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Kretschmer (CDU) zu Koalitionsverhandlungen
"Über Härtefälle wird man im Detail immer sprechen können"

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer begrüßt, dass es zu Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD kommt. Im Dlf sagte er, die Sondierungsergebnisse dürften "jetzt nur nicht verwässert werden". Zu Nachbesserungsforderungen der SPD etwa beim Familiennachzug sagte Kretschmer, über Härtefälle könne man im Detail immer sprechen.

Michael Kretschmer im Gespräch mit Silvia Engels | 22.01.2018
    Der Generalsekretär der CDU in Sachsen, Michael Kretschmer.
    Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) (imago / IPON)
    Silvia Engels: Am Telefon ist nun Michael Kretschmer (CDU). Er ist der Ministerpräsident von Sachsen. Guten Morgen, Herr Kretschmer.
    Michael Kretschmer: Guten Morgen.
    Engels: Die SPD hat zugestimmt. Sind Sie begeistert?
    Kretschmer: Na ja. Ich glaube, es sind viele Menschen in Deutschland und auch international froh, dass es jetzt weitergeht, weil die Alternative wäre ja eine große Unsicherheit in Deutschland. Deswegen bin ich froh, dass wir jetzt Gespräche führen können über eine vernünftige Regierung, dass wir das, was Deutschland immer ausgezeichnet hat, nämlich Stabilität auch in den politischen Institutionen, dass wir das hoffentlich bald wieder erreichen.
    Engels: Sie selbst gehörten ja zu denjenigen, die nach dem schlechten Wahlergebnis für die Union bei der Bundestagswahl auch Politikveränderung bei der CDU angemahnt hatten. Geht das mit dieser SPD?
    Sondierungen: "Ergebnisse, hinter die man sich stellen kann"
    Kretschmer: Na ja. Die Sondierungsergebnisse gehen in die richtige Richtung. Beim Thema Migration kommen wir zu einer vernünftigen Ordnung, Steuerung und auch Begrenzung. Wir haben im Bereich der Wirtschaftspolitik viele Dinge, die uns helfen, gerade im Bereich der Energiepolitik. Das sind schon Ergebnisse, hinter die man sich stellen kann. Sie dürfen jetzt nur nicht verwässert werden.
    Engels: Vernünftige Steuerung bei der Flüchtlingspolitik, sagen Sie. Wenn man Parteichef Martin Schulz von der SPD so zuhört, klingt das etwas anders.
    O-Ton Martin Schulz: "Es gibt keine Obergrenze bei Flüchtlingen. Auf keinen Fall mit der Sozialdemokratischen Partei."
    Engels: Das war noch mal Martin Schulz, den wir kurz einspielten. – Obergrenze ja oder nein?
    Kretschmer: Nun ja. Es ist ein klares Verständnis dafür, dass wir diese Situation von 2015 nicht noch einmal zulassen dürfen. Wir haben uns darauf verständigt, dass der Familiennachzug ausgesetzt bleibt für die subsidiär Schutzbedürftigen. Das ist richtig, denn wir wollen ja keinen Anlass liefern, dass Menschen nach Deutschland kommen, die im Grunde genommen zügig wieder unser Land verlassen müssen, wo jetzt nur noch bürokratische Hemmnisse oder einzelne Details zu klären sind. Deswegen geht das schon in die richtige Richtung. Und wenn es jetzt Konkretisierungen gibt, dann müssen sie genau in diese Richtung auch vorgenommen werden, dass den Behörden die Arbeit erleichtert wird, dass wir Integration durchsetzen, aber dass wir vor allen Dingen auch dafür sorgen, dass diejenigen, die nicht in Deutschland bleiben können, wirklich zügig in ihre Heimatländer zurückkehren.
    Engels: Aber die SPD hat klargemacht, sie will zusätzlich zu dem, was bis jetzt im Sondierungspapier steht, auch eine Härtefallregelung für den Familiennachzug für Flüchtlinge.
    Kretschmer: Man kann über alles reden. Wenn man an einem Tisch sitzt und verhandelt, dann geht das auch gar nicht anders. Aber wichtig ist die Richtung und die Richtung haben wir vorgegeben. Dieses Sondierungspapier, 28 Seiten, ist die Grundlage für Koalitionsverhandlungen und es trägt ganz klar den Geist der Begrenzung und Steuerung. Über Härtefälle wird man im Detail immer sprechen können, aber zunächst einmal muss alles auf den Tisch und muss die Richtung nach wie vor stimmen.
