Donnerstag, 18. April 2024

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Kreuzer (CSU) zu Flüchtlingszahlen
"Im Normalfall sind die 200.000 einzuhalten"

CDU und CSU haben sich auf einen Kompromiss in der Migrationspolitik geeinigt. Der Begriff Obergrenze taucht nicht mehr auf. "Wir streiten ja nicht um Worte", sagte CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer im Dlf. Die Forderung der CSU sei immer gewesen, sich auf eine Zahl von 200.000 Flüchtlingen im Jahr zu begrenzen. Nun habe man sich auf dieses Ziel verständigt.

Thomas Kreuzer im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 09.10.2017
    Thomas Kreuzer auf einer CSU-Verstanstaltung
    Zufrieden mit dem Kompromiss zu Flüchtlingszahlen: Thomas Kreuzer. Es sei wichtig gewesen, sich auf eine Zahl von maximal 200.000 Menschen pro Jahr zu verständigen. (imago / Lukas Barth)
    Jörg Münchenberg: Stundenlang wurde gerungen. Dann am späten Sonntagabend stieg aus dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin doch noch weißer Rauch auf. CDU und CSU haben sich auf einen Kompromiss auch bei der Obergrenze für Flüchtlinge verständigen können. Zugehört hat der CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Thomas Kreuzer. Einen schönen guten Morgen.
    Thomas Kreuzer: Guten Morgen.
    Münchenberg: Herr Kreuzer, Sie waren ja gestern dabei. Wie mühsam war das? Wie haben Sie diese Verhandlungen erlebt?
    Kreuzer: Es waren gute Gespräche. Wir haben die Situation zunächst analysiert und haben uns dann auf ein Regelwerk zur Migration geeinigt, mit dem wir erreichen wollen, dass die Zahl der nach Deutschland und Europa flüchtenden Menschen nachhaltig und auf Dauer reduziert wird.
    Die Schweizer als Vorbild
    Münchenberg: Trotzdem: Das Stichwort Obergrenze taucht jetzt in dem Kompromiss nicht auf.
    Kreuzer: Wir streiten ja nicht um Worte, sondern unsere Forderung war immer, wir können nur so viele Menschen ins Land lassen, wie wir dann auch, wenn sie da bleiben, integrieren können, und haben immer von der Zahl 200.000 gesprochen. Auf die haben wir uns jetzt gemeinsam festgelegt, dass wir dieses Ziel erreichen wollen, haben aber gleichzeitig viele Maßnahmen gemeinsam beschlossen, wie etwa die Fluchtursachenbekämpfung, die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern.
    Und wir werden auch in Deutschland anders vorgehen. Es werden hier Entscheidungs- und Rückführungszentren gebildet, wo Menschen, die hier einen Antrag stellen, bleiben, bis über den Antrag entschieden worden ist. Entweder sie gehen wieder in ihre Heimat zurück, durch Abschiebung oder freiwillige Rückkehr, oder sie werden anerkannt, dann können sie natürlich sich im Land aufhalten. Das ist das Verfahren nach dem Schweizer Vorbild, mit dem die Schweizer hervorragende Erfahrungen gemacht haben.
    "Wir werden eine nachhaltige Reduzierung erreichen"
    Münchenberg: Herr Kreuzer, Sie sagen, da geht es nicht nur um Worte. Auf der anderen Seite hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gesagt, das sei ein Scheinstreit über Begrifflichkeiten. Hat er vollkommen unrecht?
    Kreuzer: Wenn man sich die ganze Zeit nur über das Wort gestritten hätte, hätte er recht gehabt. Aber wir sehen ja, wir haben uns über Inhalte verständigt, und zwar am Ende sehr einvernehmlich, und deshalb glaube ich, dass es ein guter Tag für das Land gewesen ist. Wir müssen gemeinsam unser Ziel erreichen und dürfen nicht darüber streiten, ob die Maßnahme jetzt beispielsweise Obergrenze genannt wird, oder ob wir sagen, wir wollen nicht über 200.000 kommen.
    Ich bin mit dem Kompromiss und mit der ganzen Formulierung des Papiers sehr zufrieden und bin auch überzeugt, dass wir die Zahlen dadurch nachhaltig senken können. Wir wollen ja auch mit den Staaten beispielsweise im Mittelmeer verhandeln, wollen mit ihnen Abkommen schließen, wollen die Menschen vom Mittelmeer wieder in Zentren in diese Staaten zurückbringen. Das alles wird seine Wirkung haben und wir werden eine nachhaltige Reduzierung erreichen.
