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Kriegsende vor 75 Jahren
Frankreich und der lange Weg zum Gedenken

Am 8. Mai 1945 endete in Europa der Zweite Weltkrieg. Auch in Frankreich wird jedes Jahr an diesem Datum der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands gedacht. Bis der 8. Mai aber offiziell zum gesetzlichen Feiertag in Frankreich wurde, war es ein langer Weg.

Von Jürgen König | 08.05.2020
Frankreich hat heute an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 74 Jahren erinnert.
Aufgrund der Corona-Pandemie wird es 2020 keine großen Gedenkveranstaltungen zum 8. Mai geben (Reuters )
Am 8. Mai 1945 jubelte ganz Frankreich - nachdem General Charles de Gaulle in einer Radioansprache die Kapitulation Deutschlands verkündet hatte.
"Der Krieg wurde gewonnen! Es ist der Sieg der vereinten Nationen - und es ist der Sieg Frankreichs!"
Problematischer Gedenktag
Aus französischer Sicht ging mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, die am 7. Mai in Reims unterschrieben wurde und am 8. Mai in Kraft trat, auch der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende – und nicht, wie etwa Russland es sieht, erst am 9. Mai.
Schon 1946 wurde der 8. Mai als "Tag des Sieges" zum Gedenktag erklärt, arbeitsfrei war er allerdings nicht. Es wurde zunächst ein problematischer Gedenktag: Trotz der Untergrundkämpfe der Résistance fiel der Sieg im kollektiven Bewusstsein der Franzosen so glorios nicht aus, wurde zudem überlagert vom Wissen um die jahrelange französische Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern.
Porträt von dem Historiker Heinrich August Winkler in seinem Büro in der Humboldt Universität in Berlin. Er blickt ernst nach oben.
75 Jahre Kriegsende - "Auseinandersetzung mit deutscher Vergangenheit bleibt Herausforderung"
Heinrich August Winkler hält den Umgang mit dem Erbe des Zweiten Weltkriegs für eine Frage, die uns weiterhin umtreiben wird. Das Scheitern der Demokratie in der Weimarer Republik sei eine Grunderfahrung, die "uns sensibel halten muss", sagte er im Dlf.
Überdies erinnerten in jeder größeren Stadt Kriegerdenkmale an die Schrecken des Ersten Weltkriegs: Der war im Bewusstsein Frankreichs noch immer präsent. Erst 1953, auf Bitten von Résistance-Kämpfern und ehemaligen Deportierten, wurde der 8. Mai gesetzlicher Feiertag. 1959 wurde diese Entscheidung vom Parlament widerrufen, stattdessen wurde der zweite Sonntag im Mai zum nun wieder nicht arbeitsfreien Gedenktag erklärt, 1968 wurde das Gedenken wieder auf den 8. Mai gelegt.
Um den Gedanken der deutsch-französischen Versöhnung hervorzuheben, beschloss Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing 1975, das offizielle Gedenken an den Sieg über Nazi-Deutschland ganz abzuschaffen und durch einen "Europatag" zu ersetzen. Erst sechs Jahre später, 1981, wurde der 8. Mai endgültig zum gesetzlichen und arbeitsfreien Feiertag Frankreichs erklärt: zur Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs.
Seitdem will es das offizielle Protokoll, dass an diesem Tag der Präsident der Republik eine Truppenparade am Pariser Triumphbogen abnimmt, am Grab des unbekannten Soldaten einen Kranz niederlegt, nach einer Schweigeminute entzündet er die Ewige Flamme symbolisch neu. Die Marseillaise ist obligatorisch, ebenso das "Lied der Partisanen", Symbol der Résistance.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel vor dem Holocaust-Denkmal in Berlin im Mai 2005
Paul Spiegel - "Die Befreiung - eine Freude, wie ich sie bis dahin nicht erlebt hatte"
Januar 1945: Paul Spiegel war gerade sieben Jahre alt geworden, als US-Truppen Belgien befreiten. Sein Vater überlebte die Lager Buchenwald, Auschwitz und Dachau. Seine ältere Schwester Rosa wurde in Auschwitz ermordet.
"Es gibt die Pflicht, sich zu erinnern"
Für viele Franzosen ist der 8. Mai ein wichtiger Gedenktag. Ein Passant, bei der Feier am Triumphbogen im letzten Jahr:
"Ich wollte unbedingt dabei sein, bei diesem Gedenken an den 8. Mai 1945 - das ist ja auch ein Denken an die, die für unsere Freiheit ihr Leben gelassen haben. Franzosen, aber auch Amerikaner, Briten, afrikanische Soldaten, Australier, Kanadier.
Ich habe schon mehrmals die Landungsstrände in der Normandie besucht - und wenn man die Friedhöfe sieht, all die Gräber - so junger Menschen, die den Atlantik überquert haben, nur um uns zu helfen … Ich glaube, es ist wichtig, sich zu erinnern, es gibt eine Pflicht, sich zu erinnern."
In diesem Jahr findet das Gedenken wegen der Coronakrise nur im sehr kleinen Rahmen statt. Präsident Macron wird in Paris ohne Truppenparade nur am Grab des unbekannten Soldaten einen Kranz niederlegen und nach einer Schweigeminute die Ewige Flamme symbolisch neu entzünden. Die französischen Bürgermeister wurden angehalten, einzig im Beisein eines Fahnenhalters an ihren Rathäusern einen Kranz niederzulegen.