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Krawalle in Heidenau
"Harter Kern von offensiv gewalttätigen Personen"

Bei den Ausschreitung gegenüber dem Flüchtlingsheim in Heidenau sei die NPD federführend gewesen, sagte der Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, im DLF. Dieses Verhalten dulde keine Akzeptanz. Die Pegida-Demonstranten seien nicht dasselbe, betonte er. Trotz Überschneidungen sei hier Differenzierung wichtig.

Frank Richter im Gespräch mit Dirk Müller | 26.08.2015
    Der Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter.
    Der Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter. (Imago / Müller-Stauffenberg)
    Dirk Müller: Wieder ist ein geplantes Flüchtlingsheim bis aufs Fundament abgebrannt, diesmal in Nauen in Brandenburg. Immer mehr Gewalt, immer mehr Ausschreitungen gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte, Hasstiraden gegen die SPD, gegen Sigmar Gabriel, wir haben darüber berichtet. Unser Thema nun mit Frank Richter, Leiter der Landeszentrale für Politische Bildung in Sachsen. Guten Abend nach Freital!
    Frank Richter: Guten Abend.
    Müller: Herr Richter, hätten Sie die randalierenden Neonazis auch als "Pack", als "Mob" bezeichnet?
    Richter: Ich glaube, das hätte ich nicht getan. Ich habe aber auch nicht zu bewerten, wie sich andere ausdrücken. Es ist eine besondere Funktion, die die Landeszentrale, meine Kollegen und ich hier in Sachsen übernommen haben, wenn es irgendwo geht, das Gespräch am Laufen zu halten, und dementsprechend äußere ich mich natürlich ein bisschen zurückhaltender.
    Müller: Sprechen Sie mit jedem?
    Richter: Ich spreche mit jedem, der mit mir sprechen will, soweit natürlich die Zeit und die Ressourcen reichen, und von dem ich den Eindruck habe, dass es ihm wirklich um das Gespräch und nicht um Propaganda geht. Darüber hinaus hat Gespräch natürlich Grenzen, das ist klar. Die liegen mindestens im strafrechtlich relevanten Bereich, das wissen wir. Dort, wo es rassistisch, wo es menschenverachtend, wo es volksverhetzend wird, hört das Gespräch auf.
    Müller: Aber das können auch Neonazis sein?
    Richter: Bei den Veranstaltungen, die wir durchführen, da gibt es weder am Einlass, noch am Auslass eine Gesinnungsüberprüfung. Wie stellen Sie sich denn das vor? Die Veranstaltungen der politischen Bildung - so ist das in Deutschland - sind in der Regel öffentlich, auch unsere, und wenn einer sich in dieser Weise äußert, wie ich es gerade beschrieben habe, und das in der Veranstaltung geschieht, das ist eine andere Sachlage. Aber beim Einlass ist zunächst mal jeder berechtigt einzutreten.
    "Zum vernünftigen Gespräch gibt es keine vernünftige Alternative"
    Müller: Und Sie erkennen, Sie identifizieren diese Kreise, diese Milieus, die jungen Menschen - junge Männer sind es ja meistens ganz oft, es sind auch junge Frauen dabei - und interpretieren das in eine bestimmte Richtung und sagen trotzdem, gerade deshalb wollen wir, sollen wir miteinander reden?
    Richter: Nun ja. Wissen Sie, zum vernünftigen Gespräch gibt es keine vernünftige Alternative. Bisweilen bedarf es der Empörung, auch der organisierten Empörung, natürlich des Protestes und des Widerspruches und des Widerstandes. Das ist mir völlig klar. Und es gibt ja ganz maßgebliche Leute auch in unserem Land, auch in Sachsen, die das verantwortlich wahrnehmen, und die finde ich zu großen Teilen mit dessen, was sie tun, auch wirklich sehr wichtig für unser Land. Die Landeszentrale hat hier eine andere Funktion übernommen und sie hat auch eine andere Funktion als Auftrag entgegengenommen, nämlich den demokratischen Diskurs zu fördern. Und wie gesagt, wenn ich nicht an diese Grenzen stoße, die ich gerade zu beschreiben versucht habe, werde ich auch daran festhalten. Es gibt jedenfalls auf kurze Sicht keine vernünftige Alternative.
    Müller: Gehen wir noch mal auf meine Ausgangsfrage zurück. Haben Sie in diesem Dialog schon einmal feststellen können, dass Sie überzeugen konnten, dass sich etwas geändert hat, dass jemand gesagt hat, okay, das war ein Fehler?