    Beispiel Jugoslawien - "Als direkter Nachbar muss geholfen werden"
    Münchenberg: Herr Kreuzer, Sie sagen, Sie sind hoch zufrieden mit dem Kompromiss. Auf der anderen Seite kann diese Zielmarke von 200.000 ja nach oben wie unten verändert werden. Ist das jetzt wirklich der große Erfolg für die CSU?
    Kreuzer: Das muss in der Regierung und im Bundestag passieren. Es muss also beschlossen werden und diskutiert werden. Natürlich kann auch ich mir Situationen vorstellen, wo wir verändern müssen. Stellen Sie sich einmal vor, es bricht in einem unserer Nachbarländer oder wenig weit davon entfernt ein Krieg aus wie damals in Jugoslawien. Dann haben Sie natürlich eine Situation, dass Sie als direkter Nachbar helfen müssen, bis der Krieg wieder aus ist, und dann können Sie eine Zielgröße, wie wir sie vereinbart haben, in diesem Jahr wahrscheinlich nicht halten.
    Münchenberg: Das heißt, auch die CSU besteht eigentlich gar nicht auf dieser Obergrenze von 200.000?
    Kreuzer: Wir bestehen auf der Obergrenze von 200.000 oder auf dieser Grenzziehung, und wir haben dies ja mit der CDU vereinbart. Aber bedenken Sie: Die Ukraine kommt in eine Kriegsauseinandersetzung. Es herrschen dort Kriegshandlungen, die Leute verlassen das Land. Dann haben Sie eine vorübergehende Sondersituation. Dann müssen allerdings, wenn der Krieg aus ist, alle wieder in ihre Heimat zurückkehren. Das ist ein Beispiel, wann man sich befassen muss, was in einem Jahr zu tun ist. Im Normalfall sind die 200.000 einzuhalten.
    Münchenberg: Die Grünen, der potenzielle Koalitionspartner, die haben die Zielmarke von 200.000 bereits kritisiert. Muss diese Zahl aus Sicht der CSU trotzdem auch im Koalitionsvertrag festgehalten werden?
    Kreuzer: Wir gehen davon aus, dass wir das im Koalitionsvertrag erreichen, was wir gestern vereinbart haben, zusammen mit der CDU. Ich halte es schon für ausgesprochen wichtig, dass man eine Marke hat, die man anstrebt, und dass man die Maßnahmen so ergreift, dass diese Marke erreicht wird. Alles andere würde ja heißen, dass man gar nichts macht, und dies halte ich für falsch. Wir können Zustände, wie wir sie im Jahre 2015 und 2016 gehabt haben, kein zweites Mal mehr dulden, und das haben wir den Menschen vor der Wahl auch versprochen.
    Wichtige Weichenstellung beim Koalitionsvertrag
    Münchenberg: Das heißt aber, wenn die Zahl 200.000 nicht im Koalitionsvertrag steht, dann kann die CSU diesem Vertrag auch gar nicht zustimmen?
    Kreuzer: Wir haben jetzt erst einmal Verhandlungen und wenn jeder sich vorher bei allem festlegt, ist dies schwierig. Aber Sie können davon ausgehen, dass dies für uns eine ausgesprochen wichtige Weichenstellung beim Koalitionsvertrag sein wird.
    Münchenberg: Horst Seehofer, der Ministerpräsident von Bayern, steht ja mächtig unter Druck, auch innerhalb der eigenen Partei. Würden Sie sagen, er kann jetzt nach diesem Kompromiss erhobenen Hauptes vor die CSU-Landtagsfraktion treten?
    Kreuzer: Er kann erhobenen Hauptes vor die CSU-Landtagsfraktion treten. Ich sage aber auch, wir haben gestern Verhandlungen geführt, um ein Sachproblem zu lösen. Wir haben nicht deswegen ein Ergebnis verhandelt, um irgendwelche Dinge in Bayern zu regeln, sondern hier geht es ums ganze Land. Hier geht es um Deutschland und wir wollen, dass die Flüchtlingssituation in Zukunft so gehandhabt wird, dass diesem Land nicht geschadet wird, und dies haben wir, glaube ich, gut erreichen können, alle gemeinsam.
    Münchenberg: Trotzdem gab es ja bereits Querschüsse von einigen CSU-Abgeordneten, etwa aus Franken. Da stammt ja auch Finanzminister Markus Söder her. Die haben eine personelle Veränderung auch in der Spitze der CSU gefordert. Glauben Sie, dass jetzt dieser Kompromiss auch die innerparteilichen Kritiker von Seehofer überzeugen wird?
