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Kreditklemme im Meer

Umwelt. - Die Ozeane schlucken und speichern einen großen Teil des von Menschen in die Luft geblasenen Kohlendioxid. Dieser Kredit, den die Natur uns gibt, droht jedoch an sein Limit zu geraten. Daher wollen 14 deutsche Forschungsinstitutionen mit dem Projekt Bio-Acid in den kommenden drei Jahren die Folgen des CO2-Eintrags für die Weltmeere erforschen.

Von Tomma Schröder | 29.10.2009
    Polar- und Tropenregionen mit ihren empfindlichen Korallenriffen sind meist im Gespräch, wenn es um steigende CO2-Konzentrationen in den Ozeanen geht. Doch das gerade gestartete Großforschungsprojekt Bio-Acid, das sich mit den biologischen Auswirkungen der Ozean-Versauerung beschäftigt, wird auch die Entwicklungen in Nord- und Ostsee genau beobachten. Denn gerade die Ostsee ist eine Art Experimentierbecken für die Forscher, weil sich der pH-Wert in dem Binnenmeer innerhalb einer Saison um mehrere Zehntel verändert, erklärt der Projektleiter von Bio-Acid, Ulf Riebesell.

    "Das ist ein Betrag, den wir eigentlich für die nächsten 100 Jahre prognostizieren. Das spricht auch dafür, dass wir hier vor der Haustür ein sehr gutes Untersuchungsgebiet haben. Wir können die Prozesse, die wir langfristig im globalen Ozean vorhersagen möchten, hier vor der Haustür mit den natürlichen Veränderungen schon sehr gut studieren."

    Und studiert haben die Wissenschaftler bereits. Zum Beispiel die Ei- und Larvenentwicklung bei Heringen und Dorschen in der Ostsee. Während ausgewachsene Fische einen Anstieg der CO2-Konzentration im Wasser über ihre Kiemen ausgleichen können, war bei Larven bisher unklar, wie sie mit dem zunehmenden Säure-Gehalt klar kommen. Nun weiß man: Ihre Entwicklung verläuft völlig normal. Doch das könnte auch daran liegen, dass sich die Fische durch die extremen CO2-Schwankungen in der Ostsee bereits angepasst haben, meint Ulf Riebesell. Ein Prozess, der in Bio-Acid genauer untersucht werden soll.

    "Alle Organismen-Gruppen sind, wenn sie im Labor getestet worden sind, in Kurzzeit-Experimenten getestet worden. Das sind einige Wochen, vielleicht einige Monate, höchstens mal ein Jahr. Für die meisten Organismen-Gruppen sind das Zeiträume, in denen eine Anpassung noch nicht möglich ist. Das heißt, in der Realität haben sie, sagen wir mal, 100 Jahre Zeit. Die Frage ist: Reichen 100 Jahre?"

    Um das herauszufinden, ohne vor den Versuchs-Aquarien graue Bärte zu bekommen, wenden die Wissenschaftler einen Trick an: Sie wollen das Szenario einer stetig ansteigenden CO2-Konzentration mit Mikroorganismen durchspielen. Denn die haben eine sehr kurze Generationszeit, so dass die Forscher in zwei bis drei Jahren, 100 bis 1000 Generationen beobachten können. Eine Art Zeitraffer also. Denn Zeit sei ein knappes Gut, wenn es um Erkenntnisse über die Auswirkung der Versauerung geht, meint der Meeresbiologe. Riebesell:

    "Tatsächlich finden wir aber, dass sich die Nordsee über den Zeitraum der letzten 20, 30 Jahre schon deutlich stärker versauert hat, als wir das für die gesamten letzten 100 Jahre vorhergesagt hätten."

    Und selbst wenn viele Organismen nun so anpassungsfähig sind wie Dorsche und Heringe in der Ost- oder auch der Tintenfisch in der Nordsee, klar ist: Irgendwann ist ein Schwellenwert erreicht, ab dem für die Nahrungskette wichtige Organismen absterben und das gesamte Ökosystem geschädigt wird. Bisher geht man davon aus, dass dieser Wert bei unvermindertem CO2-Eintrag in 20 bis 25 Jahren erreicht ist. Doch es gibt noch viele Unbekannte. So zeigen neuere Modelle, dass durch die Versauerung auch der CO2-Transport in tiefere Ozean-Schichten gestört werden könnte. Der aber ist wichtig, weil er CO2 für mehrere Hundert Jahre aus der Atmosphäre fernhält. Der Ozean gewährt damit so eine Art Kredit. Sollte die Versauerung jedoch weiter voranschreiten, wäre dieser Kredit irgendwann verspielt.