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Kreuzsackelzement und heilix Blechle!

Fluchen befreit – und wird in allen Ländern kultiviert. Es gibt jedoch auch beim Schimpfen Unterschiede zwischen den Nationen. Inwiefern sich aus dem Fluchen beispielsweise die Wertschätzung von Frauen in unterschiedlichen Kulturen feststellen lässt, haben Sprachforscher herausgefunden.

Von Thomas Wagner | 16.05.2013
    Fluchen auf Italienisch:

    "Porka Miseria, Porka putana – also das ‚Porka‘ ist grundsätzlich das Schwein. Schweinisch, wörtlich übersetzt. Und das andere, das ‚Porka putana‘, also ‚Putana‘ ist die Hure. Und die wird dann auch als Schwein bezeichnet."

    Fluchen auf Portugiesisch:

    "Fidele Puta – das heißt auf Deutsch ‚Son oft a Bitch‘ oder wie sagt man das, Hurensohn."

    Und schließlich: Fluchen auf Schwäbisch.

    "Heiland Zack nomol. Also wenn alles schiefgeht, wenn alles danebengeht, nichts klappt. Der Tag ist Scheiße von hinten bis vorne und man muss die Wut rauslassen: Dann sagt man. Heiland zack nomol."

    Fluchen macht frei – frei vom Ärger: Erst fluchen, dann sich wohler fühlen.

    "Da ist man erleichtert, ja."

    "Das ist manchmal wie so ein Ventil, zum Abreagieren. Wenn man dann mal geflucht hat, dann geht’s einem gleich wieder besser."

    "Ich fluche andauernd, so für mich halt. Da schimpfe ich so vor mich hin. Das macht mich lockerer."

    "Ja, Du ogefauchter Bauernschädel, Du verreckter. Kreuzsackelzement…"

    Wut ablassen, sich abreagieren, dabei lockerer werden – das die wichtigste Funktion des Fluchens und Schimpfens, quer durch alle Nationen, quer durch alle Kulturkreise. Das bestätigt einer, der es wissen muss: Der Freiburger Sprachwissenschaftler Professor Hans-Martin Gauger ist Autor des Buches "Das Feuchte und das Schmutzige. Kleine Linguistik der vulgären Sprache" und gilt von daher als Deutschlands renommiertester Fluch- und Schimpf-Forscher:

    "Man muss sich irgendwie entlasten. Und dazu braucht man einen ziemlich kräftigen Ausdruck. Und der muss ein Tabu brechen. Und dann führt das zu einer psychischen Entlastung. Also: Der Sinn des Fluchens ist diese Entlastung."

    Damit hat es sich auch schon mit der Gemeinsamkeit der europäischen Fluchkulturen. So jedenfalls die Erkenntnis des Romanisten Hans-Martin Gauger, der sich Flüche und Schimpfwörter in 16 europäischen Sprachen angesehen hat. Dabei gelangte er zu der Erkenntnis: Der Deutsche an sich flucht anders als alle anderen.

    "Was herangezogen wird: Das ist zum einen das Religiöse. Es werden aber auch Krankheiten herangezogen. In meiner Heimat zum Beispiel gab es den Ausdruck ‚Siech‘, einen sehr harten Ausdruck. Das ist ein Kranker. Also man wünscht sich Krankheiten an den Hals. Und dann haben wir sehr stark, was ich unter dem Begriff ‚exkrementell‘ zusammenfassen würde: Alle Ausdrücke auf der Scheiße-Linie, sage ich jetzt mal konkret. Und dann das Sexuelle: Und das Sexuelle spielt nun im Deutschen eine ziemlich geringe Rolle. Das ist etwas, was ich herausgebracht habe. Das ist nicht völlig neu. Aber ich glaube, ich konnte es doch erhärten durch einen Vergleich mit 15 anderen Sprachen, dass wir Deutsche oder wir Deutschsprachigen uns ganz stark auf das Exkrementelle konzentrieren, während sich die anderen sehr stark auf das Sexuelle konzentrieren. Dort ist das Exkrementelle auch nicht ganz weg, tritt aber in den anderen Sprachen in den Hintergrund. Das ist ein merkwürdiger Tatbestand."

    Und so stellt der fluchende Deutsche dann gerne Darminhalte und sonstige Körperausscheidungen in den Mittelpunkt seiner Flüche und Beschimpfungen, während der Russe und der Italiener schon mal weibliche Familienmitglieder desjenigen, den er gerade zu beschimpfen beliebt, mit gesellschaftlich geächteten Liebesdienerinnen oder gar weiblichen Geschlechtsorganen gleichsetzt. Ob man’s nun glauben will oder nicht: Für Professor Hans-Martin Gauger bedeutet dies, dass die Frau im deutschsprachigen Kulturraum einen höheren Stellenwert einnimmt als in den meisten anderen Sprachen:

    "Der Unterschied ist schon der: Wir ziehen das Geschlechtliche nicht rein. Man müsste da das Deutsche eher verteidigen, weil die anderen das Sexuelle da hineinziehen, weil damit eine Abwertung der Frau gegeben ist. ‚Con‘ ist das häufigste französische Schimpfwort. Und das bezeichnet einfach das weibliche Organ. Und das ist ein besonders klarer Fall, den wir im Französischen da haben. Aber das gibt’s auch schon: ‚Conjo‘ im Spanischen beispielsweise, aber auch im Französischen ist das besonders klar."

