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Krieg gegen die Wettmafia

Pro Jahr werden bei legalen und illegalen Sportwetten 300 bis 500 Milliarden Euro eingesetzt. Eine Summe, die Griechenland oder Spanien auf einen Schlag schuldenfrei machen würde. Verständlich also, dass FIFA-Chefermittler Chris Eaton, der Sportsicherheitsrat ICSS, sowie Interpol nach der Millionenspende der FIFA, mit aller Vehemenz gegen die mafiösen Wettgeschäfte vorgehen wollen.

Von Luise Wagner | 09.04.2012
    Der Krieg – so nennt Fifa-Chefermittler Chris Eaton den Kampf gegen die globale Wettmafia – hat längst begonnen. Illegale Wettbüros wälzen immer größere Summen, die sie aus dem Geschäft mit Sportveranstaltungen ziehen. Pro Woche, so Eaton, werden 2 Milliarden Euro umgesetzt. Der Australier Eaton wechselt im Mai von der Fifa zum ICSS, dem Internationalen Sportsicherheitsrat, nach Katar, um von dort die Wettmafia aufs Korn zu nehmen.

    "Die zwei großen kriminellen Organisationen - Mafia und Camorra - haben in fünf bis zehn Jahren mit Sportwetten 2 Milliarden Euro verdient. Das Geld wird digital über das Internet transferiert oder Cash bezahlt – sehr einfach verdientes Geld für diese kriminelle Organisationen."

    Fifa-Chef Sepp Blatter hat der Weltpolizei Interpol einen dicken Scheck überreicht, um die Korruption im System anzugehen. Noch nie hat Interpol von einer privaten Institution so viel Geld geschenkt bekommen. Eine Menge Schotter für eine Imagekampagne, deren Wirkung von den Machern selbst angezweifelt wird. Für rund 20 Millionen Euro darf der britische Elitepolizist John Abbott jetzt eine Fußball-Aufklärungspolizei, die Interpol Steering Group, für die Fifa herrichten.
    "Ich bin ein Zyniker, und nach 35 Jahren Polizeidienst nicht so naiv, zu glauben, dass die Aufklärung allein das Problem lösen kann. Es wird künftig weiter Fälle von Kriminalität, Korruption und Spielabsprachen geben. Deshalb müssen die Verbände jetzt strenge Regeln schaffen, mit denen durchgegriffen wird und Sanktionen verhängt werden können. Profis müssen wissen, wofür sie zum Beispiel selbst wetten dürfen und wofür nicht."

    Nicht nur der Fußball ist betroffen, auch andere Sportarten. Selbst Profis mit Top-Gehältern wie im Cricket oder Basketball lassen sich kaufen. Pro Jahr werden bei legalen und illegalen Sportwetten 300 bis 500 Milliarden Euro eingesetzt. Eine Summe, die Griechenland oder Spanien auf einen Schlag schuldenfrei machen würde. Für die Ermittler steht die gesamte Integrität des Sports auf dem Spiel. Deshalb hat sich auch Haroon Lorgat, Chef des International Cricket Council, der ICSS angeschlossen.

    "Die Manipulation zieht sich durch alle Bereiche. Zwar bekämpfen wir Spielabsprachen auf internationaler Ebene, aber das Problem besteht jetzt dafür in den niedrigeren Ligen. Im Grunde kann jedes Spiel, das im Fernsehen übertragen wird, Zielscheibe der Korruption."

    2011 wurden allein in Europa in 25 Ländern verdächtige Wetten im Fußball festgestellt. Es laufen derzeit Prozesse wegen Spielmanipulation im Iran, der Türkei, Israel, Südafrika, Bulgarien, China und Zypern. Dabei gehen die Mittelmänner der Wettmafia skrupellos auch auf die jüngsten Spieler zu.

    "Beziehungen zu Fußballerspielern werden schon recht früh aufgebaut, bereits im Teenager-Alter. Ein scheinbar sympathischer Mann schaut bei einem Junioren-Fußballspiel zu und schenkt einem 13-Jährigen ein Stück Schokolade oder lobt ihn besonders. Das mag harmlos klingen, aber es ist die erste Stufe der Einflussnahme des Spielers. Es gibt alle Arten von Beeinflussung und verschiedene Ziele: Spieler, Schiedsrichter - auch Vereinsfunktionäre oder Spielervermittler sind betroffen."

    Die Wettskandale in Osteuropa und Italien gewährten im letzten Jahr einer ernüchterten Öffentlichkeit erstmals einen tieferen Einblick in die Machenschaften der Wettmafia. Im Fußballzwergenland Bulgarien wurden in der Ära des Postsozialismus 200 Morde im Zusammenhang mit Fußball verübt. Darunter waren 15 getötete Vereinsbosse, die ihre Posten auf zweifelhafte Weise erlangten.

    "Es gibt Beispiele für Spieler, die ermordet wurden. Spieler werden eingeschüchtert und auch einfach ausgelöscht. In einigen Ländern der Welt heißt die letzte Strafe für Spieler, die nicht kooperieren wollen, die Todesstrafe."

    Bislang wurde das Zentrum der Machenschaften in Osteuropa und Italien vermutet. Doch der eigentliche Hotspot für die Finanzumschläge liegt in Südostasien. In Singapur ziehen zwei große illegale Wettbetreiber weltweit die Fäden. Deshalb soll die Interpol-Fifa-Polizei bis 2014 von Lyon nach Singapur wechseln. Ermittler wie John Abbott arbeiten jetzt mit den legalen Wettbüros zusammen, um verdächtige Transaktionen schnell auszumachen. Für Abbott geht es nicht ohne diese Kooperation:

    "Ich denke, dass gute Beziehungen zu den Wettbüros absolut wichtig sind, da sich die Wettvorgänge heute genau überwachen lassen. Agenturen können im System schnell erkennen, wenn ungewöhnliche Wetten abgeschlossen werden oder auffällige Aktivitäten ablaufen. Wir müssen diese Erkenntnisse dann nutzen, um sofort die Sicherheitsdienste in den Fußballvereinen zu alarmieren und letztlich die Übeltäter zu bestrafen."

    Chefermittler Chris Eaton hält es für allerhöchste Zeit, die Sache nicht mehr allein den Sportverbänden zu überlassen, sondern die Regierungen der Länder einzuschalten.

    "Wir müssen das Problem bekämpfen und nicht die Symptome. Die Symptome sind der Sport und die Korruption, doch das Problem ist das global organisierte Verbrechen. Aus meiner Sicht treten wir nur auf der Stelle, wenn wir nicht endlich ernsthaft die organisierten Banden angreifen."

    Das Rüstzeug haben die Ermittler, nun wollen sie zu den Waffen greifen. Der Krieg um die Ehrenrettung des Sports ist also längst im Gange. Ob die Aufdeckung der Spielabsprachen aber wieder Vertrauen in den Profisport bei den Zuschauern schaffen kann, bleibt abzuwarten. So manchem Fan ist bei all der Manipulation die Lust am Zuschauen längst vergangen.