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Krankmachende Nanofasern

Medizin. - Die Ablagerung feiner Proteinfasern, sogenannter Amyloid-Fibrillen, - geordnet, wie in einem Bündel Spaghetti -, ist das gemeinsame Kennzeichen von mehr als zwanzig Krankheiten, die sonst nicht viel miteinander gemein haben, wie Alzheimer und Diabetes II. Die beteiligten Fasern sind sieben bis zehn Nanometer dünn – ein Nanometer ist der Millionste Teil eines Millimeters – und damit offenbar ein Fall für die Nanotechnologie.

Von Mathias Schulenburg | 15.06.2007
    Ehud Gazit ist Professor an der Universität Tel Aviv in Israel und dort vornehmlich mit Fragen der Proteinfaltung befasst. Um die fachlich verwandte Frage zu beantworten, wie krankmachende Amyloidfibrillen entstehen und sich aneinander lagern, suchten Ehud Gazit und seine Arbeitsgruppe zunächst nach den Bausteinen der Fasern:

    "”Wir haben nach den elementaren Bausteinen gesucht, die diese Fasern machen können, und dabei sind wir wie Chemiker und Physiker vorgegangen: Die Fasern bestehen aus großen Proteinen, und wir wollten den kleinstmöglichen Baustein finden, mit dem wir arbeiten können, und den haben wir gefunden.""

    Die Faserbildung ist eine Art Kristallisationsprozess, bei dem die Baublöcke zueinander finden und dann aneinander haften. Gazit:

    "”Weil wir jetzt wussten, wie sich die Fasern bilden, konnten wir kleine Moleküle herstellen, die die Bildung solcher Faseraggregate stören, um so womöglich eines Tages degenerative Krankheiten wie die Alzheimersche zu verhindern.""

    Die genauen Mechanismen sind einstweilen noch vertraulich, entsprechende Substanzen jedenfalls befinden sich in der vorklinischen Erprobung. Aber an Mäusen, die die Alzheimerkrankheit entwickelt hatten, konnten Ehud Gazit und Mitarbeiter zeigen, dass das Prinzip funktioniert. Gazit:

    "”Bei den Mäusen können wir deren kognitive Leistungen komplett wiederherstellen. Ob das auch beim Menschen klappt – fragen Sie mich in ein paar Jahren wieder. Wir haben überdies gute Gründe, anzunehmen, dass wir nicht nur Alzheimer sondern auch die sehr viel häufigere mildere Altersdemenz MCI, mild cognitive impairment, werden kurieren können, die bei einem großen Teil der Bevölkerung über sechzig einsetzt.""

    Ob sich Medikamente für den Menschen in fünf oder fünfzehn Jahren, oder überhaupt entwickeln lassen, will Ehud Gazit offen lassen:

    "”Aber wir wissen zumindest, dass wir auf dem richtigen Weg sind, denn wir haben den Mechanismus dahinter verstanden. Das ist das Schöne daran: Wenn aus irgendeinem Grunde etwas nicht klappen sollte, dann können wir uns die Struktur noch einmal ansehen und wissen, wie wir ein besseres Wirkmolekül machen können.""

    Die Entdeckungen versprechen auch noch auf einem anderen Feld nützlich zu werden: Aus den von Gazit und Mitarbeitern gefundenen Faserbaublöcken lassen sich offenbar auch neue Materialien, Kunststoffe, herstellen. So ordnen sich die Baublöcke in einer entsprechenden Umgebung ganz von selbst zu Röhrchen ähnlich den bekannten Buckytubes aus Kohlenstoff. Messungen weisen diesen Röhrchen, jetzt aus Proteinen, hervorragende mechanische Eigenschaften zu, was Festigkeit und Zähigkeit angeht. Womöglich hat so die Forschung an der Alzheimerschen Krankheit geholfen, auch das Geheimnis von Spidermans Faden zu lüften.