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Krankenakte Ötzi

Genetik. - Seit mehr als 20 Jahren ist die Gletschermumie Ötzi vom Südtiroler Tisenjoch Gegenstand der Forschung. Jetzt legt eine große Forschergruppe das Genom des Steinzeitmannes vor.

Von Michael Stang | 01.03.2012
    Seit mehr als 20 Jahren wird an der berühmtesten Gletschermumie der Welt geforscht. Nun hat das Team rund um Albert Zink von der Europäischen Akademie Bozen ein wichtiges Ziel erreicht:

    "Im Fall von Ötzi haben wir es wirklich geschafft, etwa 85 Prozent des gesamten Genoms zu rekonstruieren. Wir waren eigentlich sehr, sehr positiv überrascht über dieses tolle Ergebnis."

    Bereits 2007 wurde aus Ötzis linkem Beckenkamm eine Knochenprobe entnommen. Daraus konnten die Forscher mithilfe der so genannten Gesamtgenom-Sequenzierungsmethode das Erbgut rekonstruieren und nun analysieren. Demnach hatte Ötzi braune Augen, braune Haare und Blutgruppe 0. Die genetische Analyse verrät aber noch mehr, sagt Carsten Pusch vom Institut für Humangenetik der Universität Tübingen, der ein Großteil der Genomdaten erstellt hat.

    "Große Überraschung - der Ötzi ist immer noch jemand, der wahrscheinlich eher zur Jäger- und Sammlergruppe gehört, weil er kann diesen Milchzucker nicht verdauen."

    Ötzi stammt aus einer Zeit, in der Bauern bereits Jäger und Sammler abgelöst hatten. Mit der Domestikation von Rind, Schaf und Ziege gab es auch Veränderungen im menschlichen Erbgut, da Frischmilch zunehmend als Nahrungsquelle relevant wurde. Bis vor wenigen tausend Jahren war kein Erwachsener in der Lage, den in der Milch enthaltenen Zucker zu verdauen. Erst eine Mutation, die heute in Europa weit verbreitet ist, ermöglichte es plötzlich auch Menschen im Erwachsenenalter, das Enzym Laktase zu bilden und den Milchzucker Laktose zu spalten. Ötzi aber vertrug noch keine Frischmilch.

    "Damit haben wir ein neolithisches Fossil. Er ist definitiv nicht der moderne Neolithiker gewesen, der Milchzucker verdauen konnte und gehört noch zu der anzestralen Gruppe, also zu der ursprünglicheren, urtümlicheren Population."

    Je tiefer Carsten Pusch in das Erbgut der Gletschermumie blickte, desto mehr Hinweise entdeckte er, dass Ötzi nicht vor Gesundheit strotzte.

    "Interessant war aber auf jeden Fall, dass man gesehen hat, er leidet ja an schlimmer Arteriosklerose und das ist erstaunlich, weil er ja überhaupt keine dieser bestimmten Risikofaktoren lebt oder ausgesetzt ist, die man normalerweise haben muss, um Arteriosklerose zu entwickeln, also sprich so ein Couch Potato, irgendwie also ein fauler Heini, der sich nicht bewegt, der irgendwie, was weiss ich, nur fettes Essen in sich reinstopft und so weiter und so fort."

    Die Frage stellt sich daher: Warum litt dieser Mann, ein sehniger, drahtiger und muskulöser Naturbursche, an Arterienverkalkung? Pusch:

    "Von seinem Lifestyle her dürfte er diese Arteriosklerose überhaupt nicht haben, er hat sie aber und er hat sie deswegen, weil seine DNA, sagen wir mal, ein schlechtes genetisches Makeup hat."

    Bei der Untersuchung der Knochenprobe entdeckten die Genetiker aber nicht nur menschliche DNA.

    "Ötzi hat – wir wissen es nicht wie stark -, aber er hat auf jeden Fall an der Lyme disease, also an der Borreliose, gelitten oder hat sie gehabt. Da muss auf jeden Fall eine Zecke gewesen sein, denn der Vektor oder der Überträger sind ja Zecken."

    Mithilfe des Genoms ist es nun auch möglich, die genetische Herkunft Ötzis zu klären. Demnach müssen seine Vorfahren aus dem Nahen Osten eingewandert sein. Heute sind diese genetischen Besonderheiten nur noch in sehr abgelegenen Gegenden bekannt, etwa auf Sardinien und Korsika. Wie es dazu kam, dass diese DNA im Laufe der Zeit durch Wanderungsbewegungen verloren gegangen ist, wird der Forschungsauftrag der kommenden Jahre sein.