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Kreuzerlass in Bayern
Theologen stützen Söder

Dass Kirchenvertreter den bayerischen Kreuzerlass kritisieren, hat 17 Theologen auf den Plan gerufen: In einer "Ökumenischen Erklärung" bekennen sie sich zum Kreuz in der Öffentlichkeit. Ein Religionswissenschaftler kontert, im multireligiösen Bayern könne das Kreuz Menschen auch wehtun.

Von Christian Röther | 01.06.2018
    Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hängt in der Bayerischen Staatskanzlei ein Kreuz auf.
    Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hängt in der Bayerischen Staatskanzlei ein Kreuz auf. (dpa / picture alliance / Peter Kneffel)
    "Als ich davon gehört habe, dass zum 1. Juni in jeder öffentlich-staatlichen Einrichtung in Bayern, in jeder Behörde also, ein Kreuz aufgehängt werden soll im Eingangsbereich, habe ich mich natürlich sehr darüber gefreut."
    "Es ist gefährlich, mit so einem Symbol als Identitätssymbol für Bayern zu argumentieren. Das kann ganz in die falsche Richtung gehen, dass sich nämlich Gruppen ausgeschlossen fühlen und es dann eben nicht dem Frieden in der Gesellschaft dient, sondern eher der Spaltung."
    "Spaltung, Unruhe, Gegeneinander"
    Zwei Professoren aus Bayern, zwei ganz unterschiedliche Reaktionen auf den Kreuzerlass von Ministerpräsident Markus Söder. Der Befürworter heißt Wolfgang Vogl. Er ist in Augsburg katholischer Professor für die "Theologie des geistlichen Lebens" und hat eine ökumenische Erklärung initiiert, um den Kreuzerlass zu unterstützen.
    "Zu unserer ökumenischen Erklärung ist es nur deshalb gekommen, weil überraschenderweise auch aus dem kirchlichen Bereich sehr starke Gegenstimmen gegen diesen Kreuzerlass des bayerischen Ministerpräsidenten waren. Für uns war diese Situation so bizarr, dass wir uns entschlossen haben - wir, das heißt zwei, drei Mitstreiter noch - jetzt eine Initiative zu ergreifen, weil wir eigentlich sonst in dem Konzert der Meinungen kaum eine positive Stimme aus dem kirchlichen Bereich gehört haben."
    Der Theologe Wolfgang Vogl
    Der Theologe Wolfgang Vogl (Wolfgang Vogl)
    Kreuz-kritisch hatte sich unter anderem Deutschlands oberster Katholik zu Wort gemeldet, Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising und zugleich Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. In der "Süddeutschen Zeitung" sagte Marx mit Blick auf Söder, wenn man das Kreuz nur als kulturelles Symbol verstehe, enteigne man es im Namen des Staates. Das sorge außerdem für "Spaltung, Unruhe, Gegeneinander". Der katholische Theologe Vogl sieht die Sache allerdings ganz anders als der katholische Erzbischof Marx.
    "Der Münchner Erzbischof hat sich positioniert. Das ist seine Meinung gewesen. Das ist natürlich keine kirchenbindende Erklärung, sondern eine Stellungnahme, die er abgegeben hat. Vielleicht kann man es so sagen, dass mit dieser sehr bizarren und pointierten Stellungnahme des Münchner Erzbischofs eigentlich die kirchlichen Kräfte erst geweckt worden sind, nochmal über diese ganze Sache nachzudenken und auch die positiven Aspekte zu sehen."
    Dankbarkeit für jedes einzelne Kreuz
    Für seine Ökumenische Erklärung hat Wolfgang Vogl 16 weitere Erstunterzeichner gewinnen können - allesamt wie er Theologieprofessoren aus Bayern oder mit Bezug zu Bayern. Dazu kamen nach und nach 60 Unterstützer und zwei Unterstützerinnen. Nicht nur Theologen, sondern auch Professoren für Wirtschaft, Psychologie oder Maschinenbau. Die ökumenische Erklärung ist also auch eine akademische Erklärung. Die Namen der Unterstützer sind im Internet unter kreuzerlass.de veröffentlicht.
    "Die Reaktionen auf unsere Erklärung waren - und das ist für mich etwas Wunderbares - nur positiv. Ich habe keine Schmähungen oder Angriffe bekommen. Das hat mich völlig verwundert, ich habe eigentlich mit ganz was anderem gerechnet. Mir ist es eigentlich schon sehr schlecht gegangen, jetzt so an die Öffentlichkeit zu treten. Das ist eigentlich überhaupt nicht meine Art. Ich bleibe lieber im Ruhigen, Verborgenen und mache meine Arbeit. Aber so ist es wirklich gewesen: positive Rückmeldungen, Dankbarkeit."
    Was also steht drin in dieser Erklärung? Als Erstes: dass die Unterzeichner sich bekennen zum Kreuz in der Öffentlichkeit. Für jedes einzelne Kreuz seien sie dankbar. Besonders freut Wolfgang Vogl, dass die Kreuze im Eingangsbereich von Behörden angebracht werden.
    "Dieser erste Blickkontakt, diese Vergewisserung: Das sind unsere Wurzeln, das ist die Tradition, der wir uns verpflichtet fühlen. Nämlich die christliche Weltanschauung, mit allem, was daraus dann abzuleiten ist: Menschenwürde, auch der Toleranzgedanke. Dann ganz wichtig der Gedanke: Vor wem verantworte ich mein politisches Handeln und tun? Ich habe noch eine Instanz über mir. Die Demokratie lebt von Voraussetzungen, die sie nicht aus sich selber hat, die sie zu bewahren hat."
