Freitag, 29. März 2024

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Kriegsfotograf Bangert
"Schrecken findet gleichzeitig mit komischen Momenten statt"

Der Fotograf Christoph Bangert zeigt in einem Fotoband die absurde Seite des Krieges. Er habe zunächst gedacht, Krieg sei nur ein dramatisches Ereignis, sagte Bangert im DLF. Doch im Krieg gebe es auch viel Normales und Skurriles. Irgendwann habe er gezielt nach den Momenten gesucht, die Absurdität im Krieg zeigten.

Christoph Bangert im Gespräch mit Sigrid Fischer | 12.09.2016
    Fotojournalist Christoph Bangert am 06.06.2016
    Fotojournalist Christoph Bangert (picture alliance / dpa - Rolf Vennenbernd)
    Sigrid Fischer: Fotos nicht zu veröffentlichen, weil sie zu grausam sind, das Argument lässt der Fotograf Christoph Bangert nicht gelten. Wenn alle Menschen das gesehen hätten, was ich gesehen habe, dann gäbe es keine Kriege mehr – so kommentierte er vor zwei Jahren seinen Fotoband "War Porn" mit Bildern unter anderem aus dem Irak und aus Afghanistan. Sein neuer Fotoband heißt "hello camel" und zeigt die andere, die absurde Seite des Krieges. Da wird mitten im Kriegsgebiet eine festliche Torte angeschnitten, da verkauft ein Afghane Partyartikel für die Feier der US-Soldaten zum Independence Day, unter anderem ein aufblasbares Kinderschwimmbecken mit gelben Plastikenten drin, oder ein Kamel schaut über den Schutzwall hinüber zwei Soldaten in die Augen. Und man sieht, wie im Kriegsgebiet normales Leben inszeniert wird, mit Toilette, Fernseher und Pool. "Ich habe nie so sehr gelacht wie im Krieg", so beginnt das Vorwort zu diesem Buch. Christoph Bangert, herzlich willkommen bei "Corso"!
    Christoph Bangert: Hallo!
    Fischer: Das ist natürlich ein provozierender Satz. Soll der provozieren, "Ich habe nie so viel gelacht wie im Krieg" meine ich?
    Bangert: Ja, natürlich, das ist natürlich als provozierend gedacht, das ist auch als Überraschung gedacht. Denn ich denke, wir müssen die Betrachter auch ein wenig überraschen und ihnen vielleicht Dinge zeigen, die sie nicht erwarten.
    "Das ist natürlich zum großen Teil auch ein Schutzmechanismus"
    Fischer: Aber lachen und Krieg, das ist genauso ein Tabu wie wenn Sie sagen, ja doch, wir müssen die ganzen Grausamkeiten des Krieges zeigen. Wir scheuen uns eigentlich vor beidem, beides ist tabu, für Sie gehört das aber eben beides letztlich zusammen, wenn es um Krieg geht.
    Bangert: Ich glaube, für die meisten Menschen, die selbst Kriegserfahrung haben, ist es ganz natürlich, dass dieser Horror, dieser Schrecken ganz gleichzeitig stattfindet mit diesen absurden, komischen Momenten, wo man dann tatsächlich auch lachen muss. Das ist natürlich zum großen Teil auch ein Schutzmechanismus, den man da so aufbaut. Man muss eigentlich ab und zu mal lachen, sonst muss man ja eigentlich die ganze Zeit nur heulen.
    Fischer: Welche Absurditäten haben Sie so nachhaltig beschäftigt, wenn wir jetzt schon von Absurditäten im Krieg reden? Was hat Sie nachhaltig verfolgt?
    Bangert: Mich hat es zunächst unheimlich gewundert, ich habe das nicht erwartet. Ich habe eigentlich wie die meisten Leute gedacht, Krieg ist so ein dramatisches Ereignis, wo Gut gegen Böse kämpft, wo es Helden gibt und wo es Opfer gibt. Und das stimmt auch, das ist tatsächlich so, aber da ist noch so viel mehr, da ist noch so viel mehr Alltag, so viel mehr Normales und auch Skurriles. Was ich mir ungefähr vorstellen konnte, war natürlich, dass Krieg keinen Sinn macht, dass das ein Ereignis ist, was es zwar schon immer gab und wahrscheinlich auch immer geben wird, aber es macht überhaupt keinen Sinn. Aber dass sich das tatsächlich auch fotografieren lässt, das hat mich schon überrascht, und diese Bilder haben mich selbst überrascht, die ich so über die Zeit angesammelt habe. Und später habe ich dann auch gezielt nach diesen Momenten gesucht, die diese Absurdität auch zeigen.
    Fischer: Das ist erstaunlich, Sie haben also in dem Moment, Sie sind dort, als Reporter unterwegs, hingeschickt oder wie auch immer, als Kriegsreporter, Sie haben aber den Blick dann dafür.
