon: Sind Sie auch für andere Änderungen im Asylrecht, vielleicht auch grundlegende Änderungen?
    Kramp-Karrenbauer: Das sehe ich im Moment noch nicht. Das ist auch aus meiner Sicht nicht die Diskussion, die sich jetzt stellt. Wir haben alle gesehen - und ich glaube, das spürt man auch -, dass wir hier dringend zu besseren europäischen Regelungen kommen müssen. Das ist jetzt das Gebot der Stunde. Wir haben uns ja verständigt zwischen Bund und Ländern, was am jetzt bestehenden Asylrecht noch einmal geändert werden soll. Wir haben jetzt auch Möglichkeiten, die müssen wir auch konsequent umsetzen, Stichwort Rückführung, Stichwort Abschiebung, und ich glaube, wir sollten uns jetzt erst einmal darauf konzentrieren.
    Simon: Aber zum Beispiel bei der Familienzusammenführung, dem Familiennachzug ist es ja so, dass einige EU-Länder mit administrativen Tricks es erreicht haben, dass sie das ausschließen. Wäre das auch für Deutschland eine Option?
    Kramp-Karrenbauer: Es werden sehr viele Zahlen ja spekuliert, gerade was den Familienzuzug oder Nachzug anbelangt. Ich will mich diesen Spekulationen gar nicht anschließen. Fakt ist, dass sie jetzt zum Beispiel schon über ein Jahr warten müssen, um in entsprechenden deutschen Botschaften einen Antrag auf diese Familienzusammenführung zu stellen. Das heißt, wir haben hier schon gewisse Zeitabläufe, und insofern würde ich hier jetzt nicht den Teufel an die Wand malen, sondern wir haben im Moment - und das ist die Hauptaufgabe - natürlich vor allem damit zu tun, den Zuzug der originären Flüchtlinge, die jetzt kommen, auch entsprechend zu bewältigen. Klar ist aber auch, die Menschen werden, soweit ihnen das möglich ist, vielleicht auch versuchen, ihre Familie hier herzubekommen. Das heißt, wir können zum Beispiel in der Wohnungsversorgung nicht nur für Singles planen, sondern wir müssen auch ins Kalkül ziehen, dass Familien, dass Kinder nachkommen. Aber ich glaube, auch das ist zu schaffen.
    "Nichts versprechen, was wir nicht halten können"
    Simon: Frau Kramp-Karrenbauer, Sie haben vorhin noch mal gesagt, es gibt da Forderungen, die kann man überhaupt nicht umsetzen. Können Sie sich erklären, warum Ihre eigenen Parteifreunde diese immer wieder stellen?
    Kramp-Karrenbauer: Es ist aus meiner Sicht ein Reflex auf diese Befürchtungen, auf diese Ängste, und natürlich wünscht man sich, wenn so viele Menschen jetzt auf einmal kommen, dass man selbst das auch als Deutschland in der Hand hat. Wir leben aber mittlerweile in einem sehr zusammengewachsenen Europa, wo ein Rad ins andere greift und wo zum Beispiel die Frage, wie die Situation in Griechenland, in Italien mit Blick auf die Flüchtlinge ist, oder eben auch außerhalb der EU, in der Türkei oder in Syrien selbst, unmittelbare Rückwirkungen auf uns hat. Das ist das, was die Kanzlerin auch beschrieben hat mit der zunehmenden Verschränkung von Innen- und Außenpolitik. Insofern halte ich es wie die Kanzlerin: Man sollte keine Forderungen erheben, man sollte nichts versprechen, was wir de facto nicht auch wirklich umsetzen können.
    Simon: Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), die Ministerpräsidentin des Saarlandes. Frau Kramp-Karrenbauer, vielen Dank und auf Wiederhören.
    Kramp-Karrenbauer: Vielen Dank! Schönen Tag noch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.