    Das Ablegen des Kreuzes als "Selbstaufgabe"
    Und diese Voraussetzung sei eben vor allem das Christentum. Daher dürften Christen auch "niemals Kreuze entfernen oder abhängen", auch "wenn dies manche als anstößig empfinden" würden. Denn das grenze an "Selbstaufgabe", heißt es in der Erklärung. Nicht zufällig können einem bei diesen Sätzen der katholische Erzbischof Marx und sein evangelischer Kollege Heinrich Bedford-Strohm einfallen, Landesbischof von Bayern und Ratsvorsitzender der EKD. Die beiden höchsten Repräsentanten des Christentums in Deutschland hatten ihre Brustkreuze abgenommen, im Herbst 2016 bei einem Besuch auf dem Tempelberg in Jerusalem. Wolfgang Vogl sagt:
    "Diese Aktion hat sehr, sehr viele Christen beider Konfessionen verunsichert. Es ist eigentlich nie so richtig herausgekommen, was die Motive gewesen sind. Das schwebt im Raum und kann auch so im Hintergrund unserer Erklärung durchaus gesehen werden."
    Die Erklärung soll Markus Söder Anfang Juni per Post zugehen und ihn in seinem Kreuz-Kurs bestärken: 80 Akademiker stehen in dieser Sache hinter dem Ministerpräsidenten. Mindestens. Aber viele sehen die Sache natürlich auch ganz anders.
    Bayern ist ein multireligiöses Land
    "Ich habe es von Anfang an aus meiner religionswissenschaftlichen Fachsicht für eine sehr schwierige und problematische Sache gehalten."
    Christoph Bochinger ist in Bayreuth Professor für Religionswissenschaft und befasst sich insbesondere mit der religiösen Gegenwartskultur.
    "Wäre Bayern ein ganz monoreligiöser Staat - oder noch zur Zeit des Königreichs oder so, da wäre das vielleicht ein willkommenes Symbol gewesen. Aber so ist es heute nicht."
    Der Religionswissenschaftler Christoph Bochinger
    Der Religionswissenschaftler Christoph Bochinger (Universität Bayreuth)
    Denn in Bayern leben eben nicht nur Christen, sondern auch Juden, Muslime, Buddhisten und so weiter - und Menschen, die keiner Religion angehören.
    "Wenn man in so einem multireligiösen Land lebt, was Bayern faktisch ist, finde ich das schon bedenklich, nur die eigene Gruppe anzusprechen. Man will ja Frieden in der Gesellschaft haben und die Frage ist, ob man das so erreichen kann. Das halte ich für eine schwierige Sache."
    Kein Symbol für alle
    Da helfe es auch nicht, das Kreuz nicht als religiöses Symbol zu definieren, sondern als kulturelles, wie Ministerpräsident Söder es getan hat - sodass es jetzt in der "Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern" heißt, das Kreuz sei "Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns".
    "Kultursymbol bedeutet ja: etwas, was in dem Land irgendwie gemeinsam ist, was unhinterfragt ist. Aber das Kreuz als Symbol finde ich dafür sehr ungeeignet, weil es schon im Neuen Testament auch als "Stein des Anstoßes", als "Skandalon" bezeichnet wird. Das heißt, daran scheiden sich die Geister, und dann ist es sehr schwierig, das dann als angeblich gemeinsames Symbol für alle zu verwenden."
    "Kein Ministerpräsident hat Deutungshoheit"
    Dass sich am Kreuz die Geister scheiden, selbst die christlichen Geister, zeigt sich aktuell am innerkirchlichen Zwist über den bayerischen Kreuzerlass. Religionswissenschaftler Bochinger ist dabei aber wichtig, dass die Debatte nicht nur innerchristlich geführt wird, was gerade sehr stark der Fall sei - denn öffentliche Kreuze in staatlichen Behörden gingen eben alle etwas an.
    "Nach allem, was ich so in meinen langjährigen Forschungen, Kontakten, Gesprächen und so weiter mit verschiedenen nicht-christlichen Gruppen - seien es andere religiöse Gruppen, seien es nicht-religiöse, immer wieder bemerkt habe, ist, dass das Kreuz für die auch eine durchaus eminente Bedeutung haben kann, und die ist aber anders besetzt als bei den Christen."
    Kreuzzüge, Pogrome, Kolonialismus - das mag für manche wie anti-christliche Klischees klingen. Viele Menschen würden aber an genau diese Dinge denken, wenn sie ein Kreuz sehen, sagt Christoph Bochinger:
    "Niemand hat darüber die Deutungshoheit. Ein Ministerpräsident kann nicht befehlen, wie das die Leute zu deuten hätten. Man kann nicht für einen anderen Menschen sagen, ob ihm das Kreuz wehtut oder nicht."
    Für den katholischen Theologen Wolfgang Vogl hingegen, und die Mitunterzeichner seiner ökumenischen Erklärung, kann es in Bayern gar nicht genug Kreuze geben:
    "Wenn ich von meiner Wohnung in die Kirche mit dem Auto fahre, komme ich an acht Wegkreuzen vorbei. Also das Kreuz ist bereits ein öffentliches Sinnbild und Symbol in Bayern, und wenn das nun flächendeckend in allen Amtsräumen sein soll, ist das für mich ein ganz ganz starkes Symbol, auf welcher Grundlage sich der bayerische Staat sieht und versteht."