    Zwar gibt es so etwas ab und an auch im Deutschen. Allerdings, so Hans-Martin Gauger: Auf die Häufigkeit kommt es an. Gerade bei romanischen Sprachen kommen solche sexuellen Begriffe ungleich öfter bei Beschimpfungen und Flüchen vor als im Deutschen – noch. Denn in Zukunft könnte das anders aussehen: In Zeiten von Globalisierung und Facebook erkennt Hans-Martin Gauger eine Annäherung der Fluchkulturen, was sich vor allem bei der Betrachtung der Redewendungen Jugendlicher zeige.

    "Das ist jetzt sehr wichtig, dass bei der Jugend aber immer noch sehr maßvoll das Sexuelle beim Schimpfen verwendet wird. Also jeder kennt ‚Piep Dich ins Knie‘. Gerade dieses Zeitwort ist bei Älteren immer noch sehr schwer aussprechbar. Oder, das habe ich unlängst mal gehört sonntags abends in einer Bar: Da hat ein junger Mann gesagt: Mensch, morgen piep mich wieder mein Chef. Ich habe zwei, drei Sekunden gar nicht verstanden, was er gemeint hat, war zunächst schockiert. Also das ist relativ maßvoll. Und außerdem wird von der Jugend der englische Ausdruck ‚fuck‘ oder ‚fuck‘ [gespr. fack] gebraucht. Aber die klassische Entsprechung ist immer noch: Wenn die sagen: 'Fuck off‘, dann sagen wir: ‚Verpiss‘ Dich.‘ Dann haben wir wieder dasselbe. Dann sind wir wieder beim Exkrementellen im Deutschen."

    "Du Hundskrüppel, Blutsackler. Da leckt’s mi fei am Arsch, Du Kniebiesler…"

    Für denjenigen, der gerade nicht in Fluch- und Schimpflaune ist, hört sich das ziemlich derb und abstoßend an. Dabei erfüllt gerade ein kräftiger Fluch, so Fluchforscher Hans-Martin Gauger, seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte eine Art Schutzfunktion auch für denjenigen, an den sich der Fluch oder die Beschimpfung adressiert. Denn: Wer seinen Gegenüber beschimpft, erschlägt ihn nicht. Heute ist das eine Binsenweisheit. Doch das war nicht immer so.

    "Ich glaube, anthropologisch gesehen brauchen wir einfach so etwas. Man kann das nämlich auch positiv sein: Nämlich das Beleidigen, so eine schöne Anmerkung von Sigmund Freund, sei ein kultureller Fortschritt, wonach sich die Tat zum Wort ermäßigt, dass man dem anderen also nicht den Kopf einschlägt, sondern dass man sich begnügt, ihn verbal anzugehen."

    Insofern stellen Beschimpfungen und Flüche sogar eine Art kultureller Fortschritt in der Menschheitsgeschichte dar. Doch weil das Erschlagen von unliebsamen Mitmenschen in ganz früher Menschheitsgeschichte eher Männersache war, ist auch klar, dass später das Fluchen zur Männerdomäne wurde - bis heute.

    "Ich glaube, dass eher Männer fluchen wie Frauen. Frauen lassen das irgendwie anders raus. Also richtig fluchen können so richtig herzhafte Männer."

    "Du Rotzlöffel, halt’s Maul, Hundskugel, verreckter!"

    Wohl wahr: Dem stimmt auch der Freiburger Fluchforscher Hans-Martin Gauger zu.

    Frauen, sagt er, waren noch bis vor Kurzem hochgradig "fluch-unlustig".

    "Die haben früher gar nicht so geflucht. Es gibt ja andere Möglichkeiten. Es gibt da so Nebenformen. Meine Mutter kam aus dem Ruhrgebiet. Und statt ‚verdammt noch mal‘ hat die immer gesagt: ‚verdohricht noch mal.‘ Es gibt also Nebenformen: ‚Je m’en fou..‘ sagen die Franzosen, foutre, da gibt es dann so Nebenformen: Je m’en fiche. Man hat genau gewusst: Sie wollte also fouztre sagen, hat aber ‚fiche‘ gesagt. Und das ging."

    Allerdings: Auch beim Fluchen und Schimpfen holen die Frauen derzeit, so Gauger, enorm auf:

    "Dann haben wir jetzt das Emanzipationsphänomen, dass die Frauen sich jetzt nicht mehr einsehen, warum diese Ausdrücke ihnen vorenthalten sein sollen. Und die gebrauchen sie jetzt auch. Die gebrauchen jetzt die gleichen. Das ist ein Ausdruck der Emanzipation: so wie Frauen in der Öffentlichkeit rauchen, was ja früher auch nicht ging."

    "Heiland zack nochemole…"

    "Kreuzsackelzement: Was glaubt denn Du, wer Du bist?"