    "Der Grundsatz ist, 1.000 können pro Monat kommen"
    Engels: Bleiben wir bei diesem Thema noch mal sehr konkret, denn das scheint ja auch ein durchaus großer Konflikt zu werden. Bislang steht im Sondierungspapier, dass beim Familiennachzug möglicherweise bis zu 1.000 Menschen pro Monat zusätzlich nachkommen können. Wenn man aber eine Härtefallregelung zugrunde legt, dann können das mal mehr und mal weniger sein. Ziehen Sie da mit?
    Kretschmer: Der Grundsatz ist, 1.000 können pro Monat kommen. Dafür fällt aber die freiwillige Übernahme von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland weg, so dass das jetzt nicht oben noch draufkommt. Im Kern geht es uns darum: Wir sehen, wie Deutschland solidarisch gewesen ist, wie die Menschen sich auch wirklich solidarisch verhalten haben. Wir sehen aber auch, wie sehr dieses Land in Unruhe ist, und das ist ja auch verständlich. Wir müssen dafür sorgen, dass die Hilfe für diejenigen, die wirklich in Not sind, die verfolgt werden, in den Regionen ansetzt, aus denen sie kommen. Es kann nicht richtig sein, dass wir diese Unterstützung in Europa, in der Bundesrepublik Deutschland zum großen Teil leisten. Da sehen wir auch, dass das nicht machbar ist. Deswegen muss diese Richtung, muss dieser Grundsatz weiterhin gelten. Ich bin mir da sehr sicher, dass wir das auch durchsetzen können, denn der große Teil der SPD-Wähler hat das bei der Bundestagswahl genauso gesehen. Wenn man sich das Wahlergebnis im Ruhrgebiet anschaut, dann trägt das genau diese Sprache und diese Unzufriedenheit in dieser Frage mit der Position der SPD vor der Bundestagswahl.
    Engels: Ich habe immer noch nicht genau verstanden, ob Sie sich jetzt diese Härtefallregelung, die die SPD verlangt, vorstellen können oder nicht.
    Kretschmer: Ich finde, man geht in Verhandlungen und sagt nicht, was man alles nicht tut und worüber man nicht redet. Es kommt alles auf den Tisch. Natürlich werden wir, wenn der Koalitionspartner, der zukünftige, das möchte, auch über dieses Thema reden. Im Detail bin ich auch bereit. Härtefall heißt ja wirklich in einem ganz engen begrenzten Maße für diejenigen, die in allergrößter Not sind, Fälle, wo man sich vorstellen kann, dass jemand schwer erkrankt ist oder ähnliche Sachen. Das sind ja alles Dinge, über die man sprechen kann. Das Zentrale ist doch, dass wir den Menschen in Deutschland gegenübertreten können und sagen, wir haben aus 2015 gelernt. Wir wollen im Bereich der Migration, der Flüchtlingspolitik eine gesellschaftliche Befriedung. Dafür haben wir die richtigen Instrumente und die werden jetzt auch angewandt.
    Engels: Sind Sie auch deshalb hier an dieser Stelle noch gesprächsbereit, weil die Union auf den anstehenden SPD-Basisentscheid Rücksicht nehmen muss?
    Kretschmer: Ich bin deswegen gesprächsbereit, weil ich mir sehr sicher bin, dass die CDU hier einen klaren Standpunkt hat, dass wir wissen, wo wir hin wollen, was wir zulassen und was nicht. Weil ich möchte, dass dieses Land eine Regierung bekommt, und dass das eine Zeit der Unsicherheit jetzt war, dass sie aber noch viel größer wird und es nicht von Vorteil für Deutschland und für die Menschen in unserem Land ist, wenn wir jetzt in eine Minderheitsregierung kommen, wenn wir Neuwahlen bekommen. Ich glaube, das wäre der schlechtere Weg, und deswegen möchte ich, dass die nächsten 14 Tage mit Ruhe ablaufen können, dass wir konsequent verhandeln. Und noch einmal: Die CDU hat gezeigt in diesen letzten Wochen, dass sie einen klaren Kurs hat, und den werden wir jetzt auch nicht verlassen.
    "Wir sind mit der CSU sehr eng zusammen"
    Engels: Wie überzeugen Sie die CSU davon, denn die hat ja schon angekündigt, dass sie beim Thema Flüchtlingsnachzug nichts mehr verändern will.
    Kretschmer: Wir sind da mit der CSU sehr eng zusammen und wir werden in den großen Dingen in der Tat, in der Frage der Migration und Flüchtlinge, nichts mehr ändern. Aber das war jetzt auch nicht die Frage, sondern es ging um Härtefälle, es ging um Details, und darüber wird natürlich gesprochen.
