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Kriegsveteranen drohen mit neuer Gewalt

Die Kosovo-Albaner fordern eine schnelle Unabhängigkeit der unter UN-Verwaltung stehenden Provinz. Dagegen steht Serbiens völkerrechtlich begründeter Anspruch auf die Integrität seines Staatsgebietes. Die internationalen Vermittler geraten durch Drohungen von radikalen Gruppen immer wieder unter Druck. Mit Besorgnis wird vor allem die Lage in der Dukadjini-Region im Westen des Kosovo beobachtet. Dirk Auer und Boris Kanzleiter berichten.

22.10.2007
    Auf einem Friedhof am Rand der Siedlung Gllogjan. Es bläst ein frischer Wind. Auf den kahlen Gipfeln des Grenzgebirges liegt schon der erste Schnee. "Verfluchte Berge", so nennen die Einheimischen den mächtigen Höhenzug, der das Kosovo von Albanien und Montenegro trennt. Abdyl Mushkollai zeigt auf gut zwei Dutzend Gräber von Kämpfern der Kosovo Befreiungsarmee UCK:

    "Ich hatte das Glück, im Krieg nicht umzukommen, obwohl ich schwer verletzt wurde. Aber es hätte mir nichts ausgemacht, mein Leben für das Kosovo auf zu opfern. Denn es gibt keine größere Ehre als für das eigene Land zu sterben. Das was diese Leute hier erreicht haben, an dem erfreuen sich jetzt unsere Kinder."

    Abdyl Mushkollai ist ein hagerer Mann mit schmalem Gesicht. Der knapp
    40-Jährige war während des Krieges Feldkommandant der UCK. Heute ist er Präsident der Kriegsveteranen in der Dukadjini-Region. Doch der Kampf ist noch nicht zu Ende, meint er:

    "Wir haben eine Armee, das ist die UCK. Die UCK ist nicht tot, nur versuchen wir gerade auf anderen diplomatischen Wegen zu einer Lösung zu kommen. Und falls es sein muss, werden wir auch wieder kämpfen. Und nicht nur die UCK, sondern auch andere albanische Armeen."

    Seit zwanzig Monaten bereits ziehen sich die internationalen Verhandlungen über den zukünftigen Status des Kosovo hin. Die Fronten sind verhärtet, eine Lösung ist nicht in Sicht. Vor allem Sprecher aus den Reihen der über 30.000 Kriegsveteranen drohen deshalb immer wieder damit, erneut zu den Waffen zu greifen, sollte nicht bald eine Entscheidung für die Unabhängigkeit fallen. Krenar Gashi vom "Balkan Investigative Reporting Network" hat die Stimmung unter den Veteranen untersucht:

    "Was kann man von diesen Leuten erwarten? Acht Jahre nach dem Krieg, stehen sie am Rand der Gesellschaft, ohne Perspektive, ohne Jobs, ohne Einkommen. Das einzige was sie können, ist kämpfen. Das Problem für sie ist nur, sie wissen nicht gegen wen. Aber ich bin sicher: Wenn es so weiter geht, werden diese Leute irgendwann sagen: Es reicht. Dann werden sie wieder ihre Waffen nehmen, in die Berge gehen und Unruhe stiften."

    Der Südwesten des Kosovo kann bereits auf eine lange Geschichte des politischen Radikalismus zurückblicken. Über die schmalen Bergpfade kamen 1996 die ersten bewaffneten Einheiten der UCK in das Kosovo - direkt aus Trainingslagern im Nachbarland Albanien. Heute ist die Arbeitslosigkeit in der ländlich geprägten Dukadjini-Region noch größer als im Rest des Kosovo, wo sie bei etwa 40 Prozent liegt. Es ist die Mischung aus sozialer Perspektivlosigkeit und politischem Stillstand, der zu einem wachsenden Extremismus führen wird, befürchtet Krenar Gashi:

    "Wenn es zu neuen Auseinandersetzungen kommt, wird das aber wohl nicht in der Dukadjini-Region selbst sein, sondern im Norden des Kosovo, in Mitrovica. Dort ist die Situation am angespanntesten. Ich denke allerdings, dass es Leute aus dem Dukadjini-Tal sein werden, die den Konflikt dort anführen werden."

    In einem Büro im ersten Stock des Kulturhauses der Kleinstadt Decan versammelt Abdyl Mushkollai seine Getreuen. An der Wand hängt eine Landkarte von Großalbanien. Zurzeit steht jedoch nur ein Ziel auf dem Programm: die schnellstmögliche Unabhängigkeit des Kosovo.

    "Wir werden es nicht zulassen, dass sich die Statusentscheidung weiter verschiebt. Wir werden unsere Unabhängigkeit selbst erklären, und dann ist es die Frage, ob uns die anderen anerkennen. Bis jetzt wollten wir eigentlich auf unsere Freunde vertrauen, aber wir wollen nicht, dass sich das ganze endlos dahin zieht. "

    Zwar hat auch Premierminister Agim Ceku schon eine einseitige Unabhängigkeitserklärung angekündigt - direkt nach dem Ende der laufenden Verhandlungen am 10. Dezember. Doch dagegen steht nicht nur der Widerstand Serbiens und Russlands. Auch in der Europäischen Union sind die Bedenken gegen unilaterale Schritte groß. Abdyl Mushkollai und seine Anhänger wollen darauf aber keine Rücksicht mehr nehmen:

    "Ich mache keine Diplomatie wie es die Politiker tun. Ich sage das, was ich denke. Und ich garantiere euch: Ich habe meine Waffe noch nicht abgegeben. Und ich werde das auch nicht tun, bis wir die Unabhängigkeit haben. Überhaupt haben wir auf dem Balkan kein Waffenproblem. Es gibt genügend davon."