    Bangert: Ja, das kommt aber ganz automatisch, ich arbeite intuitiv. Ich plane nicht, ich reagiere auf das, was ich vorfinde. Und das war so ein Aspekt, der mir sehr wichtig erschien, den ich aber vorher gar nicht kannte, den ich auch aus der Berichterstattung nicht kannte. Ähnlich wie mit diesem Horror, mit diesem Schrecken selbst, der oft auch einfach weggelassen wird, wird dieser genauso wichtige Aspekt, diese Absurdität, das Skurrile, dass diese Dinge so fremd sind, das wird oft weggelassen, weil es halt auch überrascht, aber auch natürlich, na ja, das ist unangenehm, das ist auch kompliziert und vielschichtig. Und oft werden eher Bilder ausgewählt von Dingen, die wir eigentlich vielleicht erwarten: junge Typen mit Kalaschnikows und Panzer, die da so herumrollen, das, was wir vielleicht erwarten. Das ist nicht falsch, aber da ist noch so viel mehr. Und ich finde, wir sollten uns vielleicht als Berichterstatter auch ein bisschen mehr Mühe geben und diese Bilder auch aufbrechen.
    Fischer: Was irritiert an Ihren Fotos dann zum Beispiel, dass doch so viel Rationalität herrscht in diesen Konflikten, die rational so wenig zu erfassen sind: Keine Müllabfuhr, also verbrennt die Bundeswehr ihren Müll, um da nichts zu hinterlassen zum Beispiel, schreiben Sie unter ein Foto.
    Bangert: Ja.
    Fischer: Das sind ja rationale Akte. Oder wo man sagt, okay, wir müssen eine Falttoilette mitnehmen und die irgendwo aufbauen, vielleicht in so einem Graben, wie man das da sieht, damit man da vielleicht ungestört auch sitzen kann oder so.
    Bangert: Viele dieser Bilder sind entstanden, als ich mit dem Militär unterwegs war, mit der Deutschen Bundeswehr, mit den Amerikanern, aber auch mit irakischen oder afghanischen Einheiten. Und da prallt natürlich dieses Chaos des Krieges auf die militärische Ordnung, die für mich als Zivilist total interessant ist. Also, ich habe Zivildienst gemacht, ich habe von überhaupt Militär keine Ahnung. Und das fand ich natürlich kurios und total absurd, dass dieser Krieg, dieses Chaos und dann diese Ordnung, dieses menschliche Bestreben, Ordnung zu schaffen, dass wir es uns schön machen, dass wir also alles schön kehren und auch noch ein paar Poster aufhängen. Das hat natürlich auch viel mit dem Theater des Krieges zu tun, wie der Krieg inszeniert wird, wie er auch teilweise für mich als Berichterstatter inszeniert wird. Und da wird es unheimlich kompliziert, aber total spannend.
    "Moderne Zensur findet so statt, dass die Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird"
    Fischer: Also für Sie inszeniert, weil, Sie dürfen natürlich nicht alles fotografieren. Man sagt Ihnen, was Sie zeigen dürfen und was nicht.
    Bangert: Das ist genau richtig. Es findet eine Zensur statt, die moderne Zensur findet so statt, dass die Bewegungsfreiheit des Berichterstatters eingeschränkt wird, es werden ihm eigentlich nur Dinge gezeigt, die auch gezeigt werden sollen. Das ist natürlich nicht schwierig, ist aber eigentlich nichts Neues. Es wurde schon immer zensiert, es gab schon immer Propaganda. Das ist Teil des Krieges und meine Aufgabe als Journalist ist natürlich nicht, mich darüber zu beschweren, sondern das Beste daraus zu machen, so ehrlich und authentisch wie möglich zu berichten.
    Fischer: Sind sich denn die Protagonisten vor Ort eigentlich dieser Absurditäten auch bewusst oder muss man da eigentlich eher von außen kommen so wie Sie und draufgucken? Oder ist denen das auch klar?
    Bangert: Eigentlich schon. Also, ich habe bei den Soldaten, aber auch bei den Zivilisten, da wird auch ständig gelacht. Das ist auch so ein bisschen Galgenhumor und so. Ich glaube schon, dass Menschen, die da mittendrin sind in dieser Extremsituation, das schon bewusst ist, wie absurd das ist, wie wenig das überhaupt Sinn macht, was da gerade stattfindet. Ich glaube schon, ich glaube, das ist eher den Menschen klar, die selbst Kriegserfahrung haben, und weniger den Leuten hier zu Hause, die natürlich Gott sei Dank keine Kriegserfahrung haben.
    Fischer: Das wundert mich, dass Sie sagen, auch die Zivilisten. Ich dachte, die Leute, die potenziell auf der Seite der Opfer natürlich stehen, die finden da gar nichts natürlich absurd?