    Engels: Zwei andere Themen will die SPD auch noch mal angehen: Eine größere Gleichheit bei der Behandlung von Kassen- und Privatpatienten. Geht das auch durch?
    Kretschmer: Insgesamt trägt auch dieser Parteitag jetzt am Wochenende den Geist des Verteilens und des jetzt und hier. Wir haben kaum Diskussionsbeiträge erlebt, die in die Zukunft gehen, die sich damit auseinandersetzen, dass wir eine Internationalisierung, eine Digitalisierung haben, dass die Arbeitswelt sich verändert und dass man darauf auch stärker Bezug nehmen muss. Die SPD ist in einer schwierigen Situation. Umso mehr kommt es auf die Union an, damit wir auch Entscheidungen treffen, die in die Zukunft gehen, auch Investitionen für die Zukunft vornehmen. Da kommt es sehr auf CDU und CSU an.
    Engels: Da höre ich auch kein Nein, was dieses Kapitel angeht. Wie steht es dann um die dritte Forderung, befristete Arbeitsverträge nur noch in selteneren Fällen als jetzt?
    Kretschmer: Ja, da sehe ich Frankreich als das Land, was die schwierigste Situation auf dem Arbeitsmarkt hat, was eine riesige Jugendarbeitslosigkeit hat. Und zwar deswegen, weil man über Jahre und Jahrzehnte diesen Arbeitsmarkt verkrustet hat, beispielsweise durch solche Instrumente, dass keine Befristung möglich ist. Und ich kann nur warnen und wüsste auch nicht, warum wir so einen Weg in Deutschland einschlagen sollten.
    Engels: Ist das ein kategorisches Nein zu der SPD-Forderung?
    Kretschmer: Noch einmal: Wir sind in Gesprächen. Und wenn man in Gespräche geht, muss man über die Themen sprechen, die der andere auf den Tisch legt. Deswegen wird auch darüber gesprochen. Aber noch einmal: Wir müssen eine Politik machen, die in die Zukunft führt. Und dieses Thema führt nicht in die Zukunft, sondern würde großen Schaden organisieren, wie auch eine Aufweichung der Migrationspolitik, der Kompromisse, die vorgenommen werden, auch ein zusätzliches Verteilen im Gesundheitssystem. Das sind alles Punkte, die aus der Vergangenheit herrühren, die in anderen Ländern gerade korrigiert werden. Das ist der SPD zum großen Teil entgangen und deswegen kommt es darauf an, dass wir diesen klaren Blick behalten.
    "Angela Merkel hat Land durch viele schwierige Situationen geführt"
    Engels: CSU und SPD profilieren sich derzeit sehr stark mit eigenen Themensetzungen. Die CDU, so beurteilen es viele Beobachter, bleibt hier blass. Wie gut steuert eigentlich Bundeskanzlerin Merkel Ihrer Meinung nach diesen Regierungsbildungsprozess?
    Kretschmer: Ich würde mal sagen, wir sind aus diesen Sondierungsgesprächen herausgegangen als der Partner, der am ruhigsten und sachlichsten diese Gespräche geführt hat. Ich sehe, dass das große Zustimmung gefunden hat. Ich habe auch gesehen, dass gewürdigt wurde, wie die Union gerade im Bereich der Energiepolitik Veränderungen vorgenommen hat, die richtig sind. Die Energiepolitik ist die Achillesferse einer Wirtschaft. Wir brauchen vernünftige Preise für Verbraucher, aber auch für die Unternehmen. Wir haben durchgesetzt, dass es keine Steuererhöhung gibt. Im Gegenteil! Am Ende dieser Legislaturperiode wird der Solidaritätszuschlag für 90 Prozent aller Deutschen weggefallen sein. Das sind richtige Entscheidungen und die sind auch gewürdigt worden, und ich würde der Union raten und werde mich daran auch beteiligen, diesen Weg einfach weiterzugehen.
    Engels: Angela Merkel macht alles richtig?
    Kretschmer: Sie ist die Bundeskanzlerin. Sie hat dieses Land durch viele schwierige Situationen geführt. Sie hat auch in dieser Phase, die wir in Deutschland ja noch nie erlebt haben, dass demokratische Parteien, die gewählt wurden, die über Jahrzehnte Verantwortung übernommen haben, jetzt sich einfach wegducken, sich beiseite stellen, nicht mitwirken wollen, auch ein Stück weit destruktiv arbeiten, die Nerven behalten. Und darüber kann man froh sein.
    Engels: Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen. Vielen Dank für das Gespräch.
    Kretschmer: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.