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Kratzbürste und Dickschädel

Die Handlung basiert auf Shakespeares Komödie "Viel Lärm um nichts" und ist eine vom Komponisten selber abgespeckte Version. Es geht um zwei Liebende, die ihre Liebe leugnen und sich schämen und sich zieren - bis man ihnen einen Streich spielt.

Von Christoph Schmitz | 18.04.2013
    Einen atmosphärischen Zauber lässt Hector Berlioz in seinem Nocturne aufblühen, gute lange, endlose zehn Minuten, von denen man möchte, dass sie nie zu Ende gehen. In Sachen Dichte, Klarheit und Natürlichkeit verbrüdert sich Berlioz hier mit Mozart und dessen Klangwundern wie dem "Soave sia il vento" aus "Così fan tutte". Das Radiosymphonieorchester des ORF unter Leo Hussain spielt das im Theater an der Wien mit geradezu betörender Transparenz, Leichtigkeit und Innigkeit zugleich. Überhaupt ist es immer wieder eine Freude, Hussains musikalischen Deutungen zu folgen. Dabei ist es alles andere als leicht, in der trockenen Akustik dieses über 200 Jahre alten Baus des Theaterleiters und Zauberflöten-Textdichters Emanuel Schikander vor allem die feineren musikalischen Gespinste zum Glitzern zu bringen und sie über minutenlange Bögen zu spannen. Das gelingt Dirigent, Orchester und Sänger bei der Premiere. Auch die sehr komplizierten, vertrackten Spaßrhythmen schnurren wie geschmiert. Und noch etwas schaffen die Musiker, gerade bei diesem Nocturne.

    Die sehr verliebte Héro steht ja kurz vor ihrer Hochzeit mit dem jungen Kriegshelden Claudio. Das ungetrübte Liebesglück verkörpern die beiden, das schlichte einfache Gelingen einer Beziehung. Nun besingt Héro zusammen mit ihrer Gesellschaftsdame Ursule dieses Glück in der naturlyrischen Seligkeit einer milden Sommernacht mit Rosenduft, Nachtigallenruf und Zephirsäuseln. Doch da reimen sich auf Heros "bald bin ich dein" die Wörter "Wonne und Pein". Bei aller Schönheitsseligkeit gelingt es den Musikern und den Solistinnen Christiane Karg als Héro und Ann-Beth Solvang als Ursule, zugleich eine Beklemmung, eine Bitterkeit aus den Noten zu lesen, in denen die Vorahnung ehelicher Spannungen und schmerzhafter Konflikte anklingen.

    Der Regisseur dieser "Béatrice et Bénédict"-Produktion, Kasper Holten, Direktor der Royal Opera in London, bebildert diese Szene ebenso einfach wie eindringlich: Hinter den Sängerinnen ziehen über den Bildschirm einer gläsernen Videowand in der Mitte der Drehbühne bedrohliche Gewitterwolken aufs Publikum zu. Überhaupt wird diese auf- und abfahrbare Filmwand zu einem zentralen Gestaltungselement der Inszenierung. Sie teilt zu Beginn Männer und Frauen in die jeweiligen Geschlechtersphären der französischen Gesellschaft um 1918. Sie dient als Raumteiler, um parallele Handlungslinien auf der rotierenden Bühnenfläche sinnfällig miteinander zu verknoten. Und sie illustriert Béatricens Albtraum, in dem sie den schwerverletzten Bénédict auf den Schlachtfeldern von Verdun imaginiert.

    Expressiv verkörpert Malena Ernman den Schock der Titelheldin. Aber auch die Intelligenz und den Witz dieser früh emanzipierten Frau, die, obwohl sie den eingebildeten Bénédict im Grunde ihres Herzens ziemlich gut findet, sich lange Zeit verbietet, sich selbst und ihm diese Zuneigung zu gestehen – auf Unterordnung in einer Ehe hat sie keine Lust. Malena Ernman und Bernard Richter als Bénédict spielen und singen die Messerstichdialoge schön böse.

    Im Gewand der 1918er-Jahre ist das alles plausibel und gut durchchoreografiert. Allerdings kommt mit dieser zeitlichen Verortung kein so rechter Erkenntniszugewinn auf. Das Stück danach auszuloten, warum heute junge Leute nicht heiraten wollen und es manchmal dann doch tun, wäre interessant gewesen. Das kann man sich bei Kasper Holtens Zugriff zwar irgendwie denken, aber man würde es auch gerne sehen.