    Richter: Das lässt sich schlecht messen. Das Gegenteil aber lässt sich auch schlecht messen. Wenn jemand behauptet, dass diese Dialoge von vornherein und prinzipiell unsinnig wären, dann kann ich ihm nicht zustimmen. Ich kann umgekehrt natürlich nicht mathematisch korrekt nachweisen, dass Dialoge einen direkten Erfolg erzielen. Ich kann darauf hinweisen, dass wir am Scheitelpunkt der Pegida-Demonstrationen in Dresden bis zu 25.000 Menschen auf den Straßen hatten. Wenn wir jetzt 5.000 oder 6.000 Demonstranten auf der Straße haben, dann mag das auch nicht gefallen, aber es hat doch einen erheblichen Schwund im Demonstrationsgeschehen gegeben, der damit zusammenhängen könnte - ich bleibe im Konjunktiv, weil ich so genau die Dinge nicht einschätzen kann, wie andere meinen, es einschätzen zu können -, dass viele sich auch von diesem recht unkonstruktiven Demonstrationsgeschehen abgewendet haben und sich eher in den demokratischen Diskurs begeben haben.
    "Das duldet keine Akzeptanz"
    Müller: Diejenigen, die jetzt aktiv sind, diejenigen, die sich jetzt zeigen, wie beispielsweise bei den Ausschreitungen in Heidenau, randalierende, gewalttätige Neonazis, ist das der Kern, der jetzt wieder zum Vorschein kommt? Sind das die besonders harten Gruppierungen, die unvoreingenommen und unüberzeugbar auf Gewalt setzen und das auch durchsetzen möchten?
    Richter: Wenn wir auf das schauen, was jetzt in den vergangenen Tagen leider Gottes in Heidenau geschehen ist, dann sollten wir festhalten, dass hier die NPD maßgeblich federführend war und dass wir einen kleinen harten Kern von gewaltbereiten und offensiv gewalttätigen Personen in Heidenau hatten, die sich in einer Weise verhalten haben, wie es einfach nur noch furchtbar und abschreckend ist. Das duldet keine Akzeptanz. Ich habe den höchsten Respekt vor allen Polizisten, die sich da hingestellt haben und versucht haben, das Ganze irgendwie wieder zu befrieden. Das ist nicht dasselbe wie die vielen Hunderten und auch Tausenden Pegida-Demonstranten, die nach wie vor montags beispielsweise in Dresden unterwegs sind.
    Müller: Und da gibt es auch keine Mischung, Vermischung?
    Richter: Doch, doch! Da gibt es offenbar eine Mischung, die sozusagen in einer bestimmten Personengruppe besteht, die auch natürlich, was die Themen betrifft, auch manches, was hetzerisch gesprochen wird, vorhanden ist. Aber es einfach zu identifizieren, ist meiner Meinung nach auch nicht erlaubt. Differenzierung ist hier wirklich schwierig. Je weiter man sich in der Entfernung befindet, desto schwieriger wird die Differenzierung. Aber ich bilde mir ein, der ich hier ganz nahe dran bin, darauf Wert legen zu dürfen, dass man nach wie vor differenzieren muss.
    Müller: Haben die Politiker zu wenig Gefühl im Umgang mit dieser Situation?
    Richter: Ich spreche aus den Erfahrungen, die wir bei unseren Versammlungen und bei unseren Dialogforen gesammelt haben, und da kann ich Ihnen einige Dinge ziemlich belastbar sagen. Erstens: Es wird meiner Meinung nach zu wenig deutlich und zu wenig kräftig dargelegt, dass es die humanitäre Pflicht der Bundesrepublik ist, Flüchtlinge aufzunehmen. Wir sind ein humanitärer Staat, das entspricht unserem Selbstverständnis.
    Zweitens: Dieses nach wie vor etwas diffuse Gefühl, die Politik könnte Flucht und Asyl nicht ordnen, dieses diffuse Gefühl, das viele Menschen haben, auch sehr seriöse reflektierte Kommentatoren, ist Wasser auf die Mühle von Rechtsextremen. Das heißt, es ist eine Gestaltungsaufgabe, die auf europäischer, nationaler, Landes- und kommunaler Ebene natürlich angegangen werden muss.
    Müller: Aber deswegen könnte es ja sein, dass es trotzdem stimmt.
    Richter: Dass was stimmt, bitte?
    Müller: Dass dieses diffuse Gefühl nicht nur ein diffuses Gefühl ist, sondern Realität ist, dass die Politik Schwierigkeiten hat, mit der ganzen Situation konstruktiv und angemessen umzugehen.
    Richter: Ja, ich kann Ihrer Interpretation in diesem Falle leider nicht widersprechen. Es ist tatsächlich so, aber wir kennen ja auch viele gute Beispiele. Wir erleben ja hier gerade auf kommunalpolitischer Ebene - das ist nun halt mal meine Perspektive hier in Sachsen -, dass es tatsächlich eine Reihe von Bürgermeistern, von Landräten gibt, die machen das zur Chefsache. Die gehen das offensiv an. Die versuchen, die Zivilgesellschaft auch zu gewinnen. Und wenn man sich dieser Mühe unterzieht - ich könnte Ihnen viele positive Beispiele nennen -, dann kann man diese politische Gestaltungsaufgabe auch positiv erfüllen. Das ist nicht unmöglich.
    Müller: Vielen Dank an Frank Richter, Chef der Landeszentrale für Politische Bildung in Sachsen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.