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Kreditkarten in der Rasterfahndung

Um Händler und Käufer von Kinderpornographie zu entlarven, wurden erstmals auf breiter Basis Transaktionen sämtlicher deutscher Kreditkartenbesitzer unter die Lupe genommen. Die Jagd nach Verbrechern alarmiert indes auch Datenschützer.

Manfred Kloiber im Gespräch mit Peter Welchering | 13.01.2007
    Manfred Kloiber: Wenn Sie im Sommer letzten Jahres im Internet zum Beispiel einen iPod - für 79,99 Dollar gekauft und per Kreditkarte bezahlt haben, dann sind Sie unter Umständen auf einer Trefferliste der Verdächtigen in Sachen Kinderpornographie gelandet. Denn insgesamt sind bei den jüngsten Ermittlungen gegen deutsche Käufer von Kinderpornos die Daten von 22 Millionen Kreditkarten durchsucht worden. Diese Kreditkarten-Überprüfung im Auftrag des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalt wird zurzeit sehr kontrovers diskutiert. Wie ist diese Kreditkarten-Überprüfung denn konkret abgelaufen, Peter Welchering?

    Peter Welchering: Nach den Informationen, die hier vor allen Dingen von den so genannten Kreditkarten-Servicegesellschaften vorliegen, hat es eine zweistufige Überprüfung gegeben. Zunächst sind die Zahlungsvorgänge von 22 Millionen Kreditkarten über einen Zeitraum von mehreren Monaten nach dem Zahlungsbetrag 79,99 US-Dollar durchsucht worden. Alle Kreditkarten, die einen solchen Zahlungsvorgang aufgewiesen haben, sind dann noch einmal daraufhin analysiert worden, wohin diese 79,99 US-Dollar gegangen sind. Gingen diese 79,99 US-Dollar an eine Kreditkarten-Abrechnungsgesellschaft auf den Philippinen, dann landeten die persönlichen Daten der Kreditkarten-Inhaber auf einer Trefferliste und gingen über das Landeskriminalamt an die Staatsanwaltschaft.

    Kloiber: Und wie kommt jemand, der einen iPod für 79,99 US-Dollar gekauft hat, auf diese Liste ?

    Welchering: Zum einen über den Kaufpreis. Die erste Trefferliste ist ja rein über den Zahlungsbetrag von 79,99 US-Dollar erstellt worden. Und jetzt ist die spannende Frage: Was ist eigentlich mit dieser Trefferliste passiert? Ich habe einmal bei den Karten-Servicegesellschaften First Data und TSYS nachgefragt. Die haben einfach die Auskunft verweigert. Auf meine Frage, ob es ausgeschlossen sei, dass die so genannte Posten-Trefferliste - also alle, die im fraglichen Zeitraum 79,99 US-Dollar per Kreditkarte bezahlt haben, an das LKA gegangen ist, habe ich keine eindeutige Antwort bekommen. Ob diese erste Trefferliste gelöscht wurde oder immer noch existiert – kein Kommentar der Servicegesellschaften. Und was die Servicegesellschaften mit den so gewonnenen Daten machen, wollten sie mir auch nicht sagen. Stehen Kreditkartenbesitzer, die im Sommer 2006 79,99 US-Dollar per Kreditkarte bezahlt haben, nun unter Sonderüberwachung ihrer Karten-Servicegesellschaft? Keine Antwort dieser Kreditkartenfirmen.

    Kloiber: Aber es wurde doch auch nach dem Zahlungsempfänger gesucht.

