Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Krass Festival
Theater aus Migrantensicht

Theater, das von Migranten gemacht wird, findet in wenigen festen Häusern wie dem Berliner Ballhaus Naunynstraße statt, und auf Festivals. Seit gerade mal zwei Jahren leistet sich die Theaterstadt Hamburg ein solches Festival: KRASS heißt es und findet zum dritten Mal in der Hamburger Theaterfabrik statt.

Von Dirk Schneider | 12.02.2015
    Besucher stehen am 24.05.2012 vor dem Eingang einer großen Foyer-Halle des Theaters Kampnagel in Hamburg.
    Schattenökonomie ist Schwerpunktthema der dritten Ausgabe des KRASS Festivals, das vom bosnischen Regisseur Branko Simic und dem Performer und Dramaturgen Nikola Duric kuratiert wird. (picture-alliance / dpa / Georg Wendt)
    "Deutsche Bank Hochhaus. 155 Meter hoch. Eine Komplettsanierung, also das ganze Hochhaus, vom Dach bis zum Keller, inklusive vier unterirdische Geschosse. Dort habe ich auf 148 Meter Höhe gearbeitet, ungesichert."
    Der junge Mann auf der Bühne ist illegal in Deutschland. Er arbeitet für einen Hungerlohn, wenn er denn am Ende überhaupt Geld bekommt. Wäre er bei seiner Arbeit am Hochhaus der Deutschen Bank in Frankfurt am Main abgestürzt, hätten seine Arbeitgeber geleugnet, ihn je beschäftigt zu haben.
    "Wäre ich da verunglückt, das wäre so ähnlich gewesen, wie wenn eine Fliege runterfällt. Weil ich nicht existiert habe."
    Er ist einer von den "Unsichtbaren", von denen Branko Simics gleichnamiges Theaterstück handelt. Dass Menschen ohne Papiere auf den Gemüsefeldern Andalusiens ausgebeutet werden, meinen wir zu wissen. Dass viele von ihnen wie Sklaven mitten unter uns leben, können wir kaum glauben. Wie die junge Frau aus Peru, die als Kinder- und Hausmädchen rund um die Uhr in einem Hamburger Vorort im Einsatz war, sieben Tage in der Woche:
    Schattenökonomie ist Schwerpunktthema
    Diese Schattenökonomie ist Schwerpunktthema der dritten Ausgabe des KRASS Festivals, das vom bosnischen Regisseur Branko Simic und dem Performer und Dramaturgen Nikola Duric kuratiert wird - Theater aus migrantischer Sicht, wie es so in einer Theaterstadt wie Hamburg kaum zu erleben ist.
    "Ein Ziel oder ein Traum wäre es schon, dass es diese Festivals gar nicht mehr geben müsste. Dass die Migranten nicht so zu diesen hippen Problemthemen zusammengepfercht werden und dann ein Festival machen müssen. Sondern dass unsere Stücke einfach in einem anderen Rahmen laufen könnten und mit klassischem Theater gemischt."
    wünscht sich Nikola Duric. Und Branko Simic warnt:
    "Das ist natürlich ein Ideal, aber das darf man nicht laut sagen vor Kulturpolitikern."
    Kulturelle Entwicklungshilfe für Ausländer
    Denn dann, fürchtet Simic, wäre auch schnell das bisschen Geld weg, das für Festivals wie das KRASS fließt, als eine Art kulturelle Entwicklungshilfe für die Ausländer im eigenen Land. Elf Tage geht das Festival, das neben zwei neuen Eigenproduktionen auch ein Stück von letztem Jahr zeigt und ein Gastspiel des Berliner Maxim-Gorki-Theaters, das Erfolgsstück „Schwimmen lernen": Alles Stücke, die Deutschland aus migrantischer Perspektive zeigen und nicht nur darum unglaublich spannend und erhellend sind.
    "Was ist, wenn die Migration das letzte Abenteuer ist, das unsere gesicherte Gegenwart für uns bereit hält? Was ist, wenn es nicht die Angst vor dem Unbekannten ist, die Migration auf die ersten Seiten einer Zeitung bringt?"
    Natürlich hat das Ensemble der "Unsichtbaren" Migrationserfahrung. Die Schauspieler erzählen auch von sich: Wie sie nicht nur in Deutschland, sondern schon in ihrer Heimat ausgebeutet wurden. Aber sie haben auch Witz und Stolz:
    "Ich zum Beispiel fühle mich gar nicht wie ein Flüchtling, ich fühle mich eher wie ein ehrenwerter Pirat der Herzen. Sie lieben und bewundern mich für meinen Mut, mich über Gesetze hinwegzusetzen."
    Alte Klischees über den Haufen geworfen
    Romantisierung des Migrantenschicksals? Vielleicht, aber nicht nur. Branko Simic wirft in seinem Stück alle Klischees über den Haufen. In leidenschaftlichen Tanzeinlagen kommt all die Kraft zum Ausdruck, die in den Hoffnungen und der Verzweiflung der Menschen steckt, die auf schwierigsten Wegen zu uns kommen.
    Während der monatelangen Diskussionen über Pegida wurde scheinheilig um die Frage gerungen, wie Deutsche nur so fremdenfeindlich sein können. Wir alle leben in und profitieren von einem menschenfeindlichen System, das macht das KRASS-Festival auf beeindruckende Weise deutlich. Im Kampnagel-Foyer kann man derweil auf dem Markt der Schattenwirtschaft einen Tauschhandel eingehen:
    "Die Illegalen oder die Papierlosen dürfen ja nicht arbeiten. Aber sie müssen irgendwie überleben. Und diese Leute haben ja Skills."
    Schneider, Schildermaler, Köche, Fußballtrainer ohne Arbeitserlaubnis bieten hier ihre Fähigkeiten an, im Tausch etwa gegen die Begleitung bei einem Behördengang. Dabei kommen auch Menschen zusammen:
    "Generelles Ziel ist es, eine Brücke zu schaffen. Dass man nicht immer so die einen sind gestellt auf der Bühne, oder die existieren überhaupt nicht in unserer Realität, und die anderen kommen und konsumieren Kultur. Dass wir diese Mauer brechen. Und im Grunde genommen machen wir hier ganz kitschig eine Miteinander-Kultur."