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Kriegsopfer in der Ostukraine
Die Zivilbevölkerung leidet

Vor genau fünf Jahren hat Russland die Krim okkupiert und danach Dutzende Orte in der Ostukraine besetzt. Rathäuser, Polizeistationen, Geheimdienstbüros befanden sich plötzlich in der Hand von Separatisten. Bis heute dauern die Kämpfe an.

Von Sabine Adler | 22.02.2019
In dem Dorf Optina in der Pufferzone in der Ostukraine steht auf einem Tor: "Hier wohnt jemand."
Dorf Optina in der Pufferzone in der Ostukraine - „Hier wohnt jemand“ steht auf dem Tor (Deutschlandradio / Sabine Adler)
Als Nina 2014 ihre Heimatstadt Donezk verließ, war ihre Tochter schon unterwegs. Die Kinderärztin floh vor den Kämpfen in der Stadt mit ihrem Mann nach Mariupol.
"Wir hatten Glück, unsere Bekannten halfen uns, eine günstige Wohnung zu finden. Die Wohnungen werden meist zu horrenden Preisen an Flüchtlinge vermietet. Aber wir sind an gute Leute geraten."
Mariupol erwies sich als gute Entscheidung, denn die Hafen- und Stahlstadt mit ihren 460.000 Einwohnern hat 100.000 Binnenflüchtlinge aufgenommen, Vizebürgermeister Stepan Makhsma bemüht sich um sie.
"Unsere Strategie ist, dass Mariupol zum Schaufenster des neuen ukrainischen Donbass wird. Diejenigen, die zwischen den besetzten Gebieten und hier pendeln, erzählen nicht gerade Erfolgsgeschichten. Klar ist es bei uns besser. Und je besser es sich bei uns lebt, umso mehr werden sie spüren, wie schlecht es ihnen dort geht und der Einfluss der Machthaber dort auf sie schwindet."
Die Donezker Kinderärztin und ihr Mann gehören nicht zu den Pendlern. Sie sind seit fast fünf Jahren nicht mehr zu Hause gewesen.
"Vollständig zerstört"
"Wir fahren dort nicht hin, selbst als meine Schwiegereltern starben, wagten wir das nicht, denn mein Mann ist Polizist und das Risiko, dass er erschossen wird oder ins Gefängnis kommt, ist viel zu groß."
Iwan Ossipov würde gern nach Shyronkine zurück. Vertreter internationaler Organisationen, in- und ausländische Politiker, wie der ukrainische Außenminister Klimkin und sein deutscher Kollege Heiko Maas haben den heftig umkämpften Küstenort besucht. Doch ausgerechnet die Einwohner dürfen angeblich aus Sicherheitsgründen nicht hin, beschwert sich der 65-jährige Rentner Iwan Ossipov.
"Schirokyne ist vollständig zerstört. Nach Einschätzung der OSZE zu 85 Prozent. Und die restlichen 15 Prozent der Häuser gelten als unbewohnbar."
Iwan Osipov besaß ein Wochenendhaus in dem Fischerdorf, das direkt am Ufer des Asowschen Meeres und nur zehn Kilometer von Mariupol entfernt liegt. Zusammen mit Aleksander Pelypenko kämpft er bei den ukrainischen Behörden um Kompensationszahlungen für ihre beschädigten Häuser. Bislang erfolglos.
Die Hausbesitzer empört, dass sie das Ausmaß der Zerstörung nicht selbst ansehen und vor allem dokumentieren dürfen. Sie misstrauen den Behörden, vermuten, dass die sie daran hindern wollen, Kompensationszahlungen anzumelden.
"Fünf Jahre sind die Kämpfe um Schirokyne her, seitdem wird der Ort ausgeraubt. Wir bekamen keinerlei Hilfe. Lediglich drei Alte sind in einem Wohnheim untergekommen. Das Gesetz über die Antiterroroperation sieht jedoch Kompensationen für Schäden vor. Doch in der Ukraine werden die Gesetze und die Verfassung offenbar nicht beachtet."
Gefechtslärm von der Front
Beide Männer haben ihren Hauptwohnsitz in Mariupol und damit durchaus ein Dach über dem Kopf. In Kriegszeiten muss die Entschädigung für Wochenendhäuser warten. Vera Jastrebowa von der Ostukrainischen Menschenrechtsgruppe hat den Bewohnern des Dorfes Opitna große Vorräte von Wasser gebracht und dabei ganz andere Schicksale kennengelernt.
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Bewohner von Opitna bekommen eine Wasserlieferung von einer Nichtregierungsorganisation (Deutschlandradio / Sabine Adler)
"Die Menschen haben kein Trinkwasser, Brot gibt es nur alle drei Tage. Aber sie haben beim Kampf um den Donezker Flughafen viel Schlimmeres erlebt. Das Dorf ist zerstört, ohne Heizung, Strom, Gas. Eine alte Frau bedankte sich bei uns für das Wasser. Ihre Mann hat Krebs und soll seine Medikamente möglichst mit sauberem Wasser nehmen."
In den Außenbezirken von Mariupol hört man den Gefechtslärm von der Front. Die Industriestadt leidet nicht nur unter den andauernden Kämpfen an Land. Auf See endete der russische Angriff auf drei ukrainische Marineboote mit der Verhaftung der Seeleute, die seitdem in einem Moskauer Gefängnis festgehalten werden. Die Lage im Asowschen Meer hat sich dadurch gefährlich zugespitzt, hinzukommen die wirtschaftlichen Störmanöver von russischer Seite. Die neue Krim-Brücke ist viel zu niedrig und hindert die großen Frachter am Einlaufen in den Hafen von Mariupol.
"Wir haben Handelspartner aus Süd- und Nordamerika sowie Südostasien verloren. Metinvest, das Stahlwerk, exportierte einen sehr großen Teil der Roheisen-Produktion in die USA. Nach Südostasien wurden pro Jahr 500 000 Tonnen Bleche geliefert."
Warenumschlag gesunken
Metinvest gehört dem ukrainischen Oligarchen Rinat Achmetow, der seinen Firmensitz wegen des Krieges von Donzek nach Mariupol verlegte. Von hier aus schickte sein Unternehmen 1,3 Millionen Tonnen Güter pro Jahr auf die Reise in die Welt, jetzt gehen sie erst einmal auf die Schiene, erklärt Hafendirektor Oleynik weiter.
"Die Produkte müssen 700-800 Kilometer bis nach Odessa oder Tschernomorsk gefahren werden, wodurch jede Tonne Stahl 20 Dollar mehr kostet. Dieser höhere Aufwand an Zeit und Geld bringt unsere Unternehmen um ihre Wettbewerbsfähigkeit."
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Hafen Mariupol (Deutschlandradio / Sabine Adler)
Bis auf den Güterzug bewegt sich wenig im Hafen von Mariupol. Eine ungesunde Ruhe. Seit Beginn des Ostukraine-Krieges 2014 ist der Warenumschlag an den Kais von 15 auf fünf Millionen Tonnen gesunken. Ohne Folgen für die Beschäftigten, sagt Hafendirektor Aleksander Oleynik.
"Die Gehälter sind nicht gesunken, entlassen wurde keiner. Russland zielt auf die Destabilisierung der Region, will dafür eine soziale Krise auslösen. Was sie militärisch nicht geschafft haben, versuchen sie jetzt über die Wirtschaft."