    Kreuzer: Dass eine Partei nach so einem Wahlergebnis viele Dinge diskutiert, angefangen von der inhaltlichen Ausrichtung zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik bis hin zu personellen Überlegungen, ist normal. Ich rate stark davon ab, dies durch öffentliche Presseerklärungen zu tun, und dies ist auch jetzt nicht mehr geschehen die letzten Tage. Aber es ist mit Sicherheit so, dass eine Aufstellung zur bayerischen Landtagswahl andere Elemente enthält als nur diesen Kompromiss. Aber für meine Begriffe hat Horst Seehofer hier hervorragend verhandelt. Wir waren ja ein ganzes Team. Und ich glaube, dass im Bereich der Flüchtlingspolitik in der CSU, aber auch bei den Menschen im Land durchaus Zufriedenheit mit diesem Kompromiss ist.
    Seehofer den Rücken stärken
    Münchenberg: Das heißt aber jetzt, die CSU-Fraktion steht geschlossen hinter Horst Seehofer?
    Kreuzer: Wir müssen dies diskutieren. Horst Seehofer hat gesagt, er tritt wieder als Parteivorsitzender an. Ich persönlich sage, dies ist etwas anderes als in Berlin zu verhandeln, aber Horst Seehofer ist unser Ministerpräsident und wir werden alles tun, um ihm bei diesen Verhandlungen den Rücken zu stärken. Ich kann nicht beurteilen, ob jeder Einzelne voll hinter Horst Seehofer steht. Wir werden diese Dinge zu gegebener Zeit diskutieren.
    Münchenberg: Das waren trotzdem gestern, Herr Kreuzer, sehr mühsame Gespräche, auch wenn Sie gesagt haben, das sei alles im Einvernehmen passiert. Die Frage stellt sich ja schon: Manche haben ja schon von Abrüstungsverhandlungen gesprochen, die da in Berlin stattgefunden hätten. Wie schwesterlich sind die Parteien CDU und CSU noch einander zugeneigt? Wie belastbar ist dieses Bündnis CDU/CSU noch?
    Kreuzer: CDU und CSU sind zwei Parteien und waren immer zwei Parteien. Wir haben uns in den allermeisten Punkten für die Arbeit der nächsten vier Jahre in unserem gemeinsamen Regierungsprogramm geeinigt. Es sind Punkte übrig geblieben, wo man noch nicht einig geworden ist. Dies war immer so. Beim letzten Mal war es beispielsweise die Mütterrente und die Autobahnmaut. Es ist nicht zu bestreiten, dass wir bei der Flüchtlingspolitik einen Dissens gehabt haben, aber diesen Dissens haben wir gestern beseitigt durch ein gemeinsames Vorgehen. Und ich sage noch mal: Es geht ja um die Maßnahmen hauptsächlich, die wir ergreifen, um das Ziel zu erreichen.
    Konservative Wähler stärker ansprechen
    Münchenberg: Aber, Herr Kreuzer, es geht ja auch um Grundsätzlicheres. Die CSU interpretiert ja die Wahlverluste bei den Bundestagswahlen ganz anders als die CDU. Es gibt ja die Forderung, dass man sagt, wir müssen ein Stück weit auch nach rechts rücken. Wie lange wird, wie lang kann dieser jetzige Kompromiss überhaupt halten?
    Kreuzer: Die Wahlergebnisse werden auch innerhalb der CDU unterschiedlich bewertet und die Ursachen auch unterschiedlich gesehen. Ich bin keiner, der sagt, wir müssen nach rechts rücken. Ich glaube nicht, dass die CSU ihre Politik, ihre Programmatik verändern muss. Wir müssen nur durch diese Politik auch wieder konservative Wähler stärker ansprechen und ich glaube, dass wir damit gestern einen guten ersten Schritt getan haben. Dies werden wir jetzt auch umsetzen. Dann werden wir entsprechende Erfolge erreichen und die Menschen werden auch wieder mehr Vertrauen haben. Sie sind zurecht besorgt gewesen aufgrund der Vorkommnisse 15/16 und sie wollen jetzt eine Politik, die sicherstellt, dass ihr Land nicht überfordert wird und sich grundsätzlich verändert, und das wollen wir auch und dies gemeinsam mit der CSU jetzt.
    Münchenberg: … sagt der CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Thomas Kreuzer. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kreuzer.
    Kreuzer: Danke auch! Schönen Tag.