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Krebstherapie
Kranke Zellen sichtbar machen

Etwa 500.000 Menschen erkranken in Deutschland jedes Jahr an Krebs. Während der Operation zu erkennen, wo der Tumor aufhört und gesundes Gewebe anfängt, ist oft schwer. Doch Ärzte können die Krebszellen färben und so besser sichtbar machen. In den Niederlanden wird die "intraoperative Bildgebung" bereits getestet.

Von Anneke Meyer | 09.07.2015
    Die Vorbereitung sowie die Anästhesie in einem OP.
    Mit fluoreszenten Farbstoffen Krebszellen "anmalen" - das erproben niederländische Ärzte. (picture-alliance / dpa / Klaus Rose)
    "Es ist eng im Operationssaal. Geräte zur Überwachung der Narkose, Bestecktisch und Computer lassen Ärzten und Assistenten gerade genug Platz, um sich zu bewegen. Katja Gaarenstroom steht von Kopf bis Fuß steril verpackt hinter dem OP-Tisch. Ihre Patientin hat bereits drei Runden Chemotherapie hinter sich. Heute soll der Rest des Eierstockkrebs operativ entfernt werden.
    "Das hier ist ein normaler Eierstock: weiß und ganz klein." Eierstockkrebs ist mit rund achttausend Neuerkrankungen pro Jahr viel seltener als Brustkrebs. Die Heilungschancen sind allerdings viel schlechter. Nur etwa vierzig Prozent der Patientinnen können die Krankheit besiegen. Ausschlaggebend dafür ist, ob es gelingt, den Krebs durch eine Operation vollständig zu entfernen.
    "Das hier ist ein Tumor: Der Eierstock ist angeschwollen und diese Oberfläche sieht nicht normal aus." Die Gynäkologin zeigt auf eine dicke, knotige Schlinge. Das Gewebe ist oberflächlich blau-schwarz und darunter knall-rot. Eine Mischung aus Krebs, der von der Chemo abgetötet wurde und entzündetem Gewebe.
    Mit fluoreszenten Farbstoffen Krebszellen anmalen
    Der Haupttumor ist normalerweise gut zu sehen. Schwieriger ist es, kleinere Metastasen zu entdecken. Manchmal lassen sie sich durch Rötungen und Schwellungen erkennen. Allerdings ist auch gesundes Gewebe, das nur gereizt ist, gerötet. Noch problematischer sind Geschwüre, die fast mikroskopisch klein sind. Sie bleiben vom Chirurgen so gut wie immer unentdeckt.
    "Die Operationstechnik hat sich eigentlich seit zwanzig Jahren nicht verändert. Wir müssen uns auf unsere Hände und das bloße Auge verlassen. Dass dabei oft etwas übersehen wird, wissen wir. Deshalb brauchen wir neue Methoden. Wir brauchen Hilfsmittel, die uns Hinweise geben, was wirklich Tumorgewebe ist, damit wir besser planen können, was entfernt werden muss."
    Alexander Vahrmeijer und sein Team am Medizinischen Zentrum der Uni Leiden in den Niederlanden arbeiten daran, ein solches Hilfsmittel zu entwickeln. Mit fluoreszenten Farbstoffen wollen sie die Krebszellen quasi anmalen und damit während der OP deutlicher sichtbar machen. Damit das funktioniert, ist es wichtig, dass wirklich nur Tumorgewebe die fluoreszenten Moleküle bindet.
    Geeignete Marker für andere Krebsarten entwickeln
    "Man muss für jeden Krebstyp ein eigenes Färbemittel entwickeln. Bei Eierstockkrebs benutzen wir als Marker-Protein den "Folat-Rezeptor". In 95 Prozent der Patientinnen mit Eierstockkrebs - aber nicht bei anderen Krebsarten - wird dieser Rezeptor in riesigen Mengen gebildet. Durch die Markierung ist es uns gelungen, in fast allen Patienten das Krebsgewebe zu identifizieren."
    Kollegen in Leiden und den USA arbeiten bereits daran, geeignete Marker für andere Krebsarten zu finden. Der Farbstoff für Eierstockkrebs ist schon in der klinischen Erprobung. Zwei Stunden vor Beginn der OP ist der Patientin der fluoreszente Marker injiziert worden. Während des Eingriffs beobachtet Katja Gaarenstroom das Gewebe nicht nur mit bloßem Auge, sondern auch durch eine Kamera die Fluoreszenz sichtbar macht.
    "Immer wieder diskutiert das Operationsteam, ob eine gerötete Stelle auch im Licht der Fluoreszenz verdächtig erscheint. Charlotte Hoogstins hält dabei die Augen besonders offen. Sie ist für die Auswertung der Daten zuständig. Und dann entdecken sie plötzlich einen leuchtenden Punkt, der mit bloßem Auge ganz unauffällig scheint.
    Gewebeproben als Bestätigung
    "Das hier ist sehr klein und durch die Fluoreszenz sieht man es wirklich gut, aber in der normalen Aufsicht hätten wir es übersehen. Das ist gut! Deswegen machen wir das alles." Etwa eine von drei Metasthasen entdecken die Forscher nur anhand der Fluoreszenz. Dass es sich bei den leuchtenden Zellen auch wirklich um Krebs handelt, wird durch Gewebeproben bestätigt. Bisher ist es den Ärzten damit gelungen, knapp dreißig Prozent mehr Krebsherde zu entfernen als allein durch sehen und fühlen möglich gewesen wäre.
    "Letztendlich zählt aber, dass die Überlebensrate durch den Einsatz der Farbstoffe tatsächlich steigt."
    Ob das der Fall ist, muss die Zeit zeigen. Alexander Vahrmeijer ist auf jeden Fall zuversichtlich, dass die Methode auf lange Sicht zur Routine wird. Bevor es soweit ist, sind noch einige praktische Hürden zu nehmen. Vor allem aber braucht es finanzstarke Partner aus der Industrie.
    "Das größte Hindernis im Moment ist, dass man nur eine Injektion pro Patient braucht. Das ist der Grund, warum keiner der großen Pharmakonzerne einsteigt. Der Absatzmarkt ist einfach zu klein." Darauf, dass sich ein Eingriff mit fluoreszenter Sichthilfe auch für die Pharmaindustrie lohnt, muss Katja Gaarenstrooms Patientin nicht mehr warten. Ihre Operation ist erfolgreich beendet. "Wir haben den Tumor komplett entfernt und das verspricht die beste Prognose."