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Krebsforschung
Bakteriengift gegen Zellen

Wenn im Hochsommer grüne Schlieren an der Oberfläche von Badeseen schwimmen, dann stecken dahinter Cyanobakterien, früher auch Blaualgen genannt. Sie produzieren Giftstoffe, potente Toxine, die Zellen töten können. Forscher am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung haben herausgefunden, dass diese Toxine auch Krebszellen angreifen und töten können.

Von Katrin Zöfel | 16.10.2015
    Im Hochsommer sammeln sich besonders viele Cyanobakterien auf der Wasseroberfläche
    Forscher isolieren Zellgifte aus Cyanobakterien, die gezielt Krebszellen töten. (dpa/picture alliance/Stefan Sauer)
    Eine Klimakammer am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung in Tübingen. Der Raum ist angenehm warm und hell erleuchtet. In den Regalen stehen glänzende Metalltabletts, die ständig hin und her bewegt werden. Mit ihnen geschüttelt werden die Glaskolben, die darauf befestigt sind. Timo Niedermeyer nimmt sich einen der Glaskolben und hält ihn ins Licht.
    "Also hier in diesem Erlenmeyerkolben sehen wir jetzt eine Flüssigkeit, die ist sehr stark grün gefärbt. Das liegt daran, dass in dieser Flüssigkeit Cyanobakterien schwimmen."
    Hochpotente, bioaktive Wirkstoffe
    Cyanobakterien betreiben wie Pflanzen Fotosynthese. Sie brauchen zum Leben also nichts außer Wasser, Licht, einigen Mineralien und Kohlendioxid. Timo Niedermeyer kultiviert viele verschiedene Stämme. Der Grund: Einige von ihnen bilden hochpotente, bioaktive Wirkstoffe.
    "Was uns jetzt interessiert in dem Projekt sind Substanzen, die eine gewisse Selektivität für Krebsgewebe haben können."
    Bestimmte Wirkstoffe, die Microcystine, sind für Säugetiere nur deshalb giftig, weil sie von Leberzellen aufgenommen werden, und biochemisch so stabil sind, dass die Leberzellen sie nicht unschädlich machen können, sondern an ihnen sterben. Die Folge: Leberversagen. Keine andere Körperzelle nimmt diese Toxine auf. Die einzige bekannte Ausnahme sind Krebszellen, genauer gesagt einige Typen von Darm- und Brustkrebszellen. Auch sie haben in ihren Zellmembranen die Transporter, die das Toxin in die Zelle schleusen.
    "Warum die Krebsgewebe diesen Transporter bilden, weiß niemand so genau, aber es ist so."
    Krebszellen sterben an Toxinen
    Die Konsequenz: Auch die Krebszellen sterben an diesen Toxinen. Timo Niedermeyer versucht jetzt gezielt auszunutzen, dass es zwei Typen dieser Toxintransporter gibt. Einer der beiden findet sich fast nur auf Krebszellen und kaum auf Leberzellen. Wenn der Forscher in einem der Cyanobakterienstämme eine Toxinvariante finden würde, die nur von diesem Transporter aufgenommen wird, ließen sich damit Krebszellen gezielt attackieren – und zwar ohne dass die Leber stark Schaden nimmt.
    "Wir haben in Vorversuchen bereits 25 Microcystine isoliert aus Cyanobakterien und gescreent und von diesen 25 Verbindungen waren tatsächlich drei dabei, wo wir eine Selektivität bis zu einem Faktor von 30 gegen diesen Krebszelltransporter gesehen haben."
    Das heißt, die drei gefundenen Wirkstoffe werden 30mal stärker von Krebszellen aufgenommen als von Zellen der Leber. Doch damit, sagt Niedermeyer ist nur der erste Schritt getan. Eine Selektivität mit Faktor 30 reicht nicht, um die Leber zu schützen. Der Wirkstoff muss treffsicherer werden.
    "Die Natur, die liefert uns Ideen – Leitstrukturen – auf denen wir dann aufbauend Wirkstoffe entwickeln können."
    Drei Stockwerke tiefer.
    "So jetzt sind wir aber auch da."
    Massenspektrometer liefert alle Informationen
    Und zwar in der Abteilung für Massenspektrometrie des Instituts für Chemie. Der Raum ist erfüllt vom Brummen der großen Anlagen. Timo Niedermeyer nimmt eine handtellergroße, glänzende Metallplatte in die Hand.
    "Hier auf diese Platte werden dann die Cyanobakterien-Biomassen aufgetragen, das Ganze lässt man dann trocknen. Und diese Platte wird jetzt ins Gerät reingelegt, und fährt in das Gerät rein. Da wird ein Vakuum aufgebaut, sodass die Messung stattfinden kann."
    Das Massenspektrometer liefert dem Forscher alle Informationen, die er braucht, um die Molekülstruktur der Mikrocystine aufzuklären, die besonders spannende Ergebnisse geliefert haben. Diese Molekülstruktur ist dann die Grundlage für alles Weitere.
    Dem Forscher schwebt vor, nach dem natürlichen Vorbild synthetische Wirkstoffe zu konstruieren, die nicht nur stärker von Krebs- als von Leberzellen aufgenommen werden, sondern die, wenn sie doch in die Leber gelangen, dort abgebaut und unschädlich gemacht werden können. Das Ergebnis wäre ein Krebsmedikament, das dem Körper der Patienten deutlich weniger schadet als bisherige Therapien.