Donnerstag, 18. April 2024

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Kriegsende vor 75 Jahren
Nowottny: Zur eigenen Vergangenheitsbewältigung war nur am Rande Zeit

Er habe die Lehren aus seinen Erfahrungen aus den Jahren vor 1945 und den Jahren der direkten Teilnahme am Kriege gezogen, sagte der Journalist und Ex-WDR-Intendant Friedrich Nowottny im Dlf. Direkt nach Kriegsende sei das allerdings alles andere als einfach gewesen.

Friedrich Nowottny im Gespräch mit Anja Reinhardt | 03.05.2020
Friedrich Nowottny bei der Aufzeichnung einer Talkshow im Mai 2019.
Der ehemalige WDR-Intendant und Journalist Friedrich Nowottny (Jens Krick / Geisler-Fotopress)
Er war in der Hitlerjugend, Offiziersanwärter und wurde mit seinem Vater in die Volkssturmeinheit eingezogen: Der Journalist und ehemalige WDR-Intendant Friedrich Nowottny erinnert sich im Deutschlandfunk, wie er das Kriegsjahr 1945 als knapp 15-Jähriger erlebt hat:
"Wir wurden dauernd auf Krieg trainiert. Ich wusste, wie man ein Gewehr auseinandernimmt, eine Pistole, eine Panzerfaust. Ziel: Vorbereitung auf Krieg."
Nach dem Tod seines Vaters floh Friedrich Nowottny aus der Volkssturmeinheit an der Ostfront und konnte sich durch das Protektorat Böhmen und Mähren nach Bayern durchschlagen. Die Zeit sei von wahnsinnigen Ängsten geprägt gewesen, erinnert sich der Journalist. Dort wurde er von der Feldpolizei aufgegriffen und nach Braunau am Inn geschafft.
Erst die dortige Ankunft der amerikanischen Armee und deren Panzer im Mai 1945 habe ihn zum Nachdenken gebracht, so Nowottny weiter.
"Das war so ein mächtiger Eindruck."
Er habe sich damals gefragt: Hättest du dich dem entgegengestellt?
"Nein. Ich hätte die Beine in die Hand genommen."
Porträt von dem Historiker Heinrich August Winkler in seinem Büro in der Humboldt Universität in Berlin. Er blickt ernst nach oben.
75 Jahre Kriegsende - "Auseinandersetzung mit deutscher Vergangenheit bleibt Herausforderung"
Der Historiker Heinrich August Winkler hält den Umgang mit dem Erbe des Zweiten Weltkriegs für eine Frage, die auch künftige Generationen umtreiben wird. Das Scheitern der Demokratie zu Zeiten der Weimarer Republik sei eine Grunderfahrung.
"Das waren harte Zeiten"
Nach Kriegsende sei die Not "umfassend" gewesen. Nachdem er seine Mutter und Schwester nach Kriegsende wiedergefunden habe, seien sie zusammen nach Bielefeld gegangen.
"Die Welt war unterwegs in diesen Monaten und Jahren."
Es seien ungeheuer bewegte und unruhige Zeiten gewesen, so Nowottny. Die Flüchtlinge aus dem Osten seien im Westen mit großer Skepsis empfangen worden:
"Es waren ja zum Teil jämmerliche Gestalten, die da ankamen. Ich hatte ja nichts mehr. Ich hatte einen Wäschebeutel dabei, - so nannte man das beim Militär -, das war mein ganzes Hab und Gut. Darin waren ein paar Socken, ein paar Unterwäsche und was weiß ich, was man so im Alltag brauchte. Damit kam ich in Bielefeld an, das war nicht sehr lustig."
Für Vergangenheitsbewältigung nur am Rande Zeit
Damals, so Friedrich Nowottny, sei zur Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit nur wenig Zeit geblieben. Zunächst sei es ausschließlich darum gegangen, das eigene Überleben und das seiner Restfamilie zu sichern:
"Zur Eigenbewältigung meiner Vergangenheit gab es nur Zeit am Rande."
Er habe rückblickend die Lehren aus seinen Erfahrungen aus den Jahren vor 1945 und den Jahren der direkten Teilnahme am Kriege gezogen.
Diese Erfahrungen prägten auch Friedrich Nowottnys journalistisches Arbeiten. Auf Willy Brandt und dessen politisches Bemühen um Völkerverständigung angesprochen erklärt Friedrich Nowottny im Deutschlandfunk:
"Ich habe das als Zeitzeuge erlebt. Die Teilung der Welt, die Teilung Europas, die Teilung Deutschlands würde nur überwunden werden können, wenn man wieder in normale, halbwegs normale Beziehungen zueinander kommt."
Er habe die Politik Willy Brandts innerlich unterstützt und als Journalist versucht, das Beste daraus zu machen, sagte Friedrich Nowottny:
"Ich glaube, ich habe die Lehren aus meinen Erfahrungen aus den Jahren vor 1945 und den Jahren der direkten Teilnahme am Kriege gezogen."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.