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Kraut und Rüben

Leider bilden die unterschiedlichen Ansätze der vielen verschiedenen Autoren des Sammelbandes "Deutschsprachige Lyriker des 20. Jahrhunderts" kein spannendes Ganzes. Die Beiträge sind in Qualität und Aufbau derart verschieden, dass sich die Frage stellt, für wen dieses Buch von Nutzen ist.

Von Tobias Lehmkuhl | 29.01.2007
    An Ursula Heukenkamps und Peter Geists Auswahl "Deutschsprachiger Lyriker des 20. Jahrhunderts" gibt es nichts auszusetzen. Tatsächlich scheint inzwischen ein breiter Konsens darüber zu bestehen, wer die bedeutendsten Lyriker des 20. Jahrhunderts sind. Das gilt übrigens bis in die, lyrikgeschichtlich gesehen, allerjüngste Zeit hinein: So war es in besonderem Maße auch die ältere Generation, die sich in den 90ern noch einmal als äußerst lebendig und wirkmächtig präsentierte und damit ihre Stellung festigte. Zu nennen wären etwa Friederike Mayröcker und Oskar Pastior.

    Letzterem ist im vorliegenden Band ein sehr instruktiver Beitrag gewidmet, verfasst von Friedrich W. Block. Leider bietet der Band weder über Block noch über die anderen Beiträger biografische Hinweise; hinter dem jeweiligen Namen steht lediglich der Wohnort des Autors. Das aber ist Augenwischerei, denn es handelt sich bei diesem Buch nicht um eine wissenschaftliche Publikation, bei der durch die Ortsangabe zugleich die Universitätszugehörigkeit bezeichnet wird.

    Es finden sich zwar hauptberufliche Germanisten unter den Verfassern, doch ebenfalls nicht wenige freischaffende Autoren. Und hier beginnt das eigentliche Dilemma dieses Buches: die Uneinheitlichkeit. Leider bilden die unterschiedlichen Ansätze der vielen verschiedenen Autoren kein spannendes Ganzes. Ganz im Gegenteil. Die Beiträge sind in einem Maß ungleich geartet, sowohl was die Qualität als was den Aufbau angeht, dass sich die Frage stellt, für wen dieser Sammelband überhaupt bestimmt und von Nutzen sein soll und kann.

    Er versammelt eine Vielzahl an Textsorten, vom Essay über die Abhandlung bis zur Proseminarsarbeit, und nicht selten auch Mischungen aus allen dreien: Zum einen Dichter findet man viel Biogradisches, zum anderen kaum; bei einer Dichterin steht vor allem die Interpretation des Werkes im Vordergrund, bei einer anderen lediglich die literaturgeschichtliche Einordnung; hier beschränkt sich der Beitrag darauf, die Bedeutung des Dichters zu beschwören, dort fehlt einem Artikel jegliche Richtung.

    Der Band enthält zwar eine Reihe verlässlicher Übersichtsartikel, von Hermann Korte etwa oder Erk Grimm, daneben aber auch schlicht unsinniges Geschreibsel, zum Beispiel Antonella Garganos Beitrag über Gertrud Kolmar. Von einer "Logik der Metamorphose" ist da ohne Erläuterung die Rede, oder es wird von einer "Fremdheit" geraunt, die eine "deutliche, schmerzliche Spur in den Gestalten von Tiberius und Susanna hinterlassen" habe und mit Kolmars "jüdische[r] Herkunft in Zusammenhang" stehe. Warum man sich als Jude fremd fühlt, inwiefern und in Bezug worauf, dass lässt Gargano offen, wie sie ihren Text überhaupt aus zahllosen hohlen Phrasen zusammengeschraubt hat.

    Diese Uneinheitlichkeit, die sich auch mit der Wendung "Kraut und Rüben" bezeichnen lässt, erheben die Herausgeber zu allem Überfluss noch zum Programm. Konzeptionslosigkeit ist hier Konzept. Dieses Durcheinander offenbart schon das Inhaltsverzeichnis. Von den 64 Einzelporträts werden drei mit einem eigenen Titel aufgeführt, die übrigen 61 sind lediglich mit dem Namen des Dichters, den sie behandeln, überschrieben. Hier scheint man wirklich nicht gewusst zu haben, was man eigentlich will. Und so weiß auch der Leser nicht, warum er diesen Band eigentlich wollen soll.