    Bangert: Doch, eigentlich schon. Also, dass die Leute sagen, hier, das macht überhaupt keinen Sinn, guck dir mal die Amerikaner an, was die schon wieder machen, die stellen hier ihre Plastiktoiletten auf, also, das … Das finden die Einheimischen schon irgendwie lustig und kurios, was da passiert auf der einen Seite. Und dann gleichzeitig dieser Horror, diese Fehler, die da passieren, dieser Tod, diese Verletzten, das ist dann gleichzeitig. Und es gibt eine ganz eigenartige Mischung, die aber in der Form eigentlich nicht auftaucht in unserer Berichterstattung.
    Fischer: Jetzt hatten wir ja unlängst eine große Erschütterungswelle über das Foto eines kleinen toten syrischen Jungen am Strand. Ist diese Erschütterungswelle nicht letztlich auch absurd? Denn wir wissen natürlich, dass Kinder dort sterben, und dann kommt dieses Foto. Ich will sagen: Warum ein Foto? Ein Foto löst diese Erschütterungswelle aus!
    Bangert: Ich denke, Fotografien haben den großen Vorteil, dass sie uns emotional bewegen, also erwischen. Das heißt, wir reagieren zunächst emotional auf ein Foto, dann kommt diese ganze Reflektion, dieses ganze Nachdenken über das, was wir gerade sehen. Aber es gibt beides und das ist das Besondere an Fotos. Dazu kommt, dass wir uns anhand der Fotos an ein Ereignis erinnern. Wir suchen also auch nach Symbolen, die dieses Ereignis illustrieren oder zeigen. Und das macht aber auch die Fotografie so wichtig, aber das macht auch die Verantwortung, die wir als Bildermacher tragen, so groß, dass wir diese Ereignisse nicht nur dokumentieren, wir schaffen auch Erinnerungen in den Köpfen der Menschen.
    "Abenteuer darf man nicht verschweigen, das ist tatsächlich da"
    Fischer: Sie haben mal gesagt, Ihr Motiv oder das Motiv Ihrer Zunft, sage ich jetzt mal, Leute, die eben, Fotografen, die in diese Kriegs- und Krisengebiete gehen, sei schon auch sehr viel Abenteuerlust. Das hat was Egozentrisches dann, und nicht eben nicht was "Ach, ich will da was bewirken", was Missionarisches. Ist eigentlich egozentrisch im Kern?
    Bangert: Ja, wenn man ganz ehrlich ist, und das sind nicht alle Kollegen vielleicht, wenn man wirklich ehrlich ist mit sich selbst, dann muss man sagen: Wenn man jung ist, wenn man so Mitte 20 ist, als junger Mann, dann ist der Abenteuergedanke, auszubrechen, in ein Krisengebiet zu fahren, etwas von Bedeutung zu machen, an etwas teilzuhaben, das größer ist als ich selbst, natürlich sehr reizvoll, das ist auch Teil der Motivation, muss man ganz klar sagen. Ist nicht unähnlich der Motivation, die auch junge Soldaten verspüren, in den Krieg zu ziehen. Und da sollte man sich als Journalist vielleicht auch nicht auf so einen hohen Sockel stellen und sagen, die sind ja alles Idioten, die schießen sich da gegenseitig tot. Wenn man wirklich ehrlich ist, dann ist mit ein Teil, immer, gerade am Anfang, wenn man anfängt in diesem Beruf, ist Teil dieser Motivation auch dieser Abenteuergedanke. Und natürlich ist gleichzeitig auch der Journalismus da, die Idee, dass man irgendwo hinfährt, wo die meisten Leute nicht hinfahren, um die eigene Gesellschaft zu informieren und zu zeigen, zu dokumentieren, was dort geschieht. Und diese beiden Motivationsgründe, die pendeln sich so aus über die Jahre, und über die Jahre wird natürlich der Journalismus mehr und das Abenteuer weniger, man wird auch ein besserer Journalist über die Zeit. Dieses Abenteuer darf man nicht verschweigen, das ist tatsächlich da.
    Fischer: "hello camel" ist ein Ergebnis dieses Abenteuertrips von Christoph Bangert, so heißt sein neuer Fotoband, im Kehrer Verlag erschienen, sehr schön gestaltetes Buch mit tollem Einband. Und, ja, die Fotos dort zu sehen ist noch mal ein ganz anderer Effekt als sie im Internet zu sehen, da hat man natürlich auch Fotos, auf Ihrer Seite, aber das kann man nicht vergleichen. Es gibt eine kleine Ausstellung noch im Moment übrigens in Köln, in der Lutherkirche, bis zum 2. Oktober. Vielen Dank, Christoph Bangert!
    Bangert: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.