    Welchering: Im zweiten Schritt wurde recherchiert, ob die 79,99 US-Dollar an jemanden gezahlt wurden, der seine Zahlungen von einer Abrechnungsgesellschaft auf den Philippinen abwickeln lässt. Und das machen aber nicht nur Kriminelle, die mit Kinderpornografie handeln, sondern auch ganz honorige Hardwarehändler oder Softwarefirmen. Im vergangenen Jahr haben zum Beispiel zwei Discounter über das Internet iPods angeboten, die 79,99 US-Dollar gekostet haben und zufällig sind die Transaktionen über den Kauf dieser iPods auch über eine philippinische Abrechnungsgesellschaft gegangen. Einige Edelsteinhändler und Schmuckverkäufer haben sogar über diese Abrechnungsgesellschaft transferiert. Das ist ja das Problem dieser Rasterfahndung: Es kann nach Zieladresse, sprich Kartenabrechnungsgesellschaft gesucht werden. Es kann nach einem Zahlungsbetrag gesucht werden. In diesem Fall 79,99 US-Dollar, weil die Ermittler wussten, das für diese 79,99 US-Dollar ein zweiwöchiger Zugang zu einem Internet-Portal mit fürchterlichen schmutzigen Kinderpornos angeboten wurde. Und ging der Betrag dann noch an eine philippinische Abrechnungsgesellschaft, dann, so die Ermittlungsbehörden, sei eine hohe Wahrscheinlichkeit gegeben, dass der Karteninhaber auch Kunde des Kinderporno-Portals gewesen sei. Diese Wahrscheinlichkeit ist tatsächlich gegeben, aber eben nur eine Wahrscheinlichkeit. Und das Problem ist dann: Was passiert, wenn jemand für 79,99 US-Dollar zum Beispiel einen iPod oder Edelstein gekauft hat und der Kaufbetrag wurde über eine philippinische Abrechnungsgesellschaft bezahlt. Der steht dann auf dieser Trefferliste "Kinderpornografie". Die ist zunächst an das Landeskriminalamt gegangen. Das ist in Ordnung. Die haben ermittelt, und so einen Verdacht eben bestätigt oder auch ausgeräumt. Das ist ja auch Aufgabe der Kriminalisten, entlastendes Beweismaterial ebenso zu erheben. Diese Trefferliste liegt aber auch bei der Kreditkarten-Abrechnungsgesellschaft. Und was machen die nun damit? Das wissen wir eben nicht.

    Kloiber: Was sagen denn die Kreditkartengesellschaften wie Visa oder Mastercard dazu?

    Welchering: Gar nichts. Die waren damit ja gar nicht befasst. Die verweisen auf die Karten-Servicegesellschaften wie First Data oder TSYS. Und diese Servicegesellschaften mauern und wollen nicht sagen, was sie mit den Trefferlisten machen. Werden die aufgehoben? Werden die Kreditkarteninhaber, die auf so einer Trefferliste stehen, besonders überwacht? Das ist alles völlig unklar.

    Kloiber: Gegen die Herausgabe der Daten an die Staatsanwaltschaft sind Klagen eingereicht worden. Unter anderem wird bemängelt, dass keine richterliche Anordnung für die Durchsuchung vorlag. Welche Konsequenzen kann das haben?

    Welchering: Die Gerichte müssen nun überprüfen, ob die Kreditkarten-Informationen an die Staatsanwaltschaften weiter gegeben werden durften, auch ohne richterliche Anordnung. Käme im Falle der 322 Beschuldigten das Gericht zu dem Urteil, hier wäre eine richterliche Anordnung notwendig gewesen, gilt das Beweismittel als unrechtmäßig erworben und darf nicht verwendet werden. In dem Fall hätte sich auch die Staatsanwaltschaft beim Kampf gegen Kinderpornografie im Internet keinen Gefallen getan. Aber dieser Fall zeigt ja eine gängige Praxis auf: Karten-Servicegesellschaften geben in vielen Fällen Kreditkarteninformationen an Behörden weiter, wenn die nachfragen - ohne richterliche Anordnung. Das hat mir ein Mitarbeiter einer solchen Servicegesellschaft noch einmal ausdrücklich bestätigt. Und das fällt den Servicegesellschaften deshalb sehr leicht, weil sie keine direkte Kundenbeziehung zum Kreditkatenbesitzer haben. Die Servicegesellschaften sind von den Kreditkartengesellschaften wie Mastercard, Visa, American Express und wie sie alle heißen, mit der Abrechnung und Verwaltung der Karten beauftragt. Die Weitergabe von Kreditkarteninformationen ist in diesen Verträgen nur unzureichend geregelt.