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Kranke Igel
Zu warm für den Winterschlaf

Bundesweit gibt es derzeit so viele kranke Igel wie nie, sagen Tierärzte, private Igelpfleger und Naturschutzorganisationen. Eigentlich sollten die Tiere schon längst im Winterschlaf sein - aber sie kommen einfach nicht zur Ruhe. Und das macht vor allem den Igel-Babys Probleme.

Von Jörn Haarmann | 16.12.2016
    Simone Hartung von der Igelstation in Neuzelle (Brandenburg) hält am 21.11.2016 einen kleinen Igel in ihren Händen. Seit sieben Jahren betreiben Simone und Klaus Hartung eine private Igelstation. Das Ehepaar kümmert sich ganzjährig um verletzte, kranke oder zu kleine Igel. Derzeit überwintern 20 kleine stachelige Gesellen hier. Eingemummelt zwischen wärmenden Papierstreifen halten viele schon Winterschlaf. Im kommenden Frühjahr werden dann alle wieder in die Freiheit entlassen. Um einen Winter in freier Natur zu überstehen, muss ein Igel mindestens 500 Gramm wiegen, bevor dieser seinen Winterschlaf beginnt, so Simone Hartung. Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/ZB | Verwendung weltweit
    Wer einen Igel findet und ihn pflegen will, sollte das Tier baldmöglichst von einem wildtierkundigen Veterinär untersuchen lassen. (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    "Sie sehen, der Igel ist noch sehr sehr klein, normalerweise müsste der Igel in dieser Zeit mindestens 700 Gramm wiegen, damit er gesund durch den Winter kommt. Und wenn ich den jetzt hier auf die Waage setze, dann können Sie sehen, dass dieser Igel gerade mal 295 Gramm wiegt."
    Sabine Berg päppelt seit Jahren liebevoll privat Fundigel auf; dieses Jahr schon 35. In ihrem Haus in Kirchlengern bei Herford hat sie extra ein Dachzimmer für ihre stacheligen Sorgenkinder eingerichtet, die aktuell "Bobbelchen", "Ralfi", "Mia" oder "Frieda" heißen. Die sind kaum so groß wie eine Handfläche und wohnen in Waschkörben, in die Sabine Berg Pappkartons und Zeitungspapier als Verstecke gelegt hat. Täglich bekommen Sabine Berg und andere Igelpfleger in NRW Dutzende Anfragen, Fundigel aufzunehmen. Denn wegen des warmen, langen Herbstes gibt es jetzt so viele davon wie nie.
    "Wir haben ganz oft in den letzten beiden Jahren damit zu tun, dass Igel noch im Oktober, November einen Wurf absetzen. Die Igelinnen kümmern sich soweit es geht drum, müssen sich aber selbst vorbereiten auf den Winterschlaf und verlassen irgendwann die Kleinen. Und dann... es "regnet" quasi kleine Baby-Igel. Und wenn wir da nicht eingreifen, dann sterben die."
    Die Sterberate bei jungen Igeln ist hoch
    Denn draußen finden die empfindlichen, unter Naturschutz stehenden Igel jetzt kaum noch Nahrung, wie etwa Würmer oder Insekten. Auch Wildtierarzt Johannes Otto aus Herford bekommt derzeit jeden Tag junge Fundigel gebracht. Deren Sterberate ist hoch.
    "Die sind definitiv zu klein und schon sehr stark lebensgeschwächt. Meist sind es Lungenwürmer, die dann eben auch Lungenentzündungen auslösen, und die führen zu einer so starken Schwächung, dass diese Tiere kaum zu retten sind. Es sei denn, man betreibt eine intensivmedizinische Betreuung."
    Igel-Pflegeeltern bundesweit gut vernetzt
    Die Parasiten haben wegen der zu warmen, sich verschiebende Jahreszeiten leichtes Spiel, meint der Veterinär. "Je wärmer es ist, desto länger sind die Schädlinge eben am Igel, gerade eben Zecken, Flöhe und so weiter. Die zweite Komponente ist, wenn die dann durch diese Wärme schlecht in den Winterschlaf hineinkommen. Jetzt haben wir es schon wieder um die zehn Grad. Und zehn Grad ist immer so eine gewisse Aufwachtemperatur."
    Der Winterschlaf allerdings ist für die Igel überlebenswichtig.
    "Bei den älteren Igeln ist es so, dass die ja ihre Körpertemperatur auf ein Grad absenken, alle biologischen Prozesse werden herunter gefahren. Und bei ein Grad überleben das eben viele Parasiten im Igel auch nicht. Die ganz Kleinen haben noch gar nicht angefangen zu schlafen."
    ...und landen so bei "Igelpflegeeltern" wie Sabine Berg und ihren Kollegen. Die sind zwar untereinander bundesweit gut vernetzt und tauschen untereinander können aber kaum noch neue Tiere annehmen.
    "Wir kommen mit der Flut der Igel nicht mehr nach, und wir sind dringend auf die Unterstützung von Privatpersonen angewiesen, die Igel übernehmen. Wenn Sie nur einen oder zwei Igel pflegen, ist das eine sehr vertretbare und machbare Sache. Wenn Sie mehr Igel haben, wie die Auffang- oder Päppelstationen, dann wird es schnell sehr, sehr schwierig und auch teuer."
    Wichtig für die Pflege von Igeln: keine Milch nur Wasser
    Wer einen Igel findet und ihn pflegen will, den unterstützen die Experten gern jederzeit helfend. Faustregel: Das Tier möglichst bald bei einem mit wildtierkundigen Veterinär untersuchen lassen und dem Igel keine Milch geben; stattdessen Wasser und hochwertiges Katzenfutter, rät Igelpflegerin Sabine Berg:
    "Nehmen Sie den Igel mit rein, bringen Sie ihn auf eine normale Raumtemperatur. Und dann finden Sie im Internet über die Wildtierhilfe oder die Tierärzte Adressen von wildtiererfahrenen Päpplern, die ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen, um den Igel gesund durch den Winter bekommen. Igel sind sehr dankbare Pfleglinge! Und es ist immer schön, wenn man einen kleinen Igel groß bekommen hat und den zur Auswilderung später wieder in die Natur